Artikel 01/12/2015

Herzprobleme durch Testosteron?

Team jameda
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Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon – und seit vielen Jahren ein Zankapfel der Forschung. Während sich zahlreiche „Testosteron-Booster“ auf dem Markt tummeln, die müde Männer munter machen wollen, wollte eine Studie ein höheres Herzinfarkt-Risiko nach Testosterongaben beobachtet haben. Eine andere Studie zeigt dagegen, dass Testosteron wichtig für die Herzfunktion ist. Beugt das Hormon nun Herzprobleme vor oder verursacht es sie? Das wollte jameda von Prof. Haring wissen, der an der Fachhochschule Rostock und an der Uni Greifwald lehrt und die Wirkung des Testosterons erforschte.

jameda: Vor allem ältere Männer unterziehen sich Testosteron-Kuren, um Mängel auszugleichen, die mit Müdigkeit, Impotenz und Gewichtszunahme einhergehen können. Bei jungen Männern sind es vor allem Sportler, die sich mehr Muskelmasse und besser Trainingsergebnisse erhoffen. Nehmen Männer mehr Testosteron-Präparate als früher?
Prof. Haring: Wie viel Testosteron genutzt wird, verraten die Verordnungsdaten aus dem GKV-Arzneimittelindex des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Dabei wird deutlich, dass die Anzahl der Verordnungen allein zwischen 2010 und 2014 von 222.000 auf 281.000, also um 27%, angestiegen sind. Interessant ist dabei, dass vor allem Männer im mittleren Alter zwischen 40 und 60 Jahren zu den häufigsten Nutzern zählen.

jameda: Die Liste möglicher Nebenwirkungen einer Testosteron-Therapie ist lang. Dazu gehören neben Lustlosigkeit, Akne, Gynäkomastie und Gallensteinen auch Herzprobleme wie Bluthochdruck, Gefäßverkalkung und Herzschwäche. Werden die Nebenwirkungen im Allgemeinen unterschätzt?
Prof. Haring: Ja, es gibt Nebenwirkungen, aber diese äußern sich sehr individuell und sind daher nur schwer verallgemeinerbar. Meta-Analysen zur Testosterontherapie zeigen daher ein eher ausgewogenes Risiko-Nutzen-Profil. Das bedeutet, dass die potentiellen Risiken von Nebenwirkungen den möglichen Nutzen im Gesamtbild aufwiegen. Für den einzelnen Patienten ist deshalb bei der Therapie ein konsequentes Monitoring durch einen sachkundigen Arzt entscheidend.

jameda: Amerikanische Studien legen nahe, dass Testosterongaben außerdem das Herzinfarktrisiko erhöhen. Es gibt aber auch eine Studie, die ein niedrigeres Herzinfarktrisiko nach Testosteron-Therapien belegen will. Gibt es mittlerweile einen Konsens in der Forschung?  
Prof. Haring: Nein, es ist kein Konsens in Sicht, weil sich die Ergebnisse aus Beobachtungs-studien stark widersprechen und eine belastbare, große, randomisierte, placebo-kontrollierte klinische Studie zu den Effekten der Testosterontherapie beim Mann schlichtweg nicht existiert.

jameda: Testosteron ist aber auch wichtig für das Herz: Es verbessert die Pumpleistung des Herzens und senkt den Gefäßwiderstand. Wie viel Testosteron braucht der Mensch, um gesund zu sein?
Prof. Haring: Weil der Testosteronspiegel vom Alter, dem Lebensstil, Körpergewicht und Begleiterkrankungen abhängt, ist es schwer, einen allgemeinen Normwert für alle Männer und über alle Altersstufen hinweg festzulegen. Selbst zwischen Männern desselben Alters zeigt der Testosteronspiegel erhebliche Unterschiede. Daher ist eine individuelle Diagnostik absolut entscheidend. Die Gesundheit des Mannes nur auf den Testosteronspiegel zu reduzieren, ist jedenfalls viel zu kurz gedacht.

jameda: Ist es sinnvoll, dass Patienten mit Herzschwäche Testosteron-Präparate zu sich nehmen?
Prof. Haring: Nein, diese Indikation wird von den aktuellen Leitlinien der endokrinologischen Fachgesellschaften nicht unterstützt.

jameda: Welche Alternativen gibt es?
Prof. Haring: Als nicht-medikamentöse Alternative spricht der wissenschaftlichen Beweislast nach alles für einen gesunden Lebenswandel. Bei ausgewogener Ernährung, genügend körperlicher Aktivität, ausreichend Schlaf, Normalgewicht und Verzicht auf Alkohol und Zigaretten bestehen selbst im hohen Alter beste Chancen auf ausreichend Testosteron im Blut.

jameda: Warum haben ältere Männer, die an Herzschwäche oder an der Koronaren Herzkrankheit leiden, weniger Testosteron im Blut und dadurch eine geringere Belastbarkeit und Lebenserwartung?
Prof. Haring: Weil die dahinterliegenden Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und häufig auch ein Metabolisches Syndrom den Testosteronspiegel drücken und die Sterblichkeit erhöhen. Damit wirkt die Belastung durch Risikofaktoren gleich doppelt ungünstig. Wem es gelingt, seine Risikofaktorbelastung zu senken, erntet aber auch den doppelten Nutzen: ansteigende Testosteronspiegel und ein längeres Leben.

jameda: Ist Testosteronmangel ein Männerproblem oder sind auch Frauen betroffen?
Prof. Haring: Auch wenn Testosteronsprays kürzlich bei Frauen mit der Indikation „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ mit mäßigem Erfolg und unter viel Kritik klinisch getestet wurden, bezieht sich die Diskussion rund um Risiken und Nutzen der Testosterontherapie vornehmlich auf Männer.

jameda: Vielen Dank für das Interview!

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