
Max ist 34 Jahre alt. Er lernt Anna kennen, sie verstehen sich großartig, lachen viel, teilen Interessen. Doch als sie nach einigen Monaten von Zukunft spricht – Zusammenziehen, vielleicht eine Familie – spürt Max Panik. Plötzlich wirken ihre liebevollen Nachrichten erdrückend, gemeinsame Pläne beängstigend. „Warum fühle ich mich eingeengt, obwohl ich sie liebe?“, fragt er sich. Wenige Wochen später trennt er sich. Es ist nicht das erste Mal, dass eine vielversprechende Beziehung an diesem Punkt scheitert.
Was Max erlebt, ist kein Einzelfall. Bindungsangst betrifft viele Männer – oft, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Doch woher kommt diese Angst, und wie kann man sie überwinden? Ein Blick auf die Bindungstheorie gibt mögliche Antworten.
Bindungsangst beschreibt die tiefsitzende Furcht vor Nähe und emotionaler Abhängigkeit in Beziehungen. Betroffene wünschen sich Liebe und Verbundenheit, doch sobald eine Beziehung ernster wird, entsteht Stress. Sie zweifeln, fühlen sich eingeengt oder verlieren plötzlich das Interesse. Oft äußert sich Bindungsangst in:
Diese Muster haben oft tiefe Wurzeln – und genau hier setzt die Bindungstheorie an.
John Bowlby, Begründer der Bindungstheorie, fand heraus, dass unsere frühen Bindungserfahrungen mit Eltern oder Bezugspersonen prägen, wie wir später Beziehungen führen. Mary Ainsworth ergänzte diese Erkenntnisse durch das berühmte „Fremde-Situations-Experiment“, in dem sie vier Bindungstypen identifizierte:
Menschen mit sicherer Bindung können Nähe und Autonomie gut ausbalancieren. Sie haben Vertrauen in Beziehungen, fühlen sich geborgen und sind in der Lage, Konflikte offen zu lösen.
Dieser Bindungstyp sehnt sich stark nach Nähe, hat aber Angst vor Zurückweisung. In Beziehungen zeigt sich oft starke Eifersucht oder das Bedürfnis nach ständiger Bestätigung.
Menschen mit vermeidender Bindung haben oft das Gefühl, ihre Unabhängigkeit bewahren zu müssen. Nähe empfinden sie schnell als erdrückend, weshalb sie Distanz suchen, auch wenn sie sich eigentlich nach Liebe sehnen.
Hier wechseln sich Angst vor Nähe und Angst vor Verlassenwerden ab. Dieser Bindungsstil ist häufig das Resultat traumatischer Erfahrungen oder inkonsequenter Zuwendung in der Kindheit.
Max zeigt typische Anzeichen eines vermeidenden Bindungsmusters. Wahrscheinlich hat er in seiner Kindheit gelernt, dass emotionale Nähe mit Unsicherheit oder Verletzung verbunden ist. Seine Angst ist also nicht rational, sondern tief in seinem Unterbewusstsein verankert.
Die Ursachen von Bindungsangst sind vielschichtig. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass frühkindliche Erfahrungen eine große Rolle spielen (Hazan & Shaver, 1987). Bindungsangst kann entstehen durch:
Neurobiologisch betrachtet zeigt sich in Studien, dass Bindungsangst mit einer erhöhten Aktivität in der Amygdala (dem Angstzentrum des Gehirns) zusammenhängt. Gleichzeitig sind Hirnregionen, die für emotionale Regulierung zuständig sind, oft weniger aktiv (Gillath et al., 2016). Das erklärt, warum Betroffene in engen Beziehungen plötzlich überfordert reagieren.
Die gute Nachricht: Bindungsmuster sind nicht in Stein gemeißelt. Studien zeigen, dass durch Selbstreflexion, therapeutische Unterstützung und neue Beziehungserfahrungen Veränderungen möglich sind.
Ein erster Schritt ist, die eigenen Muster zu erkennen:
Max könnte z. B. ein Tagebuch führen, um seine Muster bewusster wahrzunehmen.
Ein wichtiger Teil der Heilung ist es, neue, positive Beziehungserfahrungen zu machen. Das kann bedeuten:
Bindungsangst ist oft tief verwurzelt – und professionelle Begleitung kann helfen. Besonders geeignet sind:
Heilpraktiker:innen, die auf das Gebiet der Psychotherapie beschränkt sind, sowie zertifizierte Bindungstherapeut:innen bieten viele Methoden an, die bei Bindungsangst unterstützen können. Wichtig ist, auf eine fundierte Ausbildung zu achten – gute Anhaltspunkte sind Zertifizierungen, therapeutische Fachverbände oder eine Spezialisierung auf Bindungsthemen.
Nachdem Max seine Muster erkannt hat, wagt er einen neuen Versuch. Als er sich in Lisa verliebt, spürt er die alten Ängste. Doch diesmal läuft er nicht weg. Stattdessen spricht er offen über seine Gefühle – und Lisa reagiert verständnisvoll. Zum ersten Mal fühlt sich Nähe nicht wie ein Käfig an, sondern wie ein sicherer Hafen. Es ist ein Anfang.
Bindungsangst kann eine Beziehung belasten – doch sie ist überwindbar. Wer sich mit seinen Mustern auseinandersetzt, kann lernen, Nähe zuzulassen und gesunde Beziehungen zu führen. Veränderung ist möglich!
Wenn du dich in Max’ Geschichte wiedererkennst: Du bist nicht allein. Der erste Schritt zur Veränderung ist, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen – und dann mutig den nächsten zu gehen.
Die Veröffentlichung dieser Inhalte durch jameda GmbH erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung der jeweiligen Autoren.
Die Inhalte der Experten Ratgeber ersetzen nicht die Konsultation von medizinischen Spezialisten. Wir empfehlen Ihnen dringend, bei Fragen zu Ihrer Gesundheit oder medizinischen Behandlung stets eine qualifizierte medizinische Fachperson zu konsultieren. Der Inhalt dieser Seite sowie die Texte, Grafiken, Bilder und sonstigen Materialien dienen ausschließlich Informationszwecken und ersetzen keine gesundheitlichen Diagnosen oder Behandlungen. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Meinungen, Schlussfolgerungen oder sonstige Informationen in den von Dritten verfassten Inhalten ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors darstellen und nicht notwendigerweise von jameda GmbH gebilligt werden. Wenn die jameda GmbH feststellt oder von anderen darauf hingewiesen wird, dass ein konkreter Inhalt eine zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, wird sie die Inhalte prüfen und behält sich das Recht vor, diese zu entfernen. Eigene Inhalte auf unserer Website werden regelmäßig sorgfältig geprüft. Wir bemühen uns stets, unser Informationsangebot vollständig, inhaltlich richtig und aktuell anzubieten. Das Auftreten von Fehlern ist dennoch möglich, daher kann eine Garantie für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität nicht übernommen werden. Korrekturen oder Hinweise senden Sie bitte an experten-ratgeber@jameda.de.