Lächelnd wird das Phänomen, unangenehme Erledigungen erst „auf den letzten Drücker“ zu machen, oft damit kommentiert, „nur unter Druck“ arbeiten zu können. Was von außen wie „Faulheit“ oder „Willensschwäche“ aussieht, ist für „AufschieberInnen“ meistens alles andere als lustig. Prokrastination betrifft vor allem Menschen, die viel selbstständig arbeiten müssen, ohne feste Fristen oder Druck vom Chef (bis zu 20 % der Bevölkerung, unter anderem Handwerker, Lehrer und Studierende, sind betroffen).
Sporadisches Aufschieben (von meist unangenehmen Aufgaben) ist weit verbreitet und per se nicht schlimm. Prokrastination ist die pathologische Form des Aufschiebens. Es handelt sich um eine Störung der Selbststeuerung. Prokrastination ist ein aktiver Prozess. Zwar wird nicht die Aufgabe erledigt, die gemacht werden muss. Dafür wird sich jedoch mit einer anderen Aufgabe beschäftigt, die auf den ersten Blick „angenehmer“ erscheint. Ein Klassiker ist, dass ich eine schriftliche Arbeit fertigstellen muss, es aber nicht schaffe, mich daranzusetzen und stattdessen die Küche putze. In dem Moment erscheint Putzen, obwohl es nicht zur größten Leidenschaft gehört, in Relation zur Textarbeit angenehmer. ProkrastiniererInnen haben beim Erledigen einer Alternativaufgabe in der Regel ein schlechtes Gewissen und genießen die Zeit weniger bis gar nicht.
Ansatz in der Forschung ist die Untersuchung von Zusammenhängen mit Persönlichkeitsmerkmalen. Perfektionismus gepaart mit Versagensangst kann zu Prokrastination führen. Eine Forschergruppe in den USA hat herausgefunden, dass es sich um einen genetischen Zusammenhang mit Impulsivität handelt. Auch kann es an der zu erledigenden Aufgabe selbst liegen, dass Prokrastination wahrscheinlicher auftritt, wie bspw. eine kaum vorstrukturierte Tätigkeit, eine unklare Aufgabenstellung, eine fehlende Deadline oder eine inhaltlich aversive Aufgabe.
Die Planung einer ganz konkreten Arbeitseinheit kann hilfreich sein: Wann möchte ich beginnen? Wie lange möchte ich arbeiten? Welches Ziel nehme ich vor? Welche Schritte sind notwendig? Zu Beginn soll die Hälfte der geplanten Inhalte für die Arbeitseinheit gestrichen werden.
Eine etwas paradoxe Methode ist die sogenannte „Arbeitszeitrestriktion“: Der Betroffene darf nur in einem zuvor festgelegten, realistischen Zeitfenster arbeiten. Darüber hinaus ist das Arbeiten verboten. Wenn der Betroffene es schafft, seine Zeitfenster effektiv mit Arbeit zu verbringen, kann das Zeitfenster ausgedehnt werden. So nimmt man sich nicht zu viel vor und schafft gleichzeitig Erfolgserlebnisse.
Aus der Perspektive der positiven Psychologie kann eine Haltung der Konzentration auf das Geschaffte im Gegensatz zum defizitorientierten Fokus auf das Nicht-Geschaffte Prokrastination nachhaltig reduzieren sowie generell die Leistung und das Wohlbefinden steigern.
Tritt Prokrastination mit anderen Störungsbildern zusammen auf wie einer Depression, einer Angststörung, ADHS oder beim Vorliegen von Merkmalen einiger Persönlichkeitsstörungen, ist es sinnvoll eine Psychotherapie zu machen. Eine Prokrastinationsbehandlung lässt sich gut integrieren.
Literatur:
Höcker, A., Engberding, M. & Rist, F. (2017). Heute fange ich wirklich an! Prokrastination und Aufschieben überwinden – Ein Ratgeber. Göttingen: Hogrefe.
Klingsieck, K.B. (2013). Wider besseres Wissen. Prokrastination – was steckt dahinter? Forschung und Lehre, 20, 308-309.
Rückert, H.W. (2014). Schluss mit dem ewigen Aufschieben: Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Stangl, W. (2024, 6. Jänner). Die Prokrastination - Aufschieberitis und theoretische Erklärungen.
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