Artikel 18/02/2025

Wenn Liebe Angst macht – Bindungsangst bei Männern verstehen und überwinden

Carlson El Murtadi M.Sc. Heilpraktiker für Psychotherapie
Carlson El Murtadi M.Sc.
Heilpraktiker für Psychotherapie

Max ist 34 Jahre alt. Er lernt Anna kennen, sie verstehen sich großartig, lachen viel, teilen Interessen. Doch als sie nach einigen Monaten von Zukunft spricht – Zusammenziehen, vielleicht eine Familie – spürt Max Panik. Plötzlich wirken ihre liebevollen Nachrichten erdrückend, gemeinsame Pläne beängstigend. „Warum fühle ich mich eingeengt, obwohl ich sie liebe?“, fragt er sich. Wenige Wochen später trennt er sich. Es ist nicht das erste Mal, dass eine vielversprechende Beziehung an diesem Punkt scheitert.
Was Max erlebt, ist kein Einzelfall. Bindungsangst betrifft viele Männer – oft, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Doch woher kommt diese Angst, und wie kann man sie überwinden? Ein Blick auf die Bindungstheorie gibt mögliche Antworten.

Foto eines Mannes auf einem Stuhl Lassen Sie nicht zu, dass Bindungsangst Ihre Beziehungen bestimmt – starten Sie jetzt Ihren Weg zu mehr emotionaler Sicherheit!

Was ist Bindungsangst?

Bindungsangst beschreibt die tiefsitzende Furcht vor Nähe und emotionaler Abhängigkeit in Beziehungen. Betroffene wünschen sich Liebe und Verbundenheit, doch sobald eine Beziehung ernster wird, entsteht Stress. Sie zweifeln, fühlen sich eingeengt oder verlieren plötzlich das Interesse. Oft äußert sich Bindungsangst in:

  • Schwierigkeiten, Gefühle zuzulassen oder auszudrücken
  • Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz („Ich will sie – aber nicht zu nah“)
  • Perfektionismus oder überhöhten Ansprüchen an den Partner
  • Plötzlichem Rückzug, wenn die Beziehung intensiver wird

Diese Muster haben oft tiefe Wurzeln – und genau hier setzt die Bindungstheorie an.

Die Bindungstheorie: Warum wir lieben, wie wir lieben

John Bowlby, Begründer der Bindungstheorie, fand heraus, dass unsere frühen Bindungserfahrungen mit Eltern oder Bezugspersonen prägen, wie wir später Beziehungen führen. Mary Ainsworth ergänzte diese Erkenntnisse durch das berühmte „Fremde-Situations-Experiment“, in dem sie vier Bindungstypen identifizierte:

1. Sichere Bindung

Menschen mit sicherer Bindung können Nähe und Autonomie gut ausbalancieren. Sie haben Vertrauen in Beziehungen, fühlen sich geborgen und sind in der Lage, Konflikte offen zu lösen.

2. Ängstlich-ambivalente Bindung

Dieser Bindungstyp sehnt sich stark nach Nähe, hat aber Angst vor Zurückweisung. In Beziehungen zeigt sich oft starke Eifersucht oder das Bedürfnis nach ständiger Bestätigung.

3. Vermeidende Bindung (häufig bei Bindungsangst)

Menschen mit vermeidender Bindung haben oft das Gefühl, ihre Unabhängigkeit bewahren zu müssen. Nähe empfinden sie schnell als erdrückend, weshalb sie Distanz suchen, auch wenn sie sich eigentlich nach Liebe sehnen.

4. Desorganisierte Bindung

Hier wechseln sich Angst vor Nähe und Angst vor Verlassenwerden ab. Dieser Bindungsstil ist häufig das Resultat traumatischer Erfahrungen oder inkonsequenter Zuwendung in der Kindheit.

Max zeigt typische Anzeichen eines vermeidenden Bindungsmusters. Wahrscheinlich hat er in seiner Kindheit gelernt, dass emotionale Nähe mit Unsicherheit oder Verletzung verbunden ist. Seine Angst ist also nicht rational, sondern tief in seinem Unterbewusstsein verankert.

Warum entwickeln Männer Bindungsangst?

Die Ursachen von Bindungsangst sind vielschichtig. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass frühkindliche Erfahrungen eine große Rolle spielen (Hazan & Shaver, 1987). Bindungsangst kann entstehen durch:

  • Emotionale Vernachlässigung in der Kindheit („Sei ein starker Junge, Gefühle sind Schwäche.“)
  • Überfürsorgliche oder kontrollierende Eltern („Ich bestimme, was gut für dich ist.“)
  • Schmerzhafte Trennungserfahrungen (z. B. Scheidung der Eltern oder traumatische Beziehungserfahrungen)
  • Gesellschaftliche Erwartungen an Männlichkeit (Unabhängigkeit, keine Schwäche zeigen)

Neurobiologisch betrachtet zeigt sich in Studien, dass Bindungsangst mit einer erhöhten Aktivität in der Amygdala (dem Angstzentrum des Gehirns) zusammenhängt. Gleichzeitig sind Hirnregionen, die für emotionale Regulierung zuständig sind, oft weniger aktiv (Gillath et al., 2016). Das erklärt, warum Betroffene in engen Beziehungen plötzlich überfordert reagieren.

**Kann man Bindungsangst überwinden? **

Die gute Nachricht: Bindungsmuster sind nicht in Stein gemeißelt. Studien zeigen, dass durch Selbstreflexion, therapeutische Unterstützung und neue Beziehungserfahrungen Veränderungen möglich sind.

1. Selbstreflexion: Verstehen, was passiert

Ein erster Schritt ist, die eigenen Muster zu erkennen:

  • Wann genau beginnt das Gefühl von Enge?
  • Welche Gedanken und Ängste tauchen auf?
  • Gibt es Parallelen zu früheren Beziehungserfahrungen?

Max könnte z. B. ein Tagebuch führen, um seine Muster bewusster wahrzunehmen.

2. Sichere Bindungserfahrungen sammeln

Ein wichtiger Teil der Heilung ist es, neue, positive Beziehungserfahrungen zu machen. Das kann bedeuten:

  • Ehrlich mit dem Partner über die eigene Angst sprechen
  • Bewusst Nähe zulassen – Schritt für Schritt
  • Sich selbst erlauben, Emotionen zu zeigen

3. Therapeutische Unterstützung suchen

Bindungsangst ist oft tief verwurzelt – und professionelle Begleitung kann helfen. Besonders geeignet sind:

  • Tiefenpsychologische Verfahren (um unbewusste Ängste zu verstehen)
  • Gesprächstherapie nach Carl Rogers (förderlich für Selbstakzeptanz)
  • Systemische Therapie (hilft, Beziehungsdynamiken zu erkennen)

4. Den richtigen Heilpraktiker:innen für Psychotherapie finden

Heilpraktiker:innen, die auf das Gebiet der Psychotherapie beschränkt sind, sowie zertifizierte Bindungstherapeut:innen bieten viele Methoden an, die bei Bindungsangst unterstützen können. Wichtig ist, auf eine fundierte Ausbildung zu achten – gute Anhaltspunkte sind Zertifizierungen, therapeutische Fachverbände oder eine Spezialisierung auf Bindungsthemen.

Max’ Wendepunkt: Hoffnung auf Veränderung

Nachdem Max seine Muster erkannt hat, wagt er einen neuen Versuch. Als er sich in Lisa verliebt, spürt er die alten Ängste. Doch diesmal läuft er nicht weg. Stattdessen spricht er offen über seine Gefühle – und Lisa reagiert verständnisvoll. Zum ersten Mal fühlt sich Nähe nicht wie ein Käfig an, sondern wie ein sicherer Hafen. Es ist ein Anfang.

Fazit: Bindungsangst ist kein endgültiges Urteil

Bindungsangst kann eine Beziehung belasten – doch sie ist überwindbar. Wer sich mit seinen Mustern auseinandersetzt, kann lernen, Nähe zuzulassen und gesunde Beziehungen zu führen. Veränderung ist möglich!

Wenn du dich in Max’ Geschichte wiedererkennst: Du bist nicht allein. Der erste Schritt zur Veränderung ist, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen – und dann mutig den nächsten zu gehen.

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