Team jameda
Die zunächst einfachste und am häufigsten angewandte Methode zur Bekämpfung des Schmerzes ist die Selbstmedikation. Diese wird häufig sowohl durch uns Ärzte als auch durch die überall präsente Werbung der Pharmaindustrie gefördert. Hintergrund ist die häufig rasche Wirksamkeit von Schmerzmitteln wie Ibuprofen, Paracetamol und Acetylsalicylsäure, häufig in Kombination mit wirkungsverstärkenden Substanzen. Im Falle einer vermeintlich echten Migräne werden auch Medikamente wie Triptane und teilweise Neuroleptika wie MCP eingesetzt. Aufgrund der häufig raschen Wirkung der Medikamente, neigen Patienten dazu, den Schmerz als eine Art chemische Entkoppelung im Körper wahrzunehmen.
Patienten mit chronischem Kopfschmerz lernen die Folgen von häufigen Medikamenteneinnahmen manchmal sehr schnell kennen: Hier kommt es durch Gewöhnung an eine Substanz sowie durch ein Rebound-Phänomen zum Entzugskopfschmerz. Das Schmerzgedächtnis wird wiederkehrend mit den Informationen über den Schmerz gefüttert. Hierdurch kann es zu einer Chronifizierung des Schmerzes kommen.
Auch die medikamentöse Behandlung der vermeintlich echten Migräne durch Triptane oder ähnliche Substanzen soll nun einmal kritisch betrachtet werden. Ausgangspunkt der pharmakologischen Forschung ist die Nachweisbarkeit von neurophysiologischen Veränderungen insbesondere in der Blutgefäßweitstellung im Bereich der Schädelbasis, der nervlichen Erregungsbereitschaft sowie Spannungsveränderungen der Nackenmuskulatur. Im Umkehrschluss werden demzufolge Substanzen als Wirkstoffe isoliert, die insbesondere auf diese Mechanismen einwirken und deren schmerzreduzierender Erfolg als Beweis für die Richtigkeit einer postulierten Schmerzentstehungshypothese ‘im objektiv-apparativen, nachweisbaren Bereich’ steht.
Dieser Beitrag ist kein Plädoyer gegen jegliche Medikamenteinnahme. Die Schmerzursachen sollten explizit differenziert werden, um möglichst viele chemische Substanzen in der Behandlung des Schmerzes einzusparen und die wirklichen Ursachen zu behandeln. Patienten mit chronischen Kopfschmerzen erleben häufig eine unterschwellige oder offensichtliche Hilflosigkeit des Therapeuten beziehungsweise des Arztes.
Unter der Berücksichtigung aller möglichen Entstehungsmechanismen, die im Folgenden beispielhaft genannt werden sollen, kann, begleitend zur pharmakologischen Therapie, eventuell unter Einbezug weiterer alternativ-medizinischer Methoden, der Kopfschmerz effektiv behandelt werden.
Das Gehirn selber ist nicht schmerzempfindlich. Es wird von einer sehr sensiblen Hülle der Hirnhaut, im Folgenden ‘Dura’ genannt, umgeben. Diese ist äußerst schmerzempfindlich und reagiert auf geringste Spannungsveränderungen. Durch vielfältige Interaktionen mit den Schädelknochen und dem Bindegewebe der Kopfhaut über faserige Verbindungen und interagierende Nervenäste (Rami meningei), den anatomischen Verbindungsstellen an der Schädelbasis und im Verlauf ihrer Verlängerung als Rückenmarksschlauch bis zum Kreuzbein hinunter, sind gegenseitige Wechselwirkungen mit dem Bewegungsapparat sowohl nach oben als auch unten möglich. Im Folgenden sollen einige Verkettung-Syndrome beispielhaft erklärt werden.
Bei ständigem Zähneknirschen oder -pressen, Bruxismus genannt, welches insbesondere nachts mit einer Kraftentwicklung von 400 Kilogramm pro Quadratzentimeter über die Kaumuskulatur auf die Schädelknochen wirkt, kann es zu einer Kompression der über zackige Nähte aneinander gelegten Schädelknochen kommen. Es kann zu Verschiebung der Schädelnähte mit der Verengung von Nervenaustrittslöchern (zum Beispiel beim Cluster-Kopfschmerz und Trigeminusneuralgie), als auch zu Spannungsfeldern innerhalb der Knochenstrukturen kommen.
Eine ständige Fehlhaltung des Oberkörpers, zum Beispiel durch einen unergonomischen Arbeitsplatz am PC, sowie durch zu wenig ausgleichende Muskelaktivität, kann zu einer Dauerverspannung des Kapuzenmuskels (Trapezmuskel) mit seinen Ansatzfasern am Hinterhaupt sowie zu einer massiven Verkürzung der Nackenstrecker führen. Diese haben unmittelbar knöchernen Kontakt zur Schädelbasis. Im Bereich der obersten Halswirbel besitzen kleine Muskeln direkten Kontakt zur Hirnhaut. Insofern ist eine muskuläre Fehlbelastung wirksam auf die Spannung der Hirnhaut und kann als Schmerz wahrgenommen werden. Da sich im Bereich des Überganges von der Halswirbelsäule zum Kopf der Hirnstamm befindet, in dem das rudimentäre, also evolutionär älteste Hirnareal liegt, wo die basalen Körperfunktionen reguliert und mit den höheren sensorischen Fähigkeiten verknüpft werden, kann es zu massiven vegetativen Begleitreaktionen kommen. Zu nennen sind hier Übelkeit, Schwindel, Druck auf den Augen, Taubheit im Gesichtsbereich, Tinnitus, Minderung der Sehfähigkeit oder Hörminderung.
Bei wiederkehrenden Blockierungen im Brustwirbelbereich mit eingeschränkter Atembeweglichkeit des Brustkorbes, zum Beispiel aufgrund eines Störfeldes im Oberbauch mit Zwerchfellverkürzung, kann es zu einer Überlastung der Atemhilfsmuskulatur, nämlich der Schulternacken- und oberen Rückenmuskulatur kommen. Permanente Überlastung dieser Muskulatur kann über die Verkettung wie im oben genannten Abschnitt direkt auf die Nackenspannung einwirken oder aber direkt über ungünstige Hebelmechanismen Zug auf die Dura bewirken.
Aufgrund der anatomischen Kenntnisse, dass die Hirnhaut locker über das Gehirn gezogen erscheint und nur im Bereich des großen Schädelloches an der Basis des Kopfes angeheftet ist sowie eine weitere knöcherne Verbindung erst im unteren Rücken, im Bereich des Kreuzbein besitzt, müssen auch Veränderungen im unteren Rücken sowie im Beckenring und kleinen Becken zwingend bei chronischen oder wiederkehrenden Kopfschmerzen berücksichtigt werden. Als klassisches Beispiel soll hierfür der Kopfschmerz während oder vor der Periode der Frau, beziehungsweise das Wegfallen von Migräneattacken mit eintreten der Menopause, der Wechseljahre, erklärt werden.
Unter der Einwirkung der periodischen Hormonschwankungen kommt es bei der Frau zu einer vorrübergehenden Erweichung des Bindegewebes. Hierdurch ändert sich die Form des über Bänder zusammengehaltenen Beckens und somit auch in der Verbindung zum unteren Rücken (lumbosacraler Übergang). Dies kann als Hypermobilität im Becken und dem unteren Lendenbereich gemessen werden. Allein hierdurch kann es unter Bewegung zu vermehrter Zugkraft auf die Dura kommen. Hinzu kommen kontraktile Eigenbewegungen der Gebärmutter und der Eileiter die sich als Bewegungsenergie auf das Becken umleiten lassen. Bei Störung der freien Beweglichkeit, zum Beispiel aufgrund von Unterleibsoperationen, Entzündungen im Bereich der Eierstöcke oder Beckenbodenfunktionsstörungen können sich die Organbewegungen ungünstig auf den Beckenring übertragen und als ein zusätzlicher Zug auf die Hirnhaut auswirken. Im Rahmen einer einfachen Hebelverlagerung kann der Zug am unteren Teil der Dura zu einem ausgeprägten Zug im oberen Teil, sprich an der Schädelbasis oder im Schädel selber, mit korrespondierendem Schmerz führen.
Manuelle Medizin und Osteopathie können, unter Berücksichtigung einer neurologischen und orthopädischen Untersuchung, ursächliche Verkettungen als Entstehungsgrundlage von Kopfschmerz ausfindig machen und behandeln. Therapeutisch gehören hierzu die Untersuchung des Beckenringes in seiner biomechanischen Funktion sowie die Untersuchung des kleinen Beckens mit Überprüfung der freien Beweglichkeit der inneren Organe. Dies betrifft sowohl Frauen als auch Männer! Des Weiteren muss die Funktion der Wirbelsäule frei von Spannungen sein. Über chirotherapeutische Techniken können Blockaden gelöst werden. Myofasziale, osteopathische Techniken im Bereich der Muskulatur können massive Verspannungen erfolgreich lösen. Im Bereich des Schädels und Ãœbergang zur oberen Halswirbelsäule, insbesondere im Bereich der Kopfgelenke, können unter Zuhilfenahme von manualmedizinischen Muskeltechniken, chirotherapeutischen Manipulationen und Osteopathie Spannungen drastisch reduziert werden. Die craniosacrale Osteopathie bietet zudem die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die Schädelnähte zu nehmen. Auch die Behandlung der Schädelknochen durch den Mund ist möglich. Die Kooperation mit einem spezialisierten Zahnarzt ist im Falle des ursächlichen Bruxismus und der begleitenden cranio-mandibulären Dysfunktion (CMD) zwingend erforderlich. Somit kann eine vollständige Entlastung der schmerzhaften Verspannungsareale erwirkt werden. Durch die geschulte Fähigkeit des Osteopathen, Spannungen im Bereich des Kopfes zu erkennen und zu modulieren, wird über nervale Rückkopplungsmechanismen vom Schädeldach zur Hirnhaut eine entspannende Regulation des häufig gesteigerten autonomen Nervensystems bewirkt. Dies wirkt den chronifizierenden Impulsen auf das Schmerzgedächtnis im Hypothalamus entgegen. Supportive Therapien, in Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten oder anderen Heilberufen, sind Akupunktur, Massagen, Wärmeapplikationen, Schröpfen, Kinesiotaping, Optimierung des Arbeitsplatzes und nicht zu vergessen: körperliche Aktivität mit einer gezielten Trainingsanleitung zur Stabilisierung der Wirbelsäulenabschnitte sowie Löschen und Umprogrammieren von falschen Bewegungsabläufen.
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