Was tun, wenn ein Mensch mit Vorhofflimmern nicht mit ‘Blutverdünnern’ behandelt werden kann oder will, um ihn vor Schlaganfällen zu schützen? Vor der Antwort ein kurzer medizinischer Überblick zum Thema Vorhofflimmern:
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Vorhofflimmern steigt mit dem Alter, d. h. während es in der Gruppe der Vierzigjährigen eine Seltenheit darstellt, haben mehr als 10 % der über Achtzigjährigen diese Herzrhythmusstörung dauerhaft. Das Flimmern oder auch Fibrillieren der Vorhöfe (auch Vorkammern genannt; der Lateiner/Mediziner sagt fibrillatio atriarum) ist die Folge einer unkoordinierten elektrischen Erregung des Herzmuskels in diesem Bereich. Der so genannte Sinusknoten im rechten Vorhof ist der eigentliche Taktgeber des Herzens. Er verliert seine Taktgeberfunktion durch elektrische Impulse aus anderen Bereichen der Vorhöfe. Diese Impulse kommen fünf- bis sechsmal so häufig wie die Impulse des Sinusknotens. Die Muskulatur der Vorkammern reagiert nun mit mehr als 400 Schlägen pro Minute. Kein Muskel kann sich so schnell zusammenziehen und wieder entspannen. Tatsächlich herrscht dann Stillstand. Die Vorkammern kontrahieren nicht mehr.
Ginge es nur um den Stillstand der Vorhöfe, würde das ein davon betroffener Mensch nicht bemerken. Da Vorhofflimmern jedoch aufgrund des fehlenden regelmäßigen Taktes ‘von oben’ ein unregelmäßiges Schlagen der Hauptkammern verursacht, kommt es bei den Betroffenen - nicht bei allen - zum Gefühl des Herzstolperns. Nicht selten aber wird die Rhythmusstörung zufällig bei einem Routine-EKG beim Hausarzt entdeckt.
Eine der schwerwiegendsten Folgen des Stillstandes der Vorkammern ist die Bildung von Blutgerinnseln innerhalb des Herzens. Blut gerinnt, wenn es nicht richtig fließt. Jede der beiden Vorkammern hat eine etwa daumengroße Aussackung: die so genannten Vorhofohren (auch diese Bezeichnung ist aus dem Lateinischen übersetzt, auriculum atrialis).
Unter normalen Umständen bei einem regelmäßigen Herztakt ziehen sich diese Aussackungen rhythmisch zusammen, das Blut fließt hinein und wieder heraus. Bei Vorhofflimmern fehlt die Kontraktion und die Fließgeschwindigkeit des Blutes innerhalb dieser Aussackung ist drastisch reduziert, die Bildung eines Blutgerinnsels (Thrombus) im Vorhofohr kann die Folge sein. Wird ein Thrombus aus dem linken Vorhofohr herausgespült, gelangt er leider oft mit dem Blutstrom aus dem Herzen über die Halsschlagadern in das Gehirn. Dort verstopft das Blutgerinnsel eine Hirnarterie und die Durchblutung eines von dieser Arterie abhängigen Teils des Gehirns kommt zum Stillstand - das Gewebe stirbt ab, der Mensch erleidet einen Schlaganfall.
Es gibt auch andere Ursachen für Schlaganfälle. Etwa ein Viertel aller Ereignisse wird durch Blutgerinnsel aus dem Herzen verursacht. Leider sind dies häufig die Hirnschläge mit den schlimmsten Folgen: Bleibende Lähmungen einer Körperhälfte oder des Sprachzentrums oder sogar dauerhafte Pflegebedürftigkeit.
Das ist der Grund, warum Ärzte ihren Patienten mit Vorhofflimmern die Einnahme von ‘Blutverdünnern’ (Antikoagulanzien) empfehlen. Diese Medikamente verhindern etwa zwei Drittel der Schlaganfälle. Diese Behandlung hat allerdings eine Kehrseite - es kommt öfter zu Blutungen. Kleinere Banalitäten wie Schnittwunden beim Rasieren oder bei der Küchenarbeit brauchen etwas länger, bis die Blutung zum Stillstand kommt. Gefährlich werden können Blutungen im Körperinneren, z. B. in der Harnblase, im Magen-Darm-Trakt oder im schlimmsten Fall im Gehirn. Damit hätte man buchstäblich den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Die Beurteilung der Frage, ob eine Behandlung mit ‘Blutverdünnern’ einem Patienten mit Vorhofflimmern nützt oder eher schadet, ist eine der täglichen ärztlichen Gratwanderungen. Hilfestellung bei dieser Aufgabe geben zwei Bewertungssysteme, die sich aus der Beobachtung vieler tausender Patienten unter der Einnahme von Antikoagulanzien herausgebildet haben.
Es gibt einen Bewertungsmaßstab für das Risiko für Schlaganfälle (CHADS-VASc-Score) und einen für das Risiko von Blutungen (HASBLED-Score). Als Ergebnis einer Risikobewertung mittels dieser beiden ‘Checklisten’ kann sich herausstellen, dass die Behandlung mit ‘Blutverdünnern’ ein zu hohes Risiko für Blutungsereignisse mit sich bringt und daher auf die Behandlung verzichtet werden muss. Letztlich entscheidet auch der Wunsch des Patienten darüber, ob mit Antikoagulanzien behandelt werden kann.
Damit steht der geneigte Leser vor der am Anfang gestellten Frage. Eine Alternative zum Schutz des Gehirns vor Blutgerinnseln aus dem linken Vorhofohr ist der ‘mechanische’ Verschluss dieser Herz-Aussackung. Sehr vereinfacht dargestellt: Sie wird mit einem ‘Stöpsel’ verschlossen. Das Vorhofohr-Verschlusssystem, hier ‘Stöpsel’ genannt, kann im Rahmen einer Herzkatheter-Behandlung über ein Blutgefäß in der Leiste zum Herzen vorgebracht und im Vorhofohr implantiert werden.
Der Verschluss der Aussackung hat für die Herzfunktion keine negativen Folgen. Der Stöpsel wird von körpereigenem Herzgewebe überzogen und wächst dauerhaft in den Vorhofsack ein. Dadurch können sich an dieser Stelle keine Blutgerinnsel mehr bilden. Diese Methode ist in der Lage, genauso viele Schlaganfälle zu verhindern wie die Behandlung mit Blutverdünnern.
Allerdings muss der Patient dafür den Herzkatheter-Eingriff und damit ein Behandlungsrisiko in Kauf nehmen. Die Entscheidung für einen solchen Eingriff sollte nur nach sehr eingehender Aufklärung durch einen erfahrenen Kardiologen getroffen werden.
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