Luise F. kennt alle Toiletten in der Stadt. Wenn der Harndrang kommt, muss sie schnell das gewisse Örtchen finden, sonst kann es zu spät sein. Dann gehen Urintropfen ungewollt in den Slip und die kleine Vorlage, die sie zur Sicherheit ständig trägt. Sie ist eine von Millionen Frauen in Deutschland die unter einer Reizblase leidet. Neben dem gehäuften Harndrang ist der unwillkürliche Urinabgang ein typisches Symptom der Erkrankung.
Es ist ein häufig verkanntes und noch häufiger nicht angesprochenes Leiden, das sowohl Kinder als auch Männer und Frauen betreffen kann: unwillkürlicher Urinabgang, auch Harninkontinenz genannt. Dabei ist das Symptom weit verbreitet und für die Betroffenen sehr belastend. Je nach Lebensalter sind bei Frauen 4-50% und bei Männern 2-24% vom Leiden befallen. Die Ausprägungsgrade können sehr leicht (nur einige Tropfen Urinverlust bei körperlicher Anstrengung) bis sehr stark (ständiges Urintröpfeln) ausgeprägt sein und auch unterschiedliche Formen annehmen.
Der Mediziner spricht von einer sogenannten Dranginkontinenz, wie bei Luise F., wenn die Blase quasi macht, was sie will. Sie zieht sich einfach zusammen und presst den Urin durch die Harnröhre und der Schließmuskel kann es nicht halten. Die Ursachen können vielfältig sein: Entzündungen in der Blase, Hormonmangel nach den Wechseljahren oder einfach ein Stresssymptom bei Überlastung.
Eine andere sehr häufige Form der Inkontinenz ist die sogenannte Belastungsinkontinenz. Dabei kommt es in der Regel bei körperlicher Anstrengung (Laufen, Hüpfen, Lachen, Niesen, etc.) zum Abgang von kleinen Urinmengen. Hier ist meist der Schließmuskel, der unter der Blase liegt und diese normalerweise wie ein Ventil verschließt, nicht mehr stark genug oder die Blase hat sich gesenkt, so dass der Muskel nicht mehr richtig wirken kann. Das ist meist nach mehreren Geburten der Fall, da der Beckenboden dadurch sehr gedehnt und geschädigt werden kann.
Auch Männer können unter einer Inkontinenz leiden, vor allem bei Prostataerkrankungen oder nach Operationen im kleinen Becken. Bei Kindern dagegen spricht man aber nicht von einer Inkontinenz, sondern von Einnässen (Enuresis) oder Bettnässen, da dies meist in der Nacht geschieht. Der Weg zur Trockenheit ist aber oft lang und von Einnässen spricht der Fachmann erst nach dem 5. Lebensjahr, quasi wenn die Kinder in die Schule kommen. Die Blasenreifung ist sehr individuell und mache Kinder werden sehr schnell, manche sehr langsam trocken. Nur selten liegt dahinter eine echte Krankheit verborgen.
In den letzten Jahren sind die Behandlungsmethoden einer Inkontinenz immer besser und schonender geworden. Neue Medikamente können - je nach Ursache - entweder die Blase beruhigen oder den Schließmuskel stärken.
Auf jeden Fall muss der Arzt aber zunächst die Ursache der Inkontinenz klären. Das machen Urologen oder - bei Frauen - auch Gynäkologen. Häufig kann der Fachmann nur durch genaues Erfragen der Beschwerden klären, um welche Form der Inkontinenz es sich handelt. Wenn Medikamente in der Behandlung nicht ausreichen oder nicht vertragen werden, kommen eine Fülle anderer Methoden in Frage. Bei der Reizblase kann man z.B. durch einen niedrigen elektrischen Strom auf die Blase die Medikamente direkt in den Blasenmuskel einbringen (EMDA). Manchmal helfen aber schon eine gute Aufklärung, ein paar Tipps vom Fachmann oder krankengymnastische Übungen (Beckenbodentraining) um wieder trocken zu sein.
Bei hochgradigen Formen einer Blasenüberaktivität wird von Fachleuten eine Behandlung durchgeführt, die man sonst nur in der Schönheitschirurgie kennt: Botox. Dabei handelt es sich um ein Nervengift, das nicht nur im Gesicht die Falten glätten kann, sondern auch in der Harnblase für Ruhe und Erleichterung sorgen kann. Leider hat es in der Blase aber auch die gleichen Mechanismen wie im Gesicht: nach einigen Monaten oder Jahren kommen die Beschwerden wieder und die Behandlung muss evtl. wiederholt werden. Manchmal ist es sogar notwendig, eine Art Schrittmacher - ähnlich wie am Herzen - einzubauen, um die überaktiven Blasennerven zu bremsen.
Auch die Therapien bei Belastungsinkontinenz sind in den letzten Jahren sehr viel schonender geworden. Während früher oft Bauchschnitte erforderlich waren, so sind heute kleine Eingriffe von der Scheide aus (1 cm) die Regel. Diese sogenannten Bändchen-Verfahren werden heute auch bei Männern angewandt, wenn der Schließmuskel z.B. nach Prostatakrebsoperationen nicht mehr richtig funktioniert. Die Besserungs- und Heilungsraten liegen bei über 80%.
Allen Betroffenen wird geraten, sich vertrauensvoll an den Hausarzt, Urologen oder Gynäkologen zu wenden und das Thema auch tatsächlich anzusprechen. Wer aus Scham den Gang zum Arzt vermeidet, verschließt sich einer effektiven Therapie mit einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität.
Luise F. konnte geholfen werden: ihr Gynäkologe hat sie untersucht und einen leichten altersbedingten Hormonmangel im Bereich der Scheide und der Harnröhre festgestellt. Schon die Verabreichung nur eines Vaginalzäpfchens pro Woche und begleitende Beratung und Übungen hat die Beschwerden deutlich verbessert.
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