Artikel 20/03/2013

Psychischer Stress und Blutgefäßalterung

Dr. med. Boris Leithäuser Internist, Kardiologe, Angiologe
Dr. med. Boris Leithäuser
Internist, Kardiologe, Angiologe
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Definition von ‘Stress’

Der Begriff ‘Stress’ ist nicht eindeutig definiert. Nach einem Model von Hans Seyle (1976) unterscheidet sich negativer (engl. ‘distress’) von positivem Stress (‘Eustress’). Negativer Stress bezeichnet den Zustand einer Überlastung oder Überforderung, wie z. B. schwerwiegende widrige Lebensereignisse oder ökonomische, familiäre und Arbeitsplatzbelastungen. Inwieweit diese Situationen tatsächlich zu negativem Stress werden, hängt in erster Linie von individuellen Voraussetzungen ab.

Möglichkeiten zur Bewältigung von Belastungssituation ergeben sich durch Persönlichkeitsmerkmale und Erfahrungsschatz eines jeden einzelnen. Ein weiterer wesentlicher Faktor für negativen Stress ist die Dauer der Belastungssituation. Positiver Stress ergibt sich nach Seyle durch eine erfolgreiche Meisterung von Anforderungen. Es muss also klar unterschieden werden zwischen einer herausfordernden Umweltsituation (‘Stressor’), der individuellen Empfindung dieser Situation als ‘distress’ und der entsprechenden ‘Stressreaktion’.

Stressreaktion

Die Stressreaktion ist eine Form der Anpassung des Organismus mit sehr komplexen körperlichen und geistigen Aktivierungsmustern, die dazu führt, dass eine Herausforderung bewältigt und anschließend wieder ein Gleichgewicht hergestellt wird (positiver Stress).

Der heutige Mensch ist, was seine Stressreaktion betrifft, auf dem Stand seiner Vorfahren vor vielen zigtausend Jahren. Damals gab es Stress bei Angriffen (Raubtiere, rivalisierende Gruppen) oder bei der Nahrungsbeschaffung (Jagd, Nahrungsmangel). Die Stressreaktion erhöht den Stoffwechsel, mobilisiert geistige und körperliche Reserven und versetzte den damaligen Menschen in die Lage zu Angriff, Abwehr und Flucht. Die Stresssituation war meist kurzfristig und darauf folgte eine Phase der Entspannung und Erholung.

Der heutige Mensch hat andere Probleme als seine Vorfahren: Nahrungsmangel übersetzt in die heutige Sprache der westlichen Welt bedeutet Arbeitsplatzverlust und für Angriff steht nicht selten der Begriff ‘Mobbing’. Zu den Arbeitsplatzfaktoren zählt auch das Ungleichgewicht zwischen erbrachter Leistung und der wahrgenommenen ‘Belohnung’. Dauerhaft bestehende Zustände, die mit Angst verknüpft sind, das anhaltende Gefühl einer vitalen Erschöpfung (‘Burn-out’) oder Depressionen unterhalten eine chronische Stressreaktion. Dies bedeutet das Fehlen von Erholung.

Wie funktioniert Stress?

Die Alarmierung des Körpers erfolgt durch Stresshormone aus der Nebenniere, lateinisch Glandula adrenalis. Eines zumindest ist weit bekannt, das Adrenalin. Manche Zeitgenossen stürzen sich von hohen Brücken und verhindern den Aufschlag am Boden durch lange Gummibänder an den Füßen. Sie wollen den Adrenalinstoß, den ‘Kick’. Cortisol ist ein weiteres Stresshormon aus der Nebenniere. Es wirkt nicht so schnell wie Adrenalin, dafür nachhaltiger. Die Hormone werden an die Blutbahn abgegeben und erreichen so in kürzester Zeit alle Organe, die zum ‘Kampf’ beitragen können. Energiespeicher werden zur Verfügung gestellt. Der Blutdruck steigt und die Muskeln werden vermehrt durchblutet, die Sinne ‘geschärft’.

Die Reaktion beginnt im Gehirn im Hypothalamus (griechisch ‘das Unterzimmer’). Dieser Hirnteil steuert das vegetative oder autonome (das unbewusste) Nervensystem. Bei einer Stressreaktion wird die Hypophyse (griechisch ‘das unten anhaftende Gewächs’) stimuliert und die wiederum setzt ein Hormon frei, was die Nebenniere zur Ausschüttung von Cortisol anregt. Adrenalin kann auf direkten Nervenreiz hin kurzfristig freigesetzt werden, Cortisol hilft dabei, die Adrenalinkonzentration langfristig zu erhöhen.
Dauerhafte Belastungen führen zu anhaltend erhöhten Konzentrationen von Stresshormonen im Blut. Hierdurch wird eine weitere, langfristig wirkende Abwehrreaktion in Gang gesetzt: die Entzündung.

Blutgefäßschäden durch chronische Entzündung

Die durch negative psychische Dauerbelastungen entstehende Entzündung tritt nicht durch Symptome wie bei einer Grippe oder einer Magenschleimhautentzündung in Erscheinung. Sie läuft unbemerkt und schleichend im gesamten Körper ab. Mit sensiblen Labormethoden kann sie diagnostiziert werden. Die Entzündung greift das Endothel an. Dies ist eine hauchdünne Zellschicht, die das Innere der Blutgefäße auskleidet. Die Gesamtfläche des Endothels aus allen Blutgefäßen des menschlichen Körpers beträgt 4.000 bis 7.000 Quadratmeter.

Das Endothel reguliert den Durchmesser der Gefäße und damit den Blutdruck. Es aktiviert oder hemmt die Blutgerinnung und bestimmt daher ganz entscheidend die Fließeigenschaften des Blutes. Wird das Endothel durch eine stressbedingte chronische Entzündung angegriffen, gehen diese Fähigkeiten zur Regulation verloren. Die Gefäße werden steif, der Blutdruck steigt, das Blut wird dicker und klebriger. Diesen Zustand bezeichnet die Wissenschaft als endotheliale Dys-(Fehl)-funktion. Es ist der erste Schritt auf dem Wege zur Gefäßverkalkung mit ihren Komplikationen wie z. B. Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall. Die endotheliale Dysfunktion lässt sich schon bei Teenagern nachweisen, die dauerhaften ungünstigen psychischen Belastungen ausgesetzt sind.

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