Pädophilie wird nach ICD-10 (Krankheitenkatalog der Weltgesundheitsorganisation) definiert als sexuelle Präferenz für Kinder, Jungen oder Mädchen oder Kinder beiderlei Geschlechts, die sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der Pubertät befinden.
Die Neufassung ICD-11 kennt stattdessen den Begriff pädophile Störung und gibt die folgende Definition: ein anhaltendes, fokussiertes und intensives Muster sexueller Erregung, das sich in anhaltenden sexuellen Gedanken, Phantasien, dranghaften Bedürfnisse oder Verhaltensweisen äußert und sich auf vorpubertäre Kinder bezieht. Damit eine pädophile Störung diagnostiziert werden kann, muss die betreffende Person diese Gedanken, Phantasien oder dranghaften Bedürfnisse ausgelebt haben oder durch sie stark belastet sein.
Damit wird deutlich: einen Krankheitswert hat nicht die sexuelle Präferenz als solche, sondern den Umgang mit dieser Präferenz.
Ein Mensch, der weiß, dass ihn das vorpubertäre Körperschema bei Jungen oder Mädchen erregen kann, aber diese Erregung nicht ausleben möchte und sich stattdessen auf andere, unproblematische Formen der sexuellen Erregung konzentriert - ein solcher Mensch ist zwar pädophil (d.h. prinzipiell durch Kinder erregbar), hat aber keine pädophile Störung.
Krankheitswert hat also nur ein Verhalten, das Leiden auslöst. Diese Leiden sind zunächst einmal bei den betroffenen Kindern vorhanden, die nicht nur im Moment des Übergriffs leiden, sondern oft auch Jahre später (zum Beispiel, wenn sie durch die erlittene Traumatisierung selber zum Leben der eigenen erwachsenen Sexualität nicht mehr fähig sind). Wichtig zu wissen ist, dass jede Konfrontation eines Kindes mit erwachsener Sexualität zu schweren psychischen Schädigungen führen kann - also auch scheinbar „liebevoller Sex auf Augenhöhe“ oder auch nichtpenetrative Situationen wie das Ansehen von Pornofilmen gemeinsam mit Kindern.
Schwere Leiden bei Kindern verursachen auch alle User von Kinderpornografie, die vom Gesetz her völlig zu Recht als mitverantwortlich für die Taten angesehen werden, die in den entsprechenden Videos und Bildern begangen werden. Ohne diese User würde es ja keine kinderpornografischen Produktionen geben.
Krankheitswert hat eine pädophile Störung aber auch dann, wenn sich die betreffende Person mit ihrem Verhalten selbst schädigt (z. B. durch eine Impulskontrolle in Bezug auf Kinderpornografie, welche die betreffende Person zu einer Gefängnisstrafe führen kann) oder auch durch entsprechende Gedanken und Phantasien, die zwar strafrechtlich nicht relevant sind, aber trotzdem für den Betroffenen äußerst unangenehm sein können, insbesondere durch starke Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls - bis hin zur Suizidalität.
Sobald es also zu solchen objektivierbaren Schädigungen kommt - bei Kindern oder auch beim Betroffenen selbst - liegt ein Krankheitswert vor. Und Krankheiten sollten behandelt werden - ärztlich und psychotherapeutisch.
Eine pädophile Störung gehört zunächst einmal in den Zuständigkeitsbereich eines Facharztes für Psychiatrie. Das ist vor allem deswegen wichtig, damit ein Fachmann (oder eine Fachfrau) beurteilt, inwieweit eine akute Gefährdung für Kinder oder für den Betroffenen selbst ausgeht (Suizidalität).
Der Arzt kann beurteilen, ob in extremen Fällen gegebenenfalls Medikamente verordnet werden sollten, die den Sexualtrieb herabsetzen. Unabhängig davon, ob eine Medikation erforderlich ist oder nicht - in jedem Fall ist Psychotherapie sinnvoll und notwendig.
Eine Heilung einer pädophilen sexuellen Präferenz ist nach aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft nicht möglich - genauso wenig, wie sich andere Formen der sexuellen Präferenz wie z.B. Homosexualität oder auch Fetischismus „heilen“ lassen. Die Krankheit gemäß ICD-11 ist ja auch nicht die sexuelle Präferenz als solche, sondern Schäden und Leiden, die ggf. durch diese Präferenz ausgelöst werden.
Genau an diesem Punkt setzt die Psychotherapie ein: nicht die sexuelle Präferenz als solche soll verhaltenstherapeutisch getilgt werden (was nach Stand der Forschung überhaupt nicht möglich ist), sondern das durch die Präferenz ausgelöste schädigende Verhalten soll aktuell und zukünftig wirksam verhindert werden.
Dazu stehen eine Reihe wissenschaftlich erforschter und in ihrer Wirksamkeit nachgewiesener Therapieverfahren zur Verfügung, zum Beispiel BEDIT (Berliner Dissexualitätstherapie nach Prof. Klaus Beyer).
Ziel dieser Therapien ist es, die Betroffenen zu Experten ihrer eigenen Störung zu machen: das heißt zunächst einmal eine umfangreiche Psychoedukation mit umfassender Wissensvermittlung.
So ist es wichtig, die Entstehungsweise und Wirkungsweise von Emotionen zu verstehen, um eigene Emotionen regeln zu können. Das heißt zum Beispiel zu verstehen, dass ab einem gewissen Grad der sexuellen Erregung eine Kontrolle durch den Verstand nur noch eingeschränkt möglich ist. Die Konsequenz dieses Wissens könnte etwa bedeuten, sich niemals sexuell erregt an den Computer oder ans Handy zu begeben. Die Gefahr wäre viel zu groß, in erregtem Zustand die einschlägigen Seiten erneut aufzusuchen (die der Betroffene in nicht erregtem Zustand gar nicht aufsuchen will).
Ein weiteres Ziel ist es zu lernen, wie mit der eigenen Sexualität sinnvoll umgegangen werden kann. Ein totales Verbot zur sexuellen Befriedigung, welches sich manche Betroffene auferlegen, ist kontraproduktiv. Die Abspaltung oder Leugnung der eigenen sexuellen Bedürfnisse führt erfahrungsgemäß eher früher denn später zum nächsten Rückfall.
Wichtig ist auch, den Betroffenen einen Perspektivwechsel aus ihrer Tätersicht zu ermöglichen, d.h. zu begreifen, dass das, was für den Täter (auch für den „passiven“ Täter, der sich Kinderpornografie „nur“ anguckt) als sexuell aufregend und positiv erlebt wird, für die betroffenen Kinder ein äußerst verstörendes, vielleicht sogar extrem beängstigendes oder ekliges Erlebnis sein kann - selbst wenn diese das im Augenblick gar nicht aussprechen oder ausdrücken können.
Die Fähigkeit zu einem solchen Perspektivwechsel kann ein sehr wirksamer Schutz vor Rückfälligkeit sein.
Wichtig ist es, dass ein Betroffener erkennt, dass er nicht nur wegen des Drucks des Gesetzes (extrinsische Motivierung) seine pädophile Veranlagung nicht an oder mit Kindern ausleben darf (auch nicht virtuell), sondern vor allem, weil er selbst Kindern nicht schaden möchte (intrinsische Motivation).
So gesehen ist das Beste, was ein Betroffener nach einer abgeschlossenen Therapie über sich sagen kann: Ich bin stolz darauf, mit meiner pädophilen Präferenz zu leben, aber so, dass ich niemandem mehr schade, mir selbst nicht und den Kindern auch nicht.
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