Artikel 27/08/2022

Das CPPS (Chronic Pelvic Pain Syndrome) – Das chronische Beckenschmerzsyndrom

Dr. med. Volker Stolzenbach Orthopäde & Unfallchirurg, Chirotherapeut, Spezieller Schmerztherapeut
Dr. med. Volker Stolzenbach
Orthopäde & Unfallchirurg, Chirotherapeut, Spezieller Schmerztherapeut
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Das CPPS – was ist das und kann man es überhaupt erfolgreich behandeln?

Das CPPS steht für anhaltende Schmerzen und Funktionsstörungen in der Beckenregion, die sich durch gynäkologische, urologische, proktologische oder internistische Befunde nicht erklären lassen.

Das CPPS steht in dem zweifelhaften Ruf „Keiner weiß, wo es herkommt, keiner weiß, was es eigentlich ist, und nichts hilft“. Durch die hier beschriebene multimodulare Behandlung können die Schmerzen, auch nach Jahren des Leidens, aber in den meisten Fällen wieder zum Verschwinden gebracht oder zumindest stark verringert werden.

Schmerzchronifizierung – was passiert bei lange anhaltenden Schmerzen und warum macht das die Behandlung so kompliziert?

Akute Schmerzen kennt jeder und sie sind der Normalfall. Mir fällt etwas auf den Fuß und das erzeugt einen Schmerz. Wird kein Gewebe verletzt, ist der Schmerz gleich wieder vorbei. Habe ich eine Prellung und einen Bluterguss bekommen, halten die Schmerzen ein paar Tage an. Selbst wenn der Zeh gebrochen ist, verschwinden die Schmerzen, wenn der Knochen geheilt ist.

Chronische Schmerzen beschreibt nur die Dauer der Schmerzen. Je nach Definition bezeichnet man einen Schmerz nach drei oder sechs Monaten als chronisch.

Kompliziert wird es erst bei chronifizierenden Schmerzen. Wenn Schmerzen lange anhalten oder besonders stark oder quälend sind, so wie es beim CPPS oft der Fall ist, können im Nervensystem Veränderungen stattfinden. Sie können dazu führen, dass die Schmerzen intensiver wahrgenommen werden, dass Berührungen als Schmerz wahrgenommen werden und mäßiger Druck schon unerträglich ist.

Die Schmerzregion kann sich auch ausbreiten und vergrößern. Der Schmerz nimmt einen wesentlichen Teil der Gesamtwahrnehmung ein. Das führt zur fortlaufenden Beeinflussung und Beeinträchtigung durch den Schmerz und beeinflusst langfristig die Psyche. Der Patient strebt natürlich danach, die Schmerzen nicht unnötig auszulösen und zu verschlimmern. Folge ist dann oft ein Rückzug aus dem sozialen Leben mit der Folge, sich aufgrund weniger Ablenkung noch mehr mit den Schmerzen zu beschäftigen – ein Teufelskreis.

Wie äußert sich die Chronifizierung beim CPPS?

Alle im Folgenden beschriebenen Phänomene können vorkommen, oft auch in Kombination. Viele Patienten werden in einigen Veränderungen oder Entwicklungen ihre eigene Krankheitsgeschichte wiedererkennen. Manche werden sich aber kaum wiederfinden. Trotz aller Unterschiede finden sich beim CPPS doch viele Ähnlichkeiten.

Dauer der Schmerzperioden: Anfangs treten die Schmerzen meistens nur periodisch für Tage oder wenige Wochen auf. Dazwischen liegen oft monatelange schmerzfreie Intervalle. Mit der Zeit werden die schmerzhaften Phasen immer häufiger und halten auch länger an. Schließlich geht der Schmerz auch in den relativen Ruhephasen nicht mehr ganz weg.

Schmerzintensität: In den Anfängen, wenn die Beschwerden auch noch immer wieder vergehen, besteht oft nur ein unangenehmer Druck oder eine Spannung. Sie wird in dieser Zeit oft noch gar nicht als richtiger Schmerz empfunden (Stufe 2-3 auf der zehnstufigen visuellen Analogskala). Die Schmerzen bei erfolgter Chronifizierung werden viel stärker empfunden (Stufe 7-9 auf der visuellen Analogskala).

Schmerzqualität und Schmerzbewertung: Anfangs wird der Schmerz meistens eher als dumpf, drückend empfunden. Mit fortschreitender Chronifizierung wandelt sich der Schmerz mehr hin zu spitz, scharf, brennend. Dazu wird er oft noch mit weiteren Attributen wie quälend, bohrend, vernichtend, höllisch versehen.

Beteiligte Muskeln: Das CPPS ist vom Grundsatz her eine Verkrampfung der Muskeln des Beckenbodens. Patienten mit CPPS neigen aber oft dazu, auch in anderen Regionen Muskelverspannungen zu haben wie der Schulter-Nacken-Region und den Kaumuskeln (Zähneknirschen oder Zähnepressen – Bruxismus). Im Rahmen der Chronifizierung verkrampfen dann vor allem Muskeln in der Umgebung des Beckens und bilden schmerzhafte Triggerpunkte aus – unterer Rücken, Gesäß, Oberschenkelinnenseiten, untere Bauchmuskeln, Hüftbeuger.

Dysregulation des vegetativen Nervensystems: Das vegetative Nervensystem unterliegt nicht unserer bewussten Steuerung. Es regelt unbewusst/automatisch die Funktion innerer Organe wie die Atmung, das Herz, die Verdauung und auch die Organe, die im Becken liegen, wie Blase, Enddarm und teilweise der Geschlechtsorgane.

Das vegetative Nervensystem gliedert sich in den Sympathikus, den „Powernerven“ und den „Parasympathikus“, den Erholungs- bzw. Regenerationsnerven. Eine dauernde Aktivierung des Sympathikus, des „Powernerven“, und als Folge eine Schwäche des Parasympathikus, des „Erholungsnerven“, ist ein wesentliches Kennzeichen des CPPS. Ein andauernder Schmerz, noch dazu ohne eine Erklärung der Ursache der Schmerzen, wie es beim CPPS meistens der Fall ist, ist einer der stärksten Stressfaktoren.

Unabhängig von der sonstigen Lebenssituation stehen CPPS-Patienten deshalb immer unter starkem Stress. Besteht oft schon zu Beginn eine Dysbalance im Sinne einer Überaktivität des Sympathikus, nimmt sie im Rahmen der Chronifizierung nochmals zu. Nach meiner Überzeugung ist diese Dysbalance mit dauernder starker Aktivierung des Sympathikus der wahrscheinlich wichtigste Faktor für die zunehmende Chronifizierung des Krankheitsverlaufs beim CPPS.

Psychische Reaktionen: Sie werden vor allem geprägt durch die Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die CPPS-Patienten häufig erfasst. Folgende Gedanken sind häufig:

  • ‘Keiner weiß, was ich habe.’
  • ‘Ich werde die Schmerzen nie wieder loswerden.’
  • ‘Ich werde keine Kinder haben können.’
  • ‘Ich kann wegen meines ständigen Harndrangs meine Wohnung kaum verlassen.’

Diese und weitere Gedanken führen oft zu depressiven Verstimmungen bis hin zu manifesten Depressionen.

Soziales Vermeidungsverhalten: Es ist nur zu verständlich, dass Situationen vermieden werden, die die Schmerzen verstärken können. Das kann Sitzen auf harten Stühlen sein. Auch Radfahren ist oft nicht möglich. Die Gedanken kreisen ständig um die Schmerzen. Damit möchte man andere nicht ständig belasten.

Geschlechtsverkehr ist oft schmerzbedingt gar nicht möglich oder führt zur Schmerzverstärkung. All dies führt dazu, dass sich Betroffene in einer bestehenden Partnerschaft zurückziehen und soziale Kontakte reduziert werden. Der Patient erlebt weniger positive Abwechslung und konzentriert sich noch mehr auf seine Schmerzen.

Das multimodulare Behandlungsprogramm des CPPS

Solange nur der Beckenboden verspannt ist und noch keine Chronifizierung eingetreten ist, reicht die lokale Behandlung der Muskeln des Beckenbodens sowie der fast immer vorliegenden Dysbalance des vegetativen (unbewussten) Nervensystems, um die Schmerzen und die ggf. zusätzlich vorhandenen Funktionsstörungen zu beseitigen. Das kann auch noch nach sechs oder zwölf Monaten Beschwerdedauer funktionieren, ist aber beim CPPS eher die Ausnahme. In aller Regel ist der Prozess der Chronifizierung mehr oder weniger weit fortgeschritten, wenn die Patienten zu mir in Behandlung kommen.

Für chronifizierte Schmerzen ist ein multimodales Behandlungsprogramm international anerkannter wissenschaftlicher Standard. Es gibt dazu aus der Behandlung chronischer Rückenschmerzen seit vielen Jahren umfangreiche Erfahrungen.

Die Regel heißt: Nur ein multimodales Vorgehen kann die Beschwerden nachhaltig bessern und vor allem Rückfälle reduzieren oder verhindern. Nach meiner Erfahrung gilt dies für das CPPS in besonderem Maße. Multimodal heißt, dass alle Komponenten des Schmerzgeschehens und Schmerzerlebens behandelt werden müssen, die körperlichen, aber auch die psychischen.

Lokalbehandlung des Beckenbodens

Die Verkrampfung der Muskeln des Beckenbodens mit schmerzhaften Triggerpunkten ist der wesentliche Befund beim CPPS und gleichzeitig die Ursache der Schmerzen und ggf. auch Funktionsstörungen. Daher ist die Lösung der Verkrampfungen eine wesentliche Maßnahme in der Behandlung. Sie gelingt vor allem durch die manuelle rektale oder vaginale Behandlung, bei der die betroffenen Muskeln gedehnt werden. Triggerpunkte können ebenfalls auf diese Art behandelt werden.

Sehr viel wirksamer können Triggerpunkte aber durch die Stoßwellentherapie gelöscht werden. Hierbei werden gebündelte Schallwellen verwendet, ähnlich wie bei der Stoßwellenbehandlung von Nierensteinen. Die verwendete Energie ist dabei natürlich schwächer, da keine Steine zertrümmert werden müssen, sondern „nur“ Triggerpunkte gelöscht.

Der Physiotherapeut arbeitet mit Wahrnehmungsübungen für den Beckenboden, damit der Patient lernen kann, den Beckenboden aktiv zu entspannen. Die so verbreiteten Kräftigungsübungen für den Beckenboden sind für CPPS-Patienten schädlich und verstärken die Beschwerden noch. Es ist eigentlich einleuchtend, dass die Anspannung zur Kräftigung eines verkrampften Muskels diese Verkrampfung noch verstärkt. Dennoch werden genau diese Übungen den CPPS-Patienten immer noch häufig empfohlen.

Behandlung der vegetativen Dysbalance

Ein wesentlicher Faktor, der die Beschwerden beim CPPS unterhält und verstärkt, ist die Dysregulation des vegetativen, des unbewussten Nervensystems. Der Sympathikus (Powernerv) ist ständig aktiviert, der Parasympathikus (Regenerationsnerv) ist entsprechend inaktiv. Näheres dazu finden Sie in meinem Artikel ‘Das chronische Beckenschmerzsyndrom CPPS (Chronic Pelvic Pain Syndrome)’.

Diese Dysregulation liegt nach meiner Erfahrung bei nahezu allen CPPS-Patienten vor. Es ist sowohl für die rasche Beschwerdelinderung als auch für die langfristige Vermeidung von Rückfällen entscheidend, die Daueraktivität des Sympathikus zu durchbrechen und dem Parasympathikus wieder eine bessere Aktivität zu ermöglichen.

Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten, die am besten in Kombination angewendet werden. Manche Methoden wirken schneller, andere dafür nachhaltiger und die Patienten sprechen auf die Verfahren unterschiedlich gut an. Es kommt also, wie so oft, darauf an, die für den einzelnen Patienten individuell beste Kombination zu finden.

Neuraltherapie bei CPPS: Schnelles, wirksames Verfahren

Die Neuraltherapie ist das wirksamste Verfahren, um eine schnelle Wirkung zu erzielen. Verwendet werden dabei kurz wirkende lokale Betäubungsmittel, um den Sympathikus zu beruhigen. Sie können als Infusion (Procain- oder Procain-Basen-Infusion) gegeben werden, viel häufiger allerdings als Injektionen. Das mache ich dann nach einem Stufenplan, bei dem zunächst nur oberflächliche Injektionen gegeben und lokale Narben unterspritzt werden (segmentale und lokale Störfeldbehandlung).

Ist dies nicht ausreichend wirksam, werden direkt sympathische Nervenknoten (Ganglien) angespritzt. Mit diesen Injektionen wird kurzzeitig die Aktivität des Sympathikus im Beckenbereich betäubt und unterbrochen. Nach wenigen Minuten ist die Betäubung vorbei und die Nervenknoten nehmen ihre Arbeit wieder auf. Der Vergleich mit der Benutzung der Reset-Taste beim Computer kommt dem Wirkungsmechanismus der Neuraltherapie vielleicht nahe. Bei den meisten Patienten kommt es schon mit wenigen Injektionen zu einer wesentlichen Verbesserung der Beschwerden.

Atemübungen bei CPPS: So hilft die tiefe Bauchatmung

Atemübungen im Sinne der tiefen Bauchatmung sind ebenfalls wirksam, um den Sympathikus zu beruhigen und den Parasympathikus zu aktivieren. Atemübungen sind eine der wenigen Möglichkeiten, bewusst und aktiv Einfluss zu nehmen auf eine Funktion, die vom unbewussten, dem vegetativen Nervensystem gesteuert wird und damit auch auf das vegetative Nervensystem selbst.

Außerdem wird durch die tiefe Atmung in den Bauch hinein der Beckenboden leicht gedehnt und beim Ausatmen wieder angehoben. Der verkrampfte Beckenboden erhält so Impulse, seine normalen Bewegungen wieder aufzunehmen. Atemübungen sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung des CPPS und sollten täglich, am besten mehrfach, für mehrere Minuten durchgeführt werden.

Entspannungstraining bei CPPS: Am besten täglich praktizieren

Die verschiedenen Formen des Entspannungstrainings wie

  • autogenes Training,
  • progressive Muskelentspannung nach Jacobsen,
  • Tai Chi und andere

sind geeignet, Stress und damit die Überaktivität des Sympathikus zu reduzieren. Es sollte diejenige Entspannungstechnik gewählt werden, die am besten zum Patienten passt – wirksam sind sie alle.

Besonders im amerikanischen Raum wird dem Entspannungstraining eine besondere Wichtigkeit zugemessen. Wise und Andersen fordern in ihrem Buch „Kopfschmerzen im Becken“ täglich die Durchführung einer Variante der Jacobsen-Entspannung für bis zu zwei Stunden. Die tägliche Durchführung einer Entspannungstechnik ist auch aus meiner Sicht sehr wichtig. Allerdings sehe ich hier 15 bis 30 Minuten täglich als ausreichend.

Medikamente bei CPPS: nur vorübergehend schmerzlindernd

Man kann auch mit Medikamenten Einfluss nehmen auf die vegetative Dysbalance mit Überwiegen des Sympathikus. Zum Einsatz kommen sgn. Sympatholytika und Antisympathotonika. Zur ersten Sorte gehören die Alphablocker, die von Urologen oft zur Behandlung von Harndrang, auch bei CPPS-Patienten eingesetzt werden. Sympatholytika und Antisympathikotonika haben erhebliche Nebenwirkungen und werden von mir im Rahmen meines multimodularen Behandlungskonzeptes des CPPS nicht eingesetzt.

Generell sind Schmerzmedikamente beim CPPS wenig wirksam und sie sind schon gar nicht in der Lage, die Probleme langfristig zu lösen. Sie führen also allenfalls vorübergehend zur Schmerzlinderung.

Eine Ausnahme scheint Pregabalin zu sein. Pregabalin ist ein Antiepileptikum, kann also epileptische Anfälle, Krampfanfälle des Gehirns verhindern. Zusätzlich hat es eine Zulassung bei Nervenschmerzen und bei Angststörungen. Bei manchen CPPS-Patienten liegen tatsächlich Nervenschmerzen vor und die Wirkung bei Angststörungen ist möglicherweise durch eine Harmonisierung des vegetativen Nervensystems bedingt. Beides würde einen Einsatz bei CPPS-Patienten als möglicherweise wirksam erscheinen lassen. Für mich ist die Gabe von Pregabalin keine Maßnahme der ersten Wahl, sondern ggf. einen Versuch wert, wenn andere Maßnahmen nicht wirken.

Die Wichtigkeit eines/r mit Beckenbodenproblemen erfahrenen Physiotherapeuten/in

Das Kernproblem des CPPS ist die hypertone Dysfunktion, die Verspannung, Verkrampfung und Verkürzung der Muskeln des Beckenbodens mit Ausbildung schmerzhafter Triggerpunkte. Im Laufe der monate- und oft jahrelangen Beschwerden kommen fast immer weitere muskuläre Probleme, vor allem im unteren Rücken, Gesäß, Bauch und den Oberschenkeln, hinzu. Häufig kommen auch Verspannungen und Funktionsstörungen der Schulter-Nacken-Region hinzu. Bewegungsabläufe können gestört sein und müssen ggf. neu erlernt werden. Wenn diese Zusatzprobleme nicht mit behandelt und gelöst werden, ist das Rezidiv, das Wiederkommen der Schmerzen im Becken, nur eine Frage der Zeit.

Der Therapeut beginnt meistens mit Wahrnehmungsübungen für den Beckenboden, damit der Patient lernt, ihn erst vorsichtig leicht anzuspannen und vor allem dann wieder bewusst locker zu lassen. Verkrampfte Muskeln in Gesäß, Rücken, Oberschenkeln etc. werden durch ihn gedehnt, Triggerpunkte soweit möglich gelöst. Verklebte Faszien werden gelöst. Atemübungen zur Bauchatmung werden erlernt, um sie dann zuhause weiter zu praktizieren. Wenn notwendig, wird auch der Schultergürtel mit behandelt. Gelegentlich müssen gestörte, zu steife Bewegungsabläufe neu gelernt werden.

Eine besondere Ausbildung im Bereich Beckenboden und zumeist auch Erfahrung in der Behandlung des CPPS haben viele Therapeuten der AG-GGUP (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie, Proktologie). Eine Liste mit diesen TherapeutInnen finden Sie auf der Homepage www.ag-ggup.de.

Psychische Komponenten: Stress und CPPS

Stress ist einer der häufigsten und stärksten Faktoren für die Entstehung eines CPPS. Wenn Stress ausnahmsweise mal nicht an der Entstehung des CPPS beteiligt ist, dann erzeugen der anhaltende Schmerz, die vergeblichen Behandlungsversuche und die immer wiederholten Untersuchungen, die ohne Ergebnis bleiben, selbst für eine starke Stressbelastung. In der Folge gibt es fast keinen CPPS-Patienten, der nicht unter erheblichem Stress leidet.

Entspannungstechniken wie progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, autogenes Training, Yoga, Thai Chi und Meditation spielen deshalb in der Behandlung des CPPS eine wichtige Rolle. Welches Verfahren praktiziert wird, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist das regelmäßige tägliche Durchführen der Übungen.

Wesentlich gehäuft im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ kommen bei CPPS-Patienten schwerwiegendere psychische Störungen vor wie

  • Neurosen,
  • Zwangsstörungen,
  • Angststörungen,
  • aber auch Vorgeschichten mit sexuellem Missbrauch oder sexueller Gewalt.

Dies erfordert dann professionelle psychotherapeutische Behandlung, entweder begleitend zur eigentlichen Therapie des Beckenbodens oder auch, um überhaupt erst eine Therapie des CPPS zu ermöglichen.

Was macht eine multimodulare Behandlung bei CPPS aus?

In den letzten Absätzen habe ich erörtert, wo die körperlichen und psychischen Probleme bei CPPS-Patienten liegen können. Für die einzelnen Problemfelder gibt es jeweils verschiedene Behandlungsansätze. Ich nenne sie Module.

Die geeignete Kombination verschiedener Module führt letztlich zu einer erfolgversprechenden Behandlung. Das betrifft sowohl die rasche Linderung der aktuellen Beschwerden als auch die Verhinderung von Rückfällen oder wenigstens die Reduktion ihrer Häufigkeit und Schwere.

Wie läuft die multimodulare Behandlung bei CPPS konkret ab?

Bereits vor dem ersten Termin erhalten CPSS-Patienten zwei Schmerzfragebögen. Dadurch liegen schon wichtige Informationen zu Beschwerden, Vorbehandlung und auch psychischen Komponenten vor.

Auf die Erstvorstellung sollte ein besonderer Fokus gelegt werden, daher darf sie auch eine ganze Stunde dauern. Begonnen wird mit der Anamnese. Erfragt werden neben Angaben zu Schmerzstärke, Schmerzdauer, Schmerzhäufigkeit und möglichen Störungen beim Wasserlassen, Stuhlgang und Geschlechtsverkehr auch Informationen zu bereits durchgeführten Untersuchungen und bisherigen Behandlungsversuchen.

Bei der Untersuchung wird zunächst die Statik beurteilt. Die Hüftgelenke und Wirbelsäule werden auf Beweglichkeit untersucht. Die äußere Muskulatur, besonders im Bereich der Lendenwirbelsäule, Gesäß- und Beckenregion wird auf Verspannungen, Verkürzungen und schmerzhafte Triggerpunkte untersucht.

Dabei findet sich fast immer Triggerpunkte im Bereich der Ansätze der Adduktoren der Oberschenkel und der geraden Bauchmuskeln am Schambein. Häufig finden sich auch Triggerpunkte in der Gesäßmuskulatur, den Rückenstreckern und den Hüftbeugern. Verspannungen finden sich auch oft in der Nackenmuskulatur und der Kaumuskulatur (Zähneknirschen, Zähnepressen).

Abschließend erfolgt nach Rücksprache und Einwilligung des Patienten die rektale Untersuchung, bei der die Muskeln des Beckenbodens mit dem Finger abgetastet werden. Auch hier suche ich nach Verspannungen und Verkürzungen von Muskeln sowie nach schmerzhaften Triggerpunkten.

Drückt man auf einen Triggerpunkt im Beckenboden, löst dieser Druck typischerweise (leichte) Schmerzen aus, wie der Patient sie kennt. Dabei spürt und erkennt der Patient oft zum ersten Mal in seiner oft langen Krankheitsgeschichte, wo seine Beschwerden herkommen. Die Untersuchung des Beckenbodens geht unmittelbar in die erste manuelle Behandlung des Beckenbodens über, bei der ich verkürzte Muskeln mit dem Druck meines Fingers dehne und Triggerpunkte löse.

Nach der Untersuchung hat man einen guten Eindruck über den Zustand des Beckenbodens, der Verkrampfung einzelner Bereiche oder des ganzen Beckenbodens. Nun ist es an der Zeit für die Planung der Behandlung.

Von den vielfältigen Behandlungsmodulen, die beim CPPS eingesetzt werden können, werden diejenigen ausgesucht, die die verschiedenen Problembereiche (z. B. Stress, vegetatives Nervensystem, Schmerzen, lokale Verkrampfung …) am besten angehen und damit besonders erfolgversprechend sind, zum Patienten passen und vor allem auch für den Patienten erreichbar und verfügbar sind.

Zum Behandlungsplan gehören immer entspannende Atemübungen sowie ein spezielles Entspannungstraining in Form von Jacobsen-Entspannung, autogenem Training oder anderen. Dazu kommt eine regelmäßige Behandlung bei einem auf den Beckenboden spezialisierten Krankengymnasten, der auch muskuläre Verspannungen außerhalb des Beckens behandelt und Eigenübungen zur Muskeldehnung und Muskelentspannung zeigt. Beides muss langfristig über Monate erfolgen und ist entscheidend, um das Wiederauftreten der Schmerzen seltener werden zu lassen und letztlich ganz zu verhindern.

Bei der Behandlung ist es wichtig, eine rasche und starke Linderung der Beschwerden zu erzielen. Das gelingt bei den meisten Patienten innerhalb weniger Wochen. Es erfolgt eine lokale manuelle Behandlung des Beckenbodens wie bei der Untersuchung mit Dehnung der verkürzten Muskeln und Triggerpunkte.

Ergänzend können die Triggerpunkte im Beckenboden besonders wirksam mit der Stoßwelle behandelt werden. Diese Behandlung wird mit einer Neuraltherapie kombiniert. Das Ziel ist, die Dysbalance des vegetativen Nervensystems zu normalisieren, den Sympathikus zu dämpfen und damit den Parasympathikus zu aktivieren.

Bei jedem Behandlungstermin ist eine Erfolgskontrolle wichtig. Hat der Patient die Behandlung vertragen? Ist Besserung eingetreten, kurzzeitige oder gar anhaltende Verschlechterung? Ist die Besserung oder Verschlechterung auf die Behandlung zurückzuführen oder auf andere Faktoren wie vermehrter Stress, körperliche Belastung? Dann muss entschieden werden, ob die Behandlung wie geplant fortgesetzt, abgeschwächt oder intensiviert wird. Vielleicht muss sie auch ganz verändert werden.

Welche Probleme gibt es bei der praktischen Umsetzung der multimodularen Behandlung bei CPPS?

Man möchte meinen, dass die größte Hürde die Erkennung der richtigen Diagnose CPPS ist. Oft genug dauert es Monate und Jahre, bis die Ursache der Schmerzen erkannt wird. Tatsächlich ist aber die Umsetzung einer erfolgversprechenden multimodularen Behandlung oft genauso schwierig. Dies hat verschiedene Ursachen.

Es gibt kaum Ärzte, die sich regelmäßig mit CPPS-Patienten beschäftigen und sie behandeln. Das multimodulare Behandlungsprogramm, das nach meiner Einschätzung die besten Aussichten für eine rasche Schmerzlinderung und langfristige Besserung bis hin zur Beschwerdefreiheit hat, ist noch so neu, dass es noch weitgehend unbekannt ist. (Ich arbeite daran, es durch Fortbildungskurse in Fachkreisen zu verbreiten).

Die AG-GGUP (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie, Proktologie) ist eine Gruppe von Physiotherapeuten, die sich auf die Behandlung von Problemen und Erkrankungen der Beckenregion spezialisiert haben. Sie haben besondere Kenntnisse auch in der Behandlung des CPPS.

Die AG-GGUP gibt es bereits seit 1995. Dennoch sind erfahrene Therapeuten der AG-GGUP nicht flächendeckend in Deutschland vorhanden und nicht alle von ihnen behandeln CPPS-Patienten. Es kann also durchaus schwierig sein, einen für die Behandlung des CPPS geeigneten Physiotherapeuten in erreichbarer Nähe zum Wohnort zu finden.

Ein regelmäßiges Entspannungstraining scheitert meistens weniger aufgrund des Angebotes – Kurse in autogenem Training, Jacobsenentspannung, Yoga, Meditation gibt es überall. Hier liegt das Problem eher im Herausfinden, welches Verfahren am besten zum einzelnen Patienten passt und dann im täglichen Praktizieren über Monate.

Stress ist in unserer schnelllebigen Zeit, in der alles auf schneller, mehr Leistung, mehr Effizienz ausgerichtet ist, ein zentrales Problem und häufig eine ganz entscheidende (Mit-)Ursache des CPPS. Selbst im Urlaub und der Freizeit gibt es heute „Freizeitstress“ – man will überall dabei sein und bloß nichts verpassen. Dieses Verhalten zu ändern hin zu einem ausgeglicheneren, weniger angespannten Leben erfordert eine Änderung von Gewohnheiten. Wie schwer das ist, wissen alle, die schon einmal versucht haben, mit dem Rauchen aufzuhören oder Gewicht abzunehmen.

Die erfolgreiche Bekämpfung des CPPS erfordert viel Geduld und Ausdauer. Sie ist ein Marathon und kein Sprint. Eine rasche Besserung bei geeigneter Behandlung ist zwar häufig. Aber Rückschläge und erneute schlechtere Phasen sind viel häufiger, als dass die Beschwerden innerhalb weniger Wochen dauerhaft verschwinden. Diese Rückschläge muss man aushalten und konsequent mit der Behandlung weitermachen. Eine alte Faustregel besagt, dass die Behandlung chronischer Schmerzen so lange dauert, wie die Schmerzen schon bestehen. Glücklicherweise geht es meistens doch sehr viel schneller, aber eben auch nur selten geradlinig zur Schmerzfreiheit.

Warum ist eine erfolgreiche Behandlung des CPPS so schwierig?

Chronische Schmerzsyndrome sind immer schwierig und aufwändig zu behandeln. Dazu gibt es umfangreiche Erfahrungen aus der Behandlung chronischer Rückenschmerzen.

Problematisch ist es beim CPPS vor allem, eine langfristige Beschwerdefreiheit zu erreichen und die so häufigen Rezidive zu vermeiden. Für die kurzfristige Besserung gibt es wirksame Behandlungsmodule. Die langfristige Besserung ist nur durch intensives Mitwirken des Patienten zu erreichen. Dazu gehören tägliche Atemübungen, tägliches Entspannungstraining, tägliche Dehnübungen und eine wesentliche Stressreduktion in Beruf und Alltag. Das verlangt viel von den Patienten, ist aber notwendig für langfristigen Erfolg.

Patienten, die am CPPS erkranken, haben fast immer ein besonders sensibles vegetatives Nervensystem. Ich gehe sogar davon aus, dass dieses sensible vegetative Nervensystem bei den meisten Betroffenen eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung des CPPS ist.

Das sensible vegetative Nervensystem erleichtert die Dysregulation mit Überwiegen der Sympathikusaktivität und mangelnder Aktivität des Parasympathikus. Es führt ebenfalls zu verstärkter Reaktion der Muskeln auf Stress. Das betrifft nicht nur die bekanntermaßen von Stress betroffenen Nackenmuskeln, sondern eben auch die Muskeln des Beckenbodens.

Das sensible vegetative Nervensystem hat auch Einfluss auf die Behandlungsmöglichkeiten. Es müssen sowohl die richtigen wirksamen Behandlungsmodule ausgewählt werden als auch die richtige Intensität der einzelnen Behandlungen. Eine zu schwache Intensität hilft nicht und eine zu starke überlastet das empfindliche Nervensystem und führt zu einer vorübergehenden Verschlechterung.

Man könnte meinen, dass die Kombination vieler wirksamer Behandlungsmodule und ihre möglichst häufige Anwendung dazu führen, dass die CPPS-Beschwerden am schnellsten zurückgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Das wäre der sicherste Weg zu einer Verschlechterung der Beschwerden.

Die Auswahl der richtigen Behandlungsmodule, der richtigen Behandlungsintensität und der richtigen Behandlungsfrequenz ist entscheidend für den Erfolg der Behandlung. Was dabei jeweils „richtig“ ist, kann sich von Patient zu Patient stark unterscheiden. Oft muss man auch verschiedene Behandlungsmodule ausprobieren, bis man die für den speziellen Patienten am besten geeigneten und wirksamsten herausfindet.

Zusammenfassung: Was Sie über das chronische Beckenschmerzsyndrom CPPS wissen sollten

  • Das CPPS ist eine chronische Schmerzkrankheit
  • Das CPPS kann man eindeutig diagnostizieren
  • Das CPPS lässt sich erfolgreich behandeln
  • Die multimodulare Behandlung des CPPS erreicht bei den meisten Patienten eine rasche Besserung der Beschwerden innerhalb weniger Wochen.
  • Die multimodulare Behandlung verringert die Häufigkeit und Schwere von Rezidiven und führt oft zur anhaltenden Beschwerdefreiheit.
  • Eine eindeutige Diagnosestellung ist die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung.
  • Die multimodulare Behandlung benötigt vor allem für Langzeiterfolge die Mitarbeit des Patienten.
  • Es gibt leider nur wenige Physiotherapeuten und noch viel weniger Ärzte, die sich mit der Behandlung des CPPS auskennen.

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