Team jameda
Ende letzten Jahres beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die geschäftsmäßige Sterbehilfe in Zukunft unter Strafe stellt. Es richtet sich vor allem gegen Sterbehilfevereine, die Patienten auf eigenes Verlangen hin todbringende Medikamente zur Verfügung stellten. Die Debatte zeigte, wie umstritten die Sterbehilfe nach wie vor ist. Einige Kritiker wollen gegen das neue Gesetz sogar vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Doch was spricht eigentlich für und was gegen ärztlich assistierte Sterbehilfe? Mehr über die Pro- und Contra-Argumente wollte jameda von Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, und von Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, erfahren.
Antwort von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben: Ist Selbstbestimmung im Leben und im Sterben in Deutschland nur eine leere Worthülse? Müssen wir Deutschen wirklich am Ende unseres Lebens in die Schweiz reisen, weil der Bundestag den Ärzten und die deutsche Bundesärztekammer ihren Mitgliedern die Fähigkeit zur eigenen Gewissensentscheidung offenbar nicht zutraut?
Ist Palliativmedizin, die den Sterbenden in den allerletzten Stunden, Tagen, Wochen bei unerträglichen Schmerzen durchaus effizient Erleichterung verschaffen kann, wirklich die einzige Antwort auf die vielfältigen Bedürfnisse von unheilbaren Schwerstkranken, bei denen der eigentliche Sterbeprozess aber noch nicht eingesetzt hat? Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben setzt sich für ein umfassendes, ergebnisoffenes, wertneutrales Beratungsangebot über alle Optionen am Lebensende ein, die das Restleben vielleicht noch erträglich machen. In letzter Konsequenz ist aber auch die (ärztlich) assistierte Freitodhilfe als Ultima Ratio nicht auszuschließen. Dazu muss es Ärzte geben, die die dafür nötigen und geeigneten Medikamente kennen und legal verschreiben dürfen, ohne Angst vor standesrechtlichen Sanktionen oder gar strafrechtlichen Verfolgung. Nach der neuen deutschen Rechtsprechung ist das nur noch sowohl dem Arzt wie dem „Nahestehenden“ im Einzelfall erlaubt, sofern die Tatherrschaft beim einwilligungsfähigen, handlungsfähigen Sterbewilligen liegt.
Die Selbstbestimmung am Lebensende gehört zur Menschenwürde ebenso wie das Recht auf eine echte Wahlfreiheit unter gleichwertigen Entscheidungen, ohne moralisierende Be- und Verurteilung seiner Wahl. Welchen Weg er gehen will, muss der persönlichen Entscheidung des Kranken überlassen bleiben entsprechend seinen ureigensten Wertvorstellungen und Erfahrungen.
Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung fordert seit Jahren das Recht auf diese Wahlfreiheit und die Mittel dazu, und eine große Zahl von Ärzten die entsprechende Gewissensfreiheit. Generell ist die Rechtsunsicherheit auf allen Ebenen, bei allen Betroffenen heute größer als vor dem Gesetz. Das seit November 2015 geltende Verbotsgesetz für organisierte Suizidhilfe kann und wird nicht lange Bestand haben.
Antwort von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin: Eigentlich bin ich für Sterbehilfe. Wir müssen nur klarstellen, was genau gemeint ist. Hilfe beim Sterben, also Linderung von Schmerzen, Luftnot und anderen belastenden Symptomen, Begleitung, menschliche Nähe und Zuwendung, also alles, was zur Hospiz- und Palliativversorgung gehört, sollte jedem Schwerstkranken und Sterbenden zugänglich sein. Dazu gehört natürlich auch, dass jeder Mensch bestimmen kann, wann eine medizinische Behandlung nicht mehr begonnen oder abgebrochen werden soll. Das gilt auch, wenn ein Patient mit hoher Querschnittslähmung die Einstellung der künstlichen Beatmung fordert. Dies ist geltendes Recht in Deutschland und ist auch aus ethischen Gründen geboten.
Wenn es aber um (ärztliche) Beihilfe zum Suizid geht, oder sogar um Tötung auf Verlangen, dann bin ich dagegen. Und je länger ich in der Palliativversorgung arbeite, desto klarer wird meine Ablehnung.
Ich erlebte schon, dass schwerstkranke Patienten, manchmal auch bei guter Symptomkontrolle, nach Suizidhilfe oder sogar nach Tötung auf Verlangen fragen. In der Auseinandersetzung mit diesem Wunsch wird aber immer wieder klar, dass dies nur sehr selten als eine Handlungsaufforderung zu verstehen ist. Oft fehlen Informationen oder es bestehen falsche Vorstellungen über den weiteren Verlauf – es ist gar nicht der Schmerz in diesem Moment, sondern das mögliche Leid, das den Wunsch auslöst. Hier sind Informationen über die Möglichkeiten zur Symptombehandlung in der Palliativversorgung nötig, zum Beispiel muss niemand qualvoll ersticken, weil Luftnot mit Opioiden bis zum Lebensende behandelt werden kann. Bei den wenigen Patienten, bei denen die Symptome nicht ausreichend kontrolliert werden können, ist es möglich, mit der palliativen Sedierung ein künstliches Koma für die letzten Lebenstage oder -stunden eingeleitet werden, so dass die Patienten nicht leiden.
Bei manchen Patienten ist es nicht das körperliche Leid, das zum Wunsch nach Suizidhilfe führt, sondern die Angst vor dem Verlust der Kontrolle. Oft ist dieses Gefühl mit der Angst verbunden, nur noch eine Last für die Familie zu sein. Wenn das auch manchmal nachvollziehbar ist, möchte ich doch nicht in einer Gesellschaft leben, die es als Grund für Suizidbeihilfe akzeptiert, dass sich ein kranker Mensch als Last empfindet.
Es bleiben einige wenige Patienten mit dem starken Bedürfnis, die Kontrolle über das Lebensende zu behalten. Vielleicht ist der freiwillige Verzicht auf Nahrung, eventuell auch auf Flüssigkeit, für diese Menschen ein Ausweg. Mit entsprechender Symptomkontrolle (Mundpflege) treten dabei weder Durst noch Hunger auf.
Vor allem zeigen aber die Erfahrungen aus den Ländern, in denen Suizidhilfe oder Tötung auf Verlangen gängige Praxis ist, zunehmend Probleme auf. In den Niederlanden sind es mittlerweile mehr als 5000 Menschen pro Jahr, darunter Patienten mit Depression oder solche, die nicht selbst die Tötung verlangt haben, sondern die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen der Patienten.
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat deshalb klar Stellung bezogen,[1] dass es zwar unbedingt zu den ärztlichen Aufgaben gehört, sich respektvoll mit Todeswünschen von Patienten – wie auch Suizidwünschen im engeren Sinne – auseinanderzusetzen. Es gehört jedoch nicht zum Grundverständnis der Palliativmedizin, Beihilfe zum Suizid zu leisten oder über die gezielte Durchführung eines Suizids zu beraten.
Genauso hat die European Association for Palliative Care nach einem ausführlichen Konsensprozess festgelegt, dass Tötung auf Verlangen und ärztliche Hilfe zum Suizid kein Teil der Palliativversorgung sind.[2] Palliativexperten sollten den Wunsch nach Tötung auf Verlangen oder Suizidhilfe anerkennen, wenn er geäußert wird, dies aber als Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Versorgung nehmen, beginnend mit umfassendem Assessment und Kommunikation, und dem Versuch, die Motivation und Haltung hinter diesem Wunsch zu verstehen.
[1] Nauck F, Ostgathe C, Radbruch L: Ärztlich assistierter Suizid. Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben. Deutsches Ärzteblatt 111 (2014) A67-71
[2] Radbruch L, Leget C, Bahr P, Müller-Busch C, Ellershaw J, De Conno F, Vanden Berghe P, on behalf of the board members of the EAPC: Euthanasia and physician-assisted suicide: A white paper from the European Association for Palliative Care. Palliative Medicine 30 (2016) 104-16
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