Artikel 19/05/2016

Was tun bei Vergesslichkeit im Alter? Ernährung, Medikamente & Tipps für den Alltag

Team jameda
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Vergesslichkeit kann viele Ursachen haben: Mit zunehmenden Alter ist es ganz normal, wenn das Gedächtnis langsam nachlässt. Wenn der Alltag aber immer stärker eingeschränkt ist, Erinnerungen wie ausradiert sind und das abstrakte Denken, das Sprechen und die Orientierung zunehmend schwerer fallen, könnte sich eine Demenzerkrankung wie zum Beispiel Alzheimer entwickeln. Was Betroffene nun tun können, wollte jameda von Frau Kern von der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg und von der Professorin Dr. Trifunovic wissen, die am Exzellenzcluster CECAD Alternsforschung betreibt.

jameda: Welchen Vorurteilen begegnen Demenzkranke häufig?
Fr. Kern: Viele denken, dass Menschen mit Demenz nichts mehr wissen, nichts mehr können und einfach verrückt sind. Das ist natürlich ein Zerrbild. Gerade am Anfang kommen die Betroffenen meist noch gut selbst zurecht. Hilfreich ist auch, sich klar zu machen: Der Beginn einer Demenz bedeutet nicht zwingend, dass man die Krankheit bis zum Endstadium erlebt.

jameda: Manche sind schon mit 60 dement, andere sind noch mit 90 Jahren ganz klar im Kopf. Warum bekommen die einen Alzheimer und die anderen nicht?
Prof. Dr. Trifunovic: Obwohl wir in den letzten Jahren viel über Alzheimer gelernt haben, kennen wir die Ursachen immer noch nicht genau. Bei jungen Alzheimer-Patienten zwischen 30 und 60 Jahren liegt es meistens an den Genen. Bei älteren Patienten spielen wahrscheinlich nicht nur die Gene, sondern auch Umwelteinflüsse und der Lebensstil eine Rolle. Es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass Bluthochdruck, ein hoher Choelsterinspiegel, Tabakkonsum, Bewegungsmangel und Typ-2-Diabetes eine Demenz fördern können. Außerdem steigt das Alzheimer-Risiko mit fortgeschrittenem Alter: Während nur einer von neun 65-Jährigen an Alzheimer erkrankt, leidet jeder Dritte 85-Jährige darunter.

jameda: Lange hieß es, dass Alzheimer entsteht, wenn Proteine Nervenzellen im Gehirn blockieren. Neuer Forschung zufolge könnten aber auch die Mitochondrien an diesem Prozess beteiligt sein. Welche Rolle spielen „die Kraftwerke der Zellen“, die für die Energieversorgung zuständig sind?  
Prof. Dr. Trifunovic: Obwohl das Gehirn nur zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es zusammen mit den Neuronen den Löwenanteil der Energie, die in den Mitochondrien produziert wird. Stockt die Energieversorgung des Gehirns nur für eine kurze Zeit, sterben Neuronen ab. Außerdem führt oxidativer Stress, der oft mit einer mangelnden Mitochondrientätigkeit einhergeht, zur Bildung von amyloidem Plaque, der sich zwischen den Neoronen im Gehirn anlagert. Neben Neuronen und Mitochondrien spielen wohl viele weitere Zelltypen und Prozesse eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Alzheimer.

jameda: Extreme Vergesslichkeit ist eine Belastung für viele Betroffene. Manchen ist es peinlich, dass sie nicht mehr so selbstständig sind wie früher. Sie trauen sich nicht mehr so viel zu und ziehen sich zurück. Wie gehen die Betroffenen am besten mit Scham, Frustration und Selbstzweifeln um?
Fr. Kern: Die Einsicht, immer mehr zu vergessen, ist sehr bedrohlich, schließlich ist die eigene Autonomie in Gefahr. Deshalb gestehen sich viele ihre Probleme und Einschränkungen nicht ein. Wenn sie zum Arzt gehen, ist die Demenzdiagnose dann meist ein Schock. Die Erkrankung darf aber nie ein Grund sein, sich zu schämen. Frust und Selbstzweifel sind zwar verständlich, aber die Betroffenen sollten den Stier bei den Hörnern packen, zum Arzt gehen und auch zu ihrer Diagnose stehen. Unterstützung können und sollten sie auch in der Familie finden. Darüber hinaus gibt es in Beratungsstellen oder im Internet Hilfe.

jameda: Können die Betroffenen immer noch ein aktives Leben führen?
Fr. Kern: Ja, sie sollten ermutigt werden, alles zu tun, was noch geht, vielleicht auch etwas ganz Neues zu wagen. Manche entdecken im Alter ihre Liebe zur Musik oder zur Kunst und haben Freude daran, kreativ zu sein.

jameda: Auch Freunden, Nachbarn und Angehörigen fällt auf, dass die Vergesslichkeit immer mehr zunimmt. Wie sprechen Betroffene das Problem am besten an?
Fr. Kern: Es gehört viel Mut und Vertrauen dazu, den ersten Schritt zu wagen. Viele beschuldigen lieber andere oder vertuschen ihr Problem, bis die Angehörigen oder Außenstehenden das Gespräch suchen. Dann ist viel Fingerspitzengefühl notwendig, um nicht auf Abwehr zu stoßen. Es gilt, den Betroffenen zu ermutigen, zu unterstützen, wertzuschätzen und seine Autonomie soweit wie möglich zu erhalten.

jameda: Den Hausschlüssel oder wichtige Dokumente zu verlegen, kann jedem passieren. Menschen mit einer beginnenden Demenz sind jedoch sehr häufig auf der Suche nach verlorenen Gegenständen. Wie schaffen sie Struktur im Haushalt?
Fr. Kern: Das Umfeld sollte weitgehend so bleiben, wie es ist, um Vertrautheit aufrechtzuerhalten. Alles wegzuräumen, was die Betroffenen nicht mehr brauchen, kann außerdem helfen, die Übersicht zu behalten. Angehörige sollten aber möglichst nur in Abstimmung mit den Betroffenen eingreifen. Auch Wiederholungen helfen: Ich habe mit meiner demenzkranken Mutter beispielsweise wichtige Vorgänge eingeübt wie den Schlüssel mitzunehmen, bevor sie aus der Tür geht. Und wir haben viele bewusst schön gestaltete Zettel an Schränke und andere Orte gehängt, um ihr Orientierungshilfen zu geben.

jameda: Vor allem draußen fühlen sich viele ältere Menschen unsicher, weil sie leicht die Orientierung verlieren. Was können Betroffene tun, um sicher wieder nach Hause zu finden?
Fr. Kern: Bei einer beginnenden Demenz kann es schon reichen, einen Zettel mit der Adresse oder das Handy dabei zu haben, um wieder nach Hause zu finden. Später neigen die Betroffenen aber dazu, auch den Zettel zu vergessen, oder können da Handy nicht mehr bedienen. Den Weg zum Supermarkt oder zur Apotheke einzuüben, hilft den Betroffenen, sich möglichst lange daran zu erinnern. Ist die Demenz weit fortgeschritten, gehen die Betroffenen meist nicht mehr alleine aus dem Haus. Sollten sie trotzdem unbegleitet unterwegs sein, können zum Beispiel Ortungsgeräte hilfreich sein, wenn sie sich verlaufen.

jameda: Das Auto abzugeben, kann sehr schwer fallen. Wann gefährden Demenzpatienten sich selbst oder andere im Straßenverkehr?
Fr. Kern: Das ist vor allem für Männer der älteren Generation ein heikles Thema. Das Auto wegzugeben, verletzt ihr Ehrgefühl und ist oft ein großes Drama. Viele glauben auch, dass sie noch gut Autofahren können, obwohl das längst nicht mehr so ist. Weil der Straßenverkehr unberechenbar sein kann, sollte das Auto möglichst bald im Anfangsstadium der Demenz weg. Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt wird zwar unter Experten nach wie vor heiß diskutiert, aber eine Gefährdung anderer ist eben kaum zu vertreten.

jameda: Wenn das Gedächtnis nachlässt, wird die innere Unruhe manchmal umso größer. Was können Betroffene mit starker Vergesslichkeit dagegen tun?
Fr. Kern: Viele suchen eine Vergangenheit, die es nicht mehr gibt. Sie brauchen viel Struktur und viel Vertrautes um sich herum, damit sie sich sicher fühlen. Den Bewegungsdrang umzuleiten und beispielsweise zusammen spazieren zu gehen, kann hilfreich sein, ebenso wie andere sinnvolle Beschäftigungsangebote.

jameda: Viele Demenzpatienten sind mangelernährt. Sie vergessen, regelmäßig zu essen und zu trinken, oder haben keinen Appetit. Dabei kann Flüssigkeitsmangel die Vergesslichkeit verstärken. Was hilft?
Fr. Kern: Die meisten alten Leute trinken zu wenig - das verstärkt sich bei einer Demenz. Aber reine Aufforderungen nützen hier nichts. Um ans Trinken zu erinnern, können zum Beispiel die jeweiligen Lieblingsgetränke zusammen mit Hinweisen – gern auch in Bildform – an verschiedenen Orten der Wohnung aufgestellt werden. Es kann auch hilfreich sein, wenn Angehörige immer wieder Getränke in der Lieblingstasse anbieten oder gemeinsam anstoßen.

jameda: Und wie sieht’s mit dem Essen aus?
Fr. Kern: In der frühen Phase ist das kein großes Problem. Aber wenn Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz einkaufen, kochen und aufräumen bzw. den Herd ausschalten müssen, wird es sehr schwierig. Besonders problematisch ist die Ernährung bei Alleinlebenden. Wenn der Pflegedienst beispielsweise sagt: „Ihr Essen steht im Kühlschrank“, denkt der demenzkranke Mensch später meist nicht mehr daran. Leben die Betroffenen mit Angehörigen zusammen, hilft es, das Lieblingsessen in Häppchen auf ansprechendem Geschirr zu servieren, und gemeinsam zu essen. Je hungriger sie sind, desto eher lassen sich die Betroffenen zum Essen bewegen.

jameda: Kann eine gesunde Ernährung Alzheimer vorbeugen?
Prof. Dr. Trifunovic: Studien legen nahe, dass Menschen, die sich mediterran ernähren, also viel Obst und Gemüse, Olivenöl, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und Fisch essen, seltener an Alzheimer erkranken als jene, die viel Fleisch, Zucker und stärkehaltige Lebensmittel verzehren. Eine fettarme Ernährung, die normalerweise Herzpatienten empfohlen wird, könnte auch gut furs Gehirn sein.  Wie verschiedene Studien zeigen, lässt sich geistiger Abbau auf diese Weise verlangsamen. Die Universität von Chicago entwickelte auf dieser Grundlage die MIND-Ernährung zur Stärkung des Gehirns, die dreimal Vollkornprodukte, einen Salat, eine weitere Gemüsesorte und ein Glas Wein pro Tag vorsieht. Nüsse, Bohnen, Geflügel, Beeren und Fisch sollten ebenfalls auf den Tisch. Es reicht schon aus, sich mehr oder weniger an die Ernährungsvorschläge zu halten, um das Alzheimer-Risiko zu senken. Welche molekularen Mechanismen dahinter stehen, ist noch unklar.

jameda: Gibt es weitere Möglichkeiten, Alzheimer aktiv vorzubeugen?
Prof. Dr. Trifunovic: Studien haben gezeigt, dass sich das Alzheimer-Risiko verringert, wenn man ein Leben lang geistig aktiv ist und seine sozialen Kontakte pflegt. Wie stark diese Faktoren ins Gewicht fallen, ist wohl von Mensch zu Mensch verschieden.

jameda: Es gibt einige Medikamente, die typische Alzhemeier-Symptome wie Vergesslichkeit verringern und den Verlauf der Erkrankung verlangsamen. Aber ihre Wirkung ist relativ gering. Alzheimer bleibt unheilbar. Was erwarten Sie von der Alzheimer-Forschung in den nächsten Jahren?
Prof. Dr. Trifunovic: Alzheimer kann schon vorliegen, wenn noch keine Vergesslichkeit auftritt. Deshalb wäre es gut, frühe Risikofaktoren bei Patienten zu identifizieren, bevor Symptome zu erkennen sind. Darüber hinaus sind bessere Biomarker notwendig, um zu entscheiden, welcher Patient wann behandelt warden sollte. Bei manchen Patienten mit amyloidem Plaque entwickelt sich Demenz viel früher als bei anderen. Ob ein 85-Jähriger die Prognose bekommt, in 20 Jahren an einer Demenz zu erkranken, ode rein 65-Jähriger in zwei Jahren mit einer Demenz rechnen muss, ist natürlich ein großer Unterschied. Darüber hinaus muss eine Therapie entwickelt werden, die Demenz aufhält oder rückgängig macht. Weil die Ursachen der Demenz sehr unterschiedlich sein können, brauchen wir eine individuelle Therapie, die auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten ist.

jameda: Vielen Dank für das Gespräch!

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