Wer kennt das nicht, wenn wir ‘unter Strom stehen’ merken wir, wie unsere Haltung sich verändert und verkrampft,. Wir ziehen die Schultern hoch und spannen uns an – verspannen.
Folgen können Rückenschmerzen, Nackensteifigkeit, Kopfschmerzen bis hin zu Migräne oder CMD sein.
Einseitige langanhaltende Haltungen wie das Sitzen im Büro verbinden sich mit ‘Stressverhalten’, indem man sich keine Auszeit mit Bewegung mehr gönnt.
Zum Stressverhalten zählt auch, wenn wir uns in ein Problem ‘verbeißen’, unsere Arbeit immer zu 150 % zu machen. Schon als Kind haben wir gelernt, uns mit verschiedenen Verhaltensweisen die für ein Kind lebenswichtige Liebe in Form von Lob und Anerkennung zu holen – bei den Eltern und unserer Umwelt. Daraus haben sich im Laufe unseres Lebens oft feste Denk- und Verhaltensmuster entwickelt, die wir später oft gar nicht bewusst wahrnehmen.
Wenn wir sie immer bedienen, können diese Muster uns unter Druck setzen – wir verspannen dabei.
In einer auf äußere Qualitäten gerichteten Gesellschaft haben wir tendenziell die ‘Außenwahrnehmung’ trainiert. Daher nehmen wir nur noch schwer die Warnsignale unseres Körpers wahr. Wir sind eher geübt, nach außen zu schauen, aber nicht nach innen zu spüren.
Viele Patienten berichten, dass die Schmerzen erst abends richtig auftreten – ein typisches Zeichen dafür. Wir haben unter der Konzentration auf unsere Kopfarbeit und Außenwelt ganz unseren Körper vergessen und die Warnsignale ausgeblendet.
Unser unbewusster Antrieb zum Handeln im Leben sind unsere Gefühle wie z. B. auch Angst, Panik und Ärger. Diese ‘Minus-Gefühle’ können uns einerseits in einer physischen Gefahrensituation wunderbar helfen, zu überleben. Denn sie bereiten uns auf eine Verteidigung oder eine Flucht vor einem Feind vor.
Nun begegnen wir aber heutzutage nur noch selten einem freilaufenden Tiger oder Löwen. Auch macht es keinen Sinn, nach einem selbst verursachten Unfall wegzulaufen oder gar bei Ärger auf der Arbeit seinen Chef zu verprügeln.
Dennoch bereitet unser Körper uns in Bruchteilen einer Sekunde perfekt auf einen Angriff vor: Wir ziehen die Schultern hoch, ziehen den Kopf ein, beißen die Zähne zusammen, um unseren Kopf vor Schlägen zu schützen. Das erhöht die Muskelspannung in Nacken, Rücken und Kieferbereich.
Die Körperreaktionen laufen also nach wie vor automatisch ab, sobald wir uns in einer Situation angegriffen, unsicher, ärgerlich oder ängstlich fühlen. Auch wenn wir kein Steinzeitmensch mit den vitalen physischen Bedrohungen mehr sind.
Sogar nächtliche Träume, in denen wir das Tagesgeschehen mit angsteinflößenden Bildern verarbeiten, können ähnliche Körperreaktionen auslösen. Unser Gehirn kann nicht unterscheiden, ob die Handlung real ist oder nur ein Traum.
Deshalb ist es immer günstig, wenn wir uns am Abend Zeit nehmen, um den Tag zu verarbeiten – ohne Fernseher oder Handy etc.
Die ‘klassische Physiotherapie’ legt ihre Schwerpunkte auf Kräftigung, Mobilisation, Haltungs- und Bewegungsschulung usw., also Aspekte, die wir mehr ‘im Außen’ finden. Der Werbespruch: ‘Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz’ kennen wohl die meisten?
Das ist nach meiner Erfahrung nur ein Teil der Wahrheit.
Drei Grund-Aspekte gestalten eine Übung:
Wir führen eine Körperübung unter dem mentalen Aspekt der Achtsamkeit aus. So sind wir ganz bei unserem Körper und uns selbst.
Achtsamkeit bedeutet, nicht zu urteilen, sondern nur mit Hilfe des ‘inneren Beobachters’ uns, unseren Körper und unsere Bewegungen wahrzunehmen.
Auf diese Weise können wir frühzeitig erkennen, wenn wir uns ‘unter Druck setzen’, zu viel Spannung aufbauen und die Bedürfnisse und Gesetze unseres Körpers missachten. Zudem können wir unseren Verhaltensmustern auf die Schliche kommen. Wir haben dann die Wahl, ob wir unserem ‘Leistungs-Quatschi’ im Kopf Folge leisten wollen und die Warnsignale unseres Körpers missachten oder besser nicht.
Lassen wir dann von unserem Atem die Bewegung führen, wird unsere Bewegung bzw. Übung fließend und leicht, ökonomisch und bewusst.
Der Aspekt der Atmung bedeutet u. a., sich mit dem ‘Entspannungsnerven’, dem vorderen Vagusnerven unseres Vegetativen Nervensystems, zu verbinden und ihn ‘einzuschalten’. Er ist unabdingbar wichtig – nicht nur um runterzufahren und zu entspannen. Der vordere Vagus ist für die Reparaturarbeiten in unserem Körper sowie für Regeneration verantwortlich.
Aber auch die Zusammenstellung einer Übungsreihe ist hier anders. Die Übungen haben eine logische und harmonische Abfolge. Es werden alle möglichen Bewegungsspielräume bis in die aktuell möglichen Endbewegungen erarbeitet. Damit erzielen wir eine natürliche Dehnung der Faszien und Muskeln und Mobilisation aller Gelenke. Die Wiederholungen sowie eingebaute statische Haltungen / Positionen ermöglichen ebenfalls Kräftigung. Für weiteren Kraftaufbau kann man auch ohne weiteres zusätzlich Geräte einsetzen.
Alle wichtigen Aspekte einer Krankengymnastik werden mit einbezogen. Zum Abschluss wird durch eine entsprechende Übungsauswahl immer ein Ausgleich der Muskelspannungsverhältnisse wie auch des vegetativen Nervensystems hergestellt.
Die Form dieser Achtsamkeitsbasieren Physiotherapie ist dem Yoga entliehen. Die Kombination von Körperübung, Achtsamkeit und Atmung – wie auch der Aufbau der Übungen – entspricht den Anforderungen eines Asanas aus dem Vini-Yoga.
In einer stressgeplagten Zeit einer Leistungsgesellschaft finden wir neben unangenehmen Verspannungen viele Schmerzbilder, bei denen es sich in der Physiotherapie lohnt, zusätzlich direkt auf die Stresssymptomatik einzugehen. Und das können wir mit Achtsamkeitsbasierter Physiotherapie erreichen.
Abgesehen davon produziert Schmerz ebenfalls Stress, der uns durch Ablehnung desselben in den Kreislauf von Emotion - Flucht oder Verteidigung mit den oben besprochenen Körperreaktionen bringt.
Achtsamkeitsbasierte Physiotherapie kann uns helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Sie kann uns durch ihren multidimensionalen Einsatz helfen, auch an den tieferliegenden Ursachen zu arbeiten und somit weiterzukommen als mit klassischer Physiotherapie.
Ich kann Ihnen viel erzählen. Aber Sie müssen es selbst spüren, um den Unterschied zu verstehen.
Deshalb möchte ich Sie hier zu einer kleinen ‘Vorbereitungsübung’ einladen:
Ausgangsstellung: Sie können diese Wahrnehmungsübung im Sitzen oder Stehen durchführen. Wichtig dabei ist, dass Sie im Stehen gut und sicher mit geschlossenen Augen stehen können
Wiederholen Sie das nun einige Male und reflektieren Sie es erneut. Gab es Unterschiede in Ihrem Erleben? Wenn ja, welche? Wie fühlen Sie sich jetzt?
Diese Übung ist keine Rücken- oder Nackenübung. Sie soll nur die Koordination zwischen Achtsamkeit - Bewegung und Atmung einüben. Trotzdem herzlichen Glückwunsch, Sie waren aktiv und offen für Neues.
Bitte beachten Sie, dass diese Übung keine therapeutische Übung ist. Wenn Sie eine Erkrankung oder Schmerzen haben, konsultieren Sie immer zuerst Ihren Arzt. Bei Schulterproblemen machen Sie eine Beugung und Streckung eines gesunden Ellenbogens anstelle der Armhebung.
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