Artikel 28/02/2021

Das jameda-Interview: 6 Fragen an Herrn Dr. med. Roland Gerlach

Dr. med. Roland Gerlach Neurologe, Internist
Dr. med. Roland Gerlach
Neurologe, Internist
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Ärzte haben einen besonderen Blick auf die Welt der Medizin. Damit Patienten hinter die Kulissen des Gesundheitswesens blicken können, stellt jameda Herrn Dr. med. Roland Gerlach interessante Fragen zu seinen Erfahrungen als Neurologe.

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jameda**: Herr Dr. Gerlach, was hat Sie motiviert, Neurologe zu werden, und warum haben Sie sich für Ihre Spezialgebiete entschieden?

Herr Dr. Gerlach: Die Neurologie gilt im Fächerkanon der Humanmedizin allgemein als etwas schwieriges und sperriges Fach. Dabei wird aber unterschätzt, dass jemand, der sich einmal solide neuroanatomische und neurophysiologische Kenntnisse erworben hat, mit den ganz einfachen Mitteln des ärztlichen Gesprächs und der körperlichen neurologischen Untersuchung in den meisten Fällen die richtige Diagnose stellen kann.

Man braucht also neben dem Fachwissen zunächst vor allem seine fünf Sinne und keine komplizierte und teure Technik, um weiterzukommen und um dem Patienten dann letztendlich helfen zu können.

Die apparative Zusatzdiagnostik überprüft dann häufig nur noch die klinische Verdachtsdiagnose oder ist zum Ausschluss anderer Erkrankungen (leider) erforderlich. Dies führt insgesamt zu einer hohen Berufszufriedenheit und verblüfft auch oft Patienten, bei denen zum Teil aufwändige vorherige technische Untersuchungen nicht zur richtigen Diagnose geführt haben.

jameda: Worin liegt Ihr Tätigkeitsschwerpunkt und was macht ihn so besonders?

Herr Dr. Gerlach: Grundsätzlich muss man in einer Arztpraxis möglichst breit aufgestellt sein – den Luxus einer ‘Spartenmedizin’, wie in einer universitären Spezialambulanz, kann man sich definitiv nicht leisten.

Natürlich gibt es aber auch in der Neurologie für mich Teilbereiche, in denen ich durch langjährige klinische Tätigkeit viel Erfahrung erwerben konnte und diese dann auch gerne an meine Patienten weitergebe. Dazu gehören z. B. die MS-Diagnostik und Behandlung, da es bei der Medikamentenauswahl mittlerweile doch große Überlappungen zur Immunologie gibt, die mir als zusätzlicher Facharzt für Innere Medizin natürlich besonders vertraut ist.

Auch die Schlaganfallsmedizin einschließlich der wichtigen Präventionsmaßnahmen ist mir als früherer Gründer und auch ärztlicher Leiter mancher Stroke Unit sehr vertraut. Hier ist die Überlappung mit der Inneren Medizin besonders hervorzuheben (z. B. Diagnostik und Therapie der Gefäßrisikofaktoren wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Vorhofflimmern, Ablagerungen und Engstellen an den hirnversorgenden Halsgefäßen u.v.m).

jameda: Gibt es im medizinischen Bereich ein Vorbild, das Ihre Laufbahn besonders geprägt hat?

Herr Dr. Gerlach: Ja, aber das lässt sich nicht an einer Person, sondern eher an einem ‘Medizinertypus’ festmachen. Ich habe vor allem von Kolleginnen und Kollegen gelernt, die eine breit angelegte Ausbildung hatten, uns damalige ‘Jungspunde’ immer wieder berieten und korrigierten, wo es notwendig war, aber uns im Großen und Ganzen auch machen ließen, damit wir unsere eigenen Erfahrungen sammeln konnten.

Heutzutage dominieren in der Medizinerausbildung zwar viele gut gemeinte Curricula, sie ersetzen aber keinesfalls die eigenen Überlegungen und das Aufbauen eines Erfahrungsschatzes unabhängig von der Erfüllung der täglichen Routinearbeiten.

jameda: Wo sehen Sie in Ihrem Fachgebiet die größten Herausforderungen für die Zukunft?

Herr Dr. Gerlach: Problematisch erscheinen mit vor allem zwei Zukunftsaspekte: zum Einen die weiter zunehmende Kommerzialisierung der Medizin im Ganzen, die abrechnungstechnische Fehlanreize schafft, weil nur noch ‘Diagnosen’ und keine ‘Patienten/Menschen’ behandelt werden.

Kosten- und auch Zeitdruck sind mittlerweile so enorm, dass dies bereits qualitative Einbußen in der Patientenversorgung nach sich zieht, insbesondere in den Kliniken. Für die Neurologie, aber auch für die Innere Medizin, bedeutet dies, dass sich Ärzte während ihrer Facharztausbildung nicht mehr darauf verlassen können, noch alle relevanten Krankheitsbilder sehen zu können. Denn bestimmte Erkrankungen dürfen gar nicht mehr stationär aufgenommen werden. Außerdem können manche Krankheitsverläufe nicht mehr beurteilt werden, da der Patient die Akutklinik aus Kostengründen nach wenigen Tagen wieder verlassen muss.

Zum Anderen sehe ich die Digitalisierung der Medizin zwar als große Chance, aber nur da, wo sie auch menschlich eingesetzt wird, und nicht als Feigenblatt für fehlende Patientenkontakte und -gespräche dient.

jameda: Was wird an Ihrem individuellen Umgang mit Ihren Patienten besonders geschätzt?

Herr Dr. Gerlach: Diese Frage ist naturgemäß nicht einfach zu beantworten, denn niemand ist perfekt, weder im privaten, noch im beruflichen Bereich. Patienten melden uns aber immer wieder positiv zurück, dass sie bei uns mehr Zeit für die Schilderung ihrer Probleme und Symptome haben.

Das kann in vielen Fällen mental entlasten und versetzt uns allein aufgrund der eingesetzten Zeit in die Lage, die richtigen Fragen im richtigen Kontext zu stellen, was dann erst zur richtigen Diagnosestellung führen kann.

Es ist unser Anspruch, keine Krankheitsbilder zu behandeln, sondern den Patienten möglichst da medizinisch ‘abzuholen’, wo er gerade steht, und dies kann, je nach Vorkenntnis und momentaner ‘Verfassung’ des Patienten, ganz unterschiedlich sein und auch zu unterschiedlichen individuellen Therapieempfehlungen führen.

Selbstverständlich fällt uns auch ‘kein Zacken aus der Krone’, falls der Patient eine Zweitmeinung andernorts wünscht, was auch offen mit uns kommuniziert werden kann.

jameda: Welchen Gesundheitstipp möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?

Herr Dr. Gerlach: Unsere Gesellschaft ist weitgehend eine Wohlstandsgesellschaft geworden. Das ist einerseits sehr erfreulich, weil wir uns meist nicht mehr mit existenziellen Problemen von Entwicklungsländern herumschlagen müssen wie z. B. diversen tropischen Infektionskrankheiten, Folgen einer Mangelernährung oder einem allgemein schlechten Gesundheitswesen.

Die Art, wie wir in westlichen Ländern aber derzeit leben und arbeiten, scheint uns aber zunehmend anfälliger für andere Erkrankungen zu machen, die treffend als Wohlstandserkrankungen bezeichnet werden.

Besonders wichtig erscheint mir daher, auf Dinge wie eine vernünftige Ernährung, regelmäßigen moderaten Ausdauersport und mentale Entspannung zu achten. Denn neben z. B. Diabetes, Übergewicht und Autoimmunerkrankungen nehmen auch psychische und psychosomatische Erkrankungen deutlich zu.

Regelmäßige, dem individuellen Risiko angepasste Check-up-Untersuchungen können dann helfen, Risikofaktoren oder beginnende Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Zur Person

Dr. Gerlach ist Internist und Neurologie. Er war Gründer und Leiter der Stroke Unit und der Intensivstation am Klinikum am Europakanal in Erlangen, leitender Oberarzt der Abteilung für Neurologie am Klinikum Nürnberg sowie Chefarzt der Neurologie und der geriatrischen Reha am Klinikum Ansbach. Er ist Mitglied der DGIM und Buchautor.

Zur Praxis

Die Ärztepartnerschaft Neuropuls versorgt Patienten mit neurologischen und internistischen Erkrankungen und führt zusätzlich Check-up-Untersuchungen sowie reisemedizinische Beratung durch. Innerhalb der Praxisräume besteht die Möglichkeit einer rheumatologischen und psychosomatischen Kooperation.

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