
Krebs bleibt bis auf Weiteres eine der gefürchtetsten Krankheiten der Menschheit mit weltweit fast 10 Mio. Toten und über 20 Mio. Neuerkrankungen pro Jahr, Tendenz steigend. Trotz zahlreicher Fortschritte auf dem Gebiet der Schulmedizin, bleibt die Sterblichkeit erschreckend hoch. Dennoch gibt es zahlreiche dokumentierte Fälle weltweit, die eine Remission oder eine Heilung erreichen. Allen ist gemein, dass sie eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen haben um die Situation bestmöglich zu kontrollieren.
In den sozialen Medien kursieren vermehrt Beiträge, die suggerieren, dass ein „einfacher“ Verzicht auf Zucker (Kohlenhydrate) Krebszellen “aushungern” könne. Diese Vorstellung basiert häufig auf dem sogenannten Warburg-Effekt.
Warum die Realität allerdings viel komplexer ist und diese Ratschläge mit großer Vorsicht zu betrachten sind, der Grundgedanke dennoch zu jeder guten Therapie gehören sollte, erkläre ich in diesem Beitrag.
Krebszellen verfügen über eine bemerkenswerte metabolische Flexibilität, die es ihnen ermöglicht, die zellinternen Vorgänge nach Bedarf anzupassen und auch alternative Energiequellen zu nutzen um so ihren Stoffwechsel und ihr Wachstum zu sichern.
Die Annahme, dass ein einfacher Zuckerentzug Krebszellen “aushungern” kann, greift dabei viel zu kurz und wird darüber hinaus in der Regel auch noch falsch umgesetzt.
Unter Bedingungen des Nährstoffmangels sind Tumorzellen u.a. in der Lage, auf andere Wege für die Energiegewinnung also auch für die Erzeugung von Zellsubstanzen für das Wachstum zurückzugreifen. So kann Zucker aus Eiweißen (den sog. glucoplastischen Aminosäuren) neu aufgebaut werden und deren Bestandteile zur Energiegewinnung zu nutzen. Diese metabolische Flexibilität sichert ihr Überleben auch unter widrigen Bedingungen.
Unter normalen Lebensbedingungen wird von Zellen Zucker (Glukose) in mehreren Schritten abgebaut und mit Hilfe von Sauerstoff oxidiert. Daraus entsteht u.a. CO2 und Energie (ATP*).
Der erste, sehr schnell ablaufende Schritt nennt sich Glykolyse und liefert schon eine kleine Menge Energie. Der zweite sehr langsam ablaufende Schritt, die Oxidation (die sogenannte oxidative Phosphorylierung - OXPHOS), produziert sehr viel Energie. Es ist die bevorzugte Energiegewinnung unserer Zellen unter normalen Bedingungen.
Schritt eins findet in der Zelle statt, Schritt zwei findet in den sogenannten Mitochondrien der Zelle statt und ist äußerst komplex.
Dabei handelt es sich um in der Zelle befindliche Zellorganellen, die ihre Anzahl selbst vermehren oder auch verringern können. Sie besitzen eine eigene DNA, stellen die maßgebliche Energiemenge für die Zelle bereit und können sich selbst „abschalten“ (Mitophagie). Auch sind sie für die Einleitung des sogenannten programmierten Zelltods (Apoptose) verantwortlich. Neben der Energie werden in den Mitochondrien zahlreich Bausubstanzen für Fettsäuren, nicht essentielle Aminosäuren u.v.a. Prozesse synthetisiert.
Mitochondrien sind hoch empfindlich und auf unzählige Co-Faktoren angewiesen. Für eine intakte Zellfunktion sind sie unerlässlich.
Kommt es aus verschiedenen Gründen nun zum Sauerstoffmangel, kann die Oxidation in den Mitochondrien nur noch zum Teil oder gar nicht mehr stattfinden. Dann wird nur noch der erste Abbauschritt durchgeführt, die Glykolyse. Solch ein Sauerstoffmangel kann zum Beispiel im Sport bei ganz hoher körperlicher Anstrengung auftreten. Dabei fällt dann aber mehr und mehr Laktat (das Salz der Milchsäure) an.
In den 1920er Jahren nun beobachtete der Biochemiker Otto Heinrich Warburg, dass Krebszellen auch in Gegenwart von Sauerstoff Zucker (Glukose) durch die sogenannte Glykolyse zu Milchsäure (Laktat) abbauen, anstatt diesen vollständig in den Mitochondrien zu oxidieren und eben keine Milchsäure (Laktat) zu bilden.
Man nennt dies auch glykolytische Verschiebung. Diese Form der Energiegewinnung ist wenig effektiv aber äußerst schnell. Um also viel Energie für die Vermehrung und die zahlreichen Bausteine zu produzieren, benötigen die Tumorzellen viel Zucker.
Diese glykolytische Verschiebung bietet dem Tumor zahlreiche Überlebensvorteile. Zum einen können Sie Unmengen Zucker in kurzer Zeit in Energie verwandeln und zwar OHNE Sauerstoff. Das ist wichtig, denn in neu gewachsenen Tumorzellen und Zellhaufen gibt es in der Regel nur eine schlechte Blutversorgung und damit kaum Sauerstoff. Gleichzeitig stellt dieser Weg zahlreiche Zwischenprodukte zur Verfügung (wichtige Eiweißbausteine, DNA-Bausteine, etc.) die für die Vermehrung und Vergrößerung benötigt werden. Die gleichzeitig anfallenden Mengen an Milchsäure sorgen für ein entzündliches, den Tumor umgebendes Milieu, welches auch Schutz vor dem Immunsystem und oft auch Therapieversuchen (z.B. mit Chemotherapeutika) bietet. Weiter ist Laktat für den Tumor ein starkes Antioxidans und damit auch in der Zelle ein Schutzmechanismus.
Durch die Abschaltung der Mitochondrien umgehen Tumorzellen ausserdem dem programmierten Zelltod (der Apoptose), denn dieser wird ausschließlich in den Mitochondrien eingeleitet.
Dieses Phänomen, der „ineffektiven“ Energieproduktion mit Laktatbildung (die Fermentation von Glukose), bei Anwesenheit von ausreichend Sauerstoff und noch funktionstüchtigen Mitochondrien wurde dann **Warburg-Effekt genannt. **In der Literatur wird auch von der „Aeroben Glykolyse“ gesprochen, weil dieser Weg bevorzugt auch in aerober, also sauerstoffreicher Umgebung, genutzt wird.
Nun könnte man tatsächlich daraus schließen, würde man den Tumorzellen den Zucker entziehen, von dem sie ja durch die ineffektive Energieerzeugung deutlich mehr benötigen als gesunde Zellen (10-100 mal mehr), müssten sie absterben. Denn sie „verhungern“ ja praktisch. In diesem Zusammenhang wird es oft auch so dargestellt, dass Tumorzellen grundsätzlich nur die Vergärung von Zucker nutzen und im Rahmen der Glykolyse immer zu Laktat abbauen, wobei die effektive Energiegewinnung in den Mitochondrien grundsätzlich nicht mehr zum tragen kommt.
Das ist aber falsch.
Tumorzellen nutzen in einer sauerstoffreichen Umgebung den o.g. Warburg-Effekt, was gesunde Zellen nicht tun. Sie tun dies aber nicht ausschließlich. Krebszellen befinden sich zum einen nicht alle im gleichen Stadium und vollziehen daher auch nicht allesamt und gleichzeitig die aerobe Glykolyse, zum anderen kann die Verschiebung hin zur Glykolyse dem Bedarf nach angepasst werden. Langsam wachsende Tumore nutzen oft noch in Teilen die Oxidation in den Mitochondrien und bilden wenig Laktat, schnell wachsende Tumore hingegen verschieben Ihre Energieproduktion hin zu einem Laktatüberschuss. Dabei kommt es auch zu einer zunehmenden Funktionseinschränkung der Mitochondrien.
Die Mitochondrien stellen den Knotenpunkt für die Tumorzellvermehrung, das Überleben oder Absterben (Apoptose) und die Ausbildung von Metastasen dar. Obwohl Krebszellen auch funktionstüchtige Mitochondrien besitzen, nutzen sie diese weniger für die Energiegewinnung und mehr für die Produktion von Biomolekülen, die für das Zellwachstum und die Proliferation (Vermehrung) notwendig sind. Diese Umprogrammierung des Stoffwechsels unterstützt das schnelle Wachstum von Tumoren und trägt zur Anpassungsfähigkeit der Krebszellen bei.
Der langfristige Erhalt einer optimalen Mitochondrienfunktion ist daher von großer Bedeutung in der Prävention und Therapie. Es gibt dazu zahlreiche, zum Teil natürliche Substanzen, die als Mitochondrienschutz fungieren können. Gelingt es, vereinfacht dargestellt, die entscheidenden Enzyme (welche von Tumoren für ihre Zwecke missbraucht und abgeschaltet werden) wieder zu reaktivieren und die Mitochondrien dadurch wieder in ihre „normale“ Funktion zu bringen, sinkt einerseits sofort der Laktatgehalt und damit das saure Milieu um den Tumor und weiterhin können Mitochondrien ggf. die Apoptose einleiten und die Zellen damit in den Tod treiben.
Der Grundgedanke, Tumorzellen auf eine Art Diät zusetzen und ihnen Nährstoffe zu entziehen, ist dennoch gut, denn tatsächlich sorgt dies für Stress. Im Rahmen einer ketogenen Ernährungsphase können Tumorzellen so im Idealfall in einen Zustand des Dauerstresses geraten. Auch das Fasten entzieht Tumorzellen gleich auf mehreren Ebenen wichtige Substanzen. Dies alleine reicht aber noch nicht aus, selbst wenn die Möglichkeit besteht, das einzelne Tumorzellen so in den Zelltod getrieben werden. Wie bereits dargelegt, können Tumorzellen die Stoffwechselvorgänge nach Bedarf regulieren und auf Alternative Wege zurückgreifen.
Der Ansatz ist dennoch richtig, denn dadurch wird der eigentliche Lebenszyklus von Tumorzellen gestört und diese sind gezwungen ihre Wachstumsstrategien ggf. erst einmal auf Eis zu legen, denn das reine Überleben ist nun wichtiger. Wenn Tumorzellen durch einen Verzicht auf Kohlenhydrate alleine auch nicht bezwungen werden können, so wird durch eine drastische Reduktion von eben solchen, die hohe Glykolyserate gedrosselt und somit fällt auch deutlich weniger Milchsäure an. Nutzt man diesen Zustand mit weiteren Maßnahmen aus, kann daraus ein erfolgversprechendes Therapiekonzept werden. Möglicherweise liegt hier auch der Erfolg von Ketogenen Ernährungsstrategien im Rahmen von weiteren Maßnahmen, die seit Jahren in Studien berichtet werden.
In dieser Phase des Stresses sind Tumorzellen wesentlich empfindlicher, sowohl auf klassische Chemotherapien als auch auf alternative Ansätze. Es gibt leider auch Studien, die gezeigt haben, das bestimmte Tumorzellen in einem Glukosemangelzustand vor bestimmten Chemotherapien geschützt sind. Das muss aber immer im Kontext von Patient, Tumor, Therapie usw. gesehen werden.
Ziel sollte nicht nur die Vernichtung der vorhandenen Krebszellen sein, sondern vor allem auch die Wiederherstellung der körpereigenen Systeme und, sofern möglich, die Beseitigung jeder möglichen Ursache, unabhängig davon ob diese physisch, mental oder seelisch begründet ist. Oft gibt es auch mehr als eine Ursache.
Es ist wesentlich, dass unsere Ernährung, unsere Lebensweise, wie auch zahlreiche andere Faktoren, maßgeblich an der Krebsentstehung, der Prävention wie auch der Therapie, beteiligt sind.
Die Vorstellung, dass ein alleiniger Verzicht auf Zucker Krebszellen effektiv aushungern kann, ist aber eine Vereinfachung, die der Komplexität des Tumorstoffwechsels nicht gerecht wird. Während Krebszellen einen erhöhten Glukosebedarf haben, sind sie nicht ausschließlich darauf angewiesen und können auf andere Nährstoffe ausweichen. Auch eine kontrollierte Eiweißzufuhr muss neben anderen Faktoren berücksichtigt werden.
Insgesamt ist die Beziehung zwischen Krebs und Zuckerverzicht also viel differenzierter, als es oft in den sozialen Medien dargestellt wird. Während es stimmt, dass Krebszellen eine andere Art der Energiegewinnung bevorzugen, ist es nicht so einfach, sie durch einen Verzicht auf Zucker (gemeint sind allerdings Kohlenhydrate) auszuhungern.
Hinzu kommt, dass viele Menschen sich darunter einen Verzicht auf Süßigkeiten, Kuchen und Co. vorstellen. Doch das reicht bei Weitem nicht aus. Mit einem Zuckerverzicht im Rahmen einer Tumorerkrankung muss sämtlicher freier Zucker gemieden werden, nicht nur in Süßigkeiten sondern in allen Lebensmitteln denen Zucker zugesetzt wurde oder die einen sehr hohen Gehalt davon haben. Dazu gehören auch raffinierte Kohlenhydrate (Weißmehlprodukte etc.), Fertigprodukte und andere Lebensmittel, wie sehr süßes Obst, weißer Reis usw. Ziel muss ein hochgradig stabiler Blutzuckerspiegel ohne Schwankungen sein, dies lässt sich durch eine moderate Kohlenhydratzufuhr, bestehend aus komplexen Kohlenhydraten erreichen. Darüber hinaus auch im Rahmen einer ketogenen Ernährung und beim Fasten.
Krebszellen können auch Eiweiße und andere Substanzen als Energiequelle nutzen und können Zucker aus anderen Zellen mobilisieren. Es ist wichtig, dass Patienten und Ärzte eine umfassende und individuelle Therapie entwickeln, die alle Aspekte der Krebsbehandlung berücksichtigt. Leider werden die Ernährung und zahlreiche weitere Faktoren von der Schulmedizin bisher nicht ausreichend berücksichtigt.
Eine sich immer wiederholende Phase des Verzichts auf Kohlenhydrate, z.B. in einer gut abgestimmten ketogenen Ernährungsphase, kann aber eine vielversprechende Grundlage für eine Therapie darstellen, vor allem, wenn dies mit mehreren weiteren Therapiestrategien kombiniert wird. Dies bestätigen aktuell unzählige Studien. Dennoch wird es vermutlich noch lange dauern bis es zu konkreten diätischen Interventionen in der Schulmedizin kommt.
Zuckerzufuhr, vor allem bei manifesten Krebserkrankungen, ist im Umkehrschluss allerdings wenig förderlich. Ein erhöhter Blutzuckerspiegel spielt Tumorzellen in die Karten und kann Tumorwachstum und Metastasierung fördern. Um ganzheitliche Ansätze zu verfolgen ist immer die Gesamtsituation des Einzelnen zu betrachten und neben der Ernährung sind viele weitere Faktoren notwendig und ausschlaggebend. Darüber hinaus schädigt ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel die Mitochondrien und das Darmmikrobiom. Es Bedarf zukünftig noch mehr Forschungen auf diesem Gebiet, wenn es auch wenig im Fokus steht, lässt sich mit Erkentnissen der Ernährungstherapie doch deutlich weniger Geld verdienen.
Apoptose: Protokollähnliches zelleigenes Programm, was im Prinzip einem Zellsuizid gleichkommt. Dabei kommen andere Zellen nicht zu schaden. Die Einleitung findet in den Mitochondrien statt.
ATP: Adenosin-Tri-Phosphat ist die energiereiche „Währung“ des menschlichen Organismus.
Laktat: Salz der Milchsäure, fällt bei der Vergärung von Glukose (Zucker), z.B. in Tumorzellen oder Geweben mit unzureichender Sauerstoffzufuhr.
Glykolyse: Erster und wichtigster Schritt im Abbau von Zucker (Glukose). Die Glykolyse findet direkt in der Zelle statt.
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