Die Rolle des Paartherapeuten ist nicht, dem Paar ‘nach dem Mund’ zu reden, damit würde er sich am bisherigen System Partnerschaft beteiligen, in dem oft auch schwere Konflikte bagatellisiert oder schön geredet werden. Seine oder ihre Aufgabe ist, mit der Hoffnung dieses Rat suchenden Paares zu arbeiten und Dinge auszusprechen, die sehr häufig in Beziehungen tabuisiert sind oder die dem Diktat zur Harmonie folgen, wodurch sehr viele Paare über die Jahre an einen toten Punkt in ihrer Beziehung kommen können.
Denn was passiert wirklich, wenn sich die Hoffnung, noch geliebt zu werden, nicht mehr erfüllt, weil sich irgendetwas verändert hat? Oder die Hoffnung, es möge alles nicht wahr sein, nicht der Wirklichkeit entspricht? Oder sich heraus stellt, dass die eigene Hoffnung, der Partner möge so oder anders werden, sich nicht erfüllt, weil er sich z. B. längst anders entschieden hat?
Die Fähigkeit zur Klärung der Beziehung schafft dann neue Chancen, denn Paare, die in eine Paartherapie kommen, sind häufig gar nicht sicher, ob sie sich trennen wollen, sie verhalten sich oft beziehungs- oder trennungsambivalent. Sicher ist nur: Sie befinden sich in einer veritablen Krise.
Diese Krise kann nur einen Partner betreffen z. B. bei Verlust des Arbeitsplatzes und dadurch dann sekundär auch die Partnerschaft oder die Krise liegt in der Partnerschaft selbst, weil die Paarverabredung nicht (mehr) stimmt, es zu Außenbeziehungen gekommen ist oder andere Rollen insbesondere die Elternrolle belasten die Beziehung. Folglich ist Paartherapie in vielen Fällen eben auch Krisenintervention, bevor das System Partnerschaft bearbeitet werden kann.
Enttäuschung ist für sehr viele Paare der Weg in eine Paartherapie. Doch Enttäuschung in Partnerschaft ist nichts pathologisches, sondern ganz logisch, konsequent und auch natürlich. Auch Kommunikationsstörungen sind nicht pathologisch oder unnatürlich. Paare müssen lernen, damit umzugehen und eine geklärte, ausgehandelte Beziehung ist der beste Schutz vor allzu viel enttäuschter Hoffnung. Klärung hilft, den Partner so zu erkennen, wie er wirklich ist und nicht, wie wir ihn nur erträumen und hilft bei der Frage, ob man sich für diesen Partner noch entscheiden kann und will.
In der Paartherapie wird dazu u. a. das Präsenztraining durchgeführt, d. h. die Partner werden immer wieder dazu angehalten, Ich-Botschaften im Hier und Jetzt zu formulieren, auch als ‘Hausaufgaben’. Gleichzeitig werden auch mit systemischen Aufstellungen Wahrnehmung und Kommunikation trainiert.
Eine wirklich geklärte bewusste Entscheidung für diesen Partner und diese Partnerschaft schließt Gefühle und Erleben von Liebe, Romantik, Geborgenheit, Schutz, Halt, Kraft, Zugehörigkeit, Nähe und Begehren keinesfalls aus, nur sind sie eben nicht mehr verschmelzend.
David Schnarch nennt diesen Persönlichkeitsentwicklungsprozess ‘Differenzierung’, in der Auseinandersetzung mit dem ‘Du’ entwickelt sich erst das ‘Ich’. Keiner kommt danach beziehungsfähig auf die Welt, wir werden es erst in unseren Beziehungen.
Für Paare wird dadurch wirkliche Loyalität und emotionale Verbundenheit erst richtig erfahrbar.
Für Laien vielleicht überraschend ist der Umstand, dass gerade auch viele von sehr starker Harmonie geprägte Paare in eine Paartherapie kommen. Der tote Punkt entsteht über lange Zeit dadurch, dass es wenige Unterschiede zu geben scheint, was folglich zu sehr wenig Auseinandersetzung führt und zu der Überzeugung, man verstehe sich doch ‘wortlos’, weil man ja wisse, was der andere denke oder fühle. Wobei Unterschiede oft auch schlicht ignoriert werden, weil sie nicht in die erwünschte Harmonie zu passen scheinen.
Wobei das Bedürfnis nach Harmonie einer tiefen Sehnsucht entspricht. Häufig beklagen diese Paare dann einzig eine lustlose bis völlig eingeschlafene Sexualität, weil auch das auf Unterschiede angewiesene Begehren den Harmoniebedürfnissen zum Opfer fällt. Diese Paare lernen, Unterschiede wieder wahrzunehmen und sie nicht als Bedrohung der Partnerschaft zu bewerten. Die Hoffnung auf dauernde Harmonie verhindert auch hier die Klärung der Beziehung.
Diese Auseinandersetzung mit sich, dem anderen und der Partnerschaft, die im Grunde nie wirklich aufhört, weil das Leben eben nicht statisch ist, wie uns auch die Biografiearbeit zeigt, ermöglicht aber das eigentliche Glück in modernen Beziehungen. So kann Partnerschaft zu dem werden, was sie eigentlich ist: Ein intimer Ort des inneren Wachstums jedes einzelnen, eine Möglichkeit zu steter Persönlichkeitsentwicklung, denn das Ich entwickelt sich, differenziert und reift erst in der angemessenen Auseinandersetzung mit dem Du, nicht jedoch in Verschmelzung mit dem anderen, die einer Aufgabe des Selbst gleicht. Auch die Entwicklung der partnerschaftlichen Sexualität geschieht in diesem Kontext.
Bei Paaren, die sich zur Trennung entschlossen haben, kann Paartherapie helfen, die genauen Umstände und Rahmenbedingungen zu klären, die vergangene Partnerschaft trotz aller Verletzungen zu würdigen und sich so zu trennen, dass der freundschaftliche Aspekt einer Partnerschaft auch erhalten und sogar gelebt werden kann. Dies ist v. a. nötig, wenn sich Eltern trennen oder Patchworkfamilien entstehen. Hier kann die familientherapeutische Rollenklärung im System die entscheidende Hilfe sein.
Die Trennungsarbeit bietet eine gute Möglichkeit, zu erkennen, dass Trennungen oft einfach auch nötig sind, weil nichts mehr miteinander gelebt werden kann und also auch kein Wachstum mehr möglich ist und sie Voraussetzung sind, dass auch etwas Neues beginnen kann, auch und gerade im eigenen Leben.
Paare mit unerfülltem Kinderwunsch lassen sich inzwischen auch vermehrt paar- und sexualtherapeutisch beraten, ebenso ganz frische Paare aller Altersgruppen. Paartherapeuten werden darüber hinaus auch oft über viele Jahre nach einer Paartherapie als Berater themenspezifisch von Paaren genutzt, z. B. zum Paarcoaching oder für Impulsgespräche.
Viele Paare erleben in ihrem Umfeld sehr viel Anerkennung und Respekt für ihre Entscheidung, sich einer Paartherapie auszusetzen und gleichzeitig erfährt der Freundes- und Familienkreis auch Entlastung von den enormen Belastungen, die von einer Krise der Partnerschaft ausgehen können.
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