Artikel 27/07/2015

Die ganzheitliche Behandlung von Kniegelenkverschleiß

Dr. med. Peter Weih Orthopäde & Unfallchirurg, Sportmediziner, Chirotherapeut
Dr. med. Peter Weih
Orthopäde & Unfallchirurg, Sportmediziner, Chirotherapeut
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Eine der häufigsten Erkrankungen in der Orthopädie sind Verschleißerkrankungen, diese betreffen besonders das Kniegelenk. Das Ausmaß der Verschleißerkrankung lässt sich in 4 Grade einteilen:

  • Grad I: Es liegen kleine Unregelmäßigkeiten im Knorpel vor.
  • Grad II: Es bestehen größere Unregelmäßigkeiten im Knorpel.
  • Grad III: Es können schon kraterähnliche Zustände erkannt werden.
  • Grad IV: Es ist kein Knorpel erkennbar, es besteht eine sogenannte Knorpelglatze.

Fachbegriffe rund um das Kniegelenk

  • Femur: Oberschenkelknochen
  • Tibia: Schienbein
  • Fibula: Wadenbein, welches außen liegt und nicht direkt zum Kniegelenk gehört.
  • Retinaculum mediale und Retinaculum laterale: Bandapparat innenseitig und außenseitig des Kniegelenkes.
  • Patella: Kniescheibe, wird von dem vierköpfigen Muskulus quadrizeps femoris umfasst, der mit einem sogenannten Ligamentum patellae am Vorsprung des Schienbeines (Tuberositas tibiae) ansetzt.
  • Ligamentum patellae: Band der Kniescheibe, Ausläufer des vierköpfigen Muskulus quadrizeps femoris.
  • Muskulus quadrizeps femoris: vierköpfiger Muskel bestehend aus dem gerade verlaufenden Muskel (Muskulus rectus femoris), dem unten verlaufenden Muskulus vastus lateralis, dem innen verlaufenden Muskulus vastus medialis und dem unten verlaufenden Muskulus vastus intermedius.
  • Pes anserinus: Sogenannter Gänsefuß. Zusammenschluss an der Innenseite des Kniegelenkes unterhalb des Gelenkspaltes am Schienbeinkopf von dem von außen nach innen verlaufenden Muskulus sartorius und den innen verlaufenden Muskulus graziles und Muskulus semitendinosis. Häufig wird ein Druckschmerz in dem Bereich mit dem Meniskus verwechselt, dieser liegt aber eindeutig im Gelenkspalt.
  • Innenmeniskus: Halbmondförmige Knorpelscheibe zwischen Oberschenkelrolle und Schienbein. Sie wird unterteilt in ein Vorderhorn, ein Mittelstück und ein Hinterhorn. Ist das Vorderhorn betroffen, entstehen häufig Schmerzen beim Überstrecken, beim Hinterhorn werden die Schmerzen durch die maximale Beugung ausgelöst.
  • Außenmeniskus: Nach außen gelegene Knorpelscheibe, halbmondförmig wie beim Innenmeniskus zwischen Oberschenkelrolle und Schienbein. Sowohl der Außen- als auch der Innenmeniskus liegen auf dem Schienbeinplateaurand.
  • Kreuzband: Verbindt Oberschenkelrolle und Schienbein und sorgt dafür, dass der Schienbeinkopf nicht nach vorne wegfällt.
  • Innen- und Außenband: Sitzen direkt am Kniegelenk.
  • Tuberositas tibiae: Knöcherner Vorsprung am Schienbeinkopf am Ansatz des Kniescheibenbands. Diese Wachstumszone kann insbesondere bei Jungen zwischen 12 und 14 Jahren Schmerzen verursachen, da es durch den vermehrten Zug des Kniescheibenbandes zu einer Minderdurchblutung des Knochens an der Wachstumszone des Ursprunges des Schienbeinkopfes kommt.
  • Morbus Osgood Schlatter: Durchblutungsstörung an der Tibia während der Wachstumsphase.
  • Morbus Sinding Larsen: Durchblutungsstörung im Bereich der Wachstumszone an der Kniescheibenspitze meist auch im Wachstum. Tritt häufiger bei Jungen als bei Mädchen zwischen dem 12.- 14. Lebensjahr auf.
  • Medial oder Lateral betonte Gonarthrose: Auf die Innenseite bezogener Kniegelenksverschleiß bei Patienten mit O-Beinen oder auf die Außenseite bezogen bei Patienten mit X-Beinen.
  • Baker-Zyste: Kennzeichnet einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum deren Quelle häufig ein Verschleiß hinter der Kniescheibe ist (im Sinne einer Retropatellararthrose).
  • Insuffizienz: Schwäche der Muskulatur.
  • Unhappy Tried: Verletzung des Innenbandes, des Innenmeniskus und des vorderen Kreuzbands, die jeweils in den Bändern Verbindungen zueinander haben (häufige Skiverletzung).
  • Blutiger Erguss im Kniegelenk: Häufig Hinweis auf eine Verletzung des Bandes. Gelber, urinfarbener Erguss aufgrund Abriebprodukten wegen des Verschleißes im Kniegelenk. Blutiger Erguss mit Fettaugen ist ein Hinweis auf Bandverletzung mit Beteiligung von Knochen.
  • Retropatellararthrose: Verschleiß hinter der Kniescheibe in dem sogenannten Gelenk zwischen Kniescheibenrückfläche und Oberschenkelvorderfläche. Schmerzangabe häufig beim Treppensteigen und insbesondere Bergsteigen.

Die Behandlungsmöglichkeiten von Kniegelenkbeschwerden

Es gibt viele Möglichkeiten Kniegelenksverschleiß und Kniegelenkserkrankungen entgegenzutreten. Wichtig ist, dass die Untersuchung auch die Betrachtung der angrenzenden Gelenke wie Fußgelenke, Hüftgelenke und sogar der Lendenwirbelsäule einschließt. Auch die Statik, also ob es sich um O-/X-Beine oder gerade Beinachse handelt, ist entscheidend. Die Diagnostik beinhaltet meist Röntgenbilder oder die Magnetresonanztomographie zur Darstellung sämtlicher Strukturen wie Knorpel, Knochen, Bänder und Sehnen. Die darauf folgende Therapie setzt sich idealerweise aus schulmedizinischen und alternativen Elementen zusammen.

Schulmedizinische Maßnahmen

  1. Physiotherapie: Die Physiotherapie bewirkt eine Verbesserung und Stärkung des Kapsel-Band-Apparates am Kniegelenk. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass der häufig geschwächte innen gelegene Kniegelenksmuskel des vierköpfigen Muskulus quadrizeps femoris (Muskulus vastus medialis) gezielt aufgebaut wird, weil er gegenüber dem bei jeder Bewegung trainierten stärkeren Muskulus vastus lateralis abfällt. Ein gutes Gleichgewicht zwischen diesen beiden Muskeln schafft den optimalen Verlauf der Kniescheibe bei Beugung in der sogenannten Bewegungsrolle des Oberschenkelknochens. Beim innen gelegenen Kniegelenksschmerz bedingt u.a. durch O- Beine ist z.B. eine Einlagenversorgung mit einer Außenranderhöhung zur Entlastung des inneren Kniegelenksspaltes sinnvoll. Gleiches gilt bei einer durch X-Beine hervorgerufene Überbelastung. Hier entlastet die Innenranderhöhung mit Einlagen.
  2. Physikalische Therapie: Bei akuten Erkrankungen ist häufig Kälte indiziert, bei chronischen Erkrankungen Wärme. Des Weiteren kommen Elektrotherapie und/oder Ultraschall zur Anwendung.
  3. Medikamente: Häufig werden nicht kortisonhaltige, entzündungshemmende Medikamente kurzfristig angewendet. Allerdings reduzieren sie die Schleimhautproduktion im Magen, was zu Magen-Darm-Beschwerden führen kann. Dann sind diese Medikamente sofort abzusetzen. Wegen der hohen Nebenwirkungen (auch der Niere und Leber) sind sie nicht als Dauermedikation geeignet. Insbesondere bei älteren Patienten ab dem 50. Lebensjahr ist die die gleichzeitige Einnahme eines Magenschutzes sowie eine genaue Festlegung der Indikation, wie z.B. eine intensive Kur von 5 Tagen je 2 Tabletten, nötig.
  4. Spritzen: Die Neuraltherapie fördert die Durchblutung durch sogenanntes Quaddeln mittels eines Lokalanästhetikums. Dies sind beispielsweise Meaverin oder Procain, wobei höhere Nebenwirkungen und Kontraindikationen bei Procain bestehen. Bei der intraartikulären Therapie wird ein kortisonhaltiges Präparat, selten auch ein länger an Ort verbleibendes Kristallkortison, verabreicht. Die Behandlung erfolgt nur unter sterilen Bedingungen nach vorheriger Aufklärung von Nebenwirkungen und Kontraindikationen an einem sonst gesunden Patienten ohne Infekt und Unwohlsein. Mehr als eine intraartikuläre Kortisonspritze ist nicht empfehlenswert, da neben der Gefahr einer Infektion ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen besteht.
  5. Bandage: Die Bandage trägt zur Schmerzlinderung und Bewegungsverbesserung bei, sie übernimmt aber die Muskelfunktion. Ein dauerhaftes Tragen der Bandage oder einer Spange ist nicht zu empfehlen. Sie sollte nur bei sportlichen Belastungen kurzfristig eingesetzt werden, da es sonst zum Rückgang der Muskulatur und damit zur Instabilität des Kniegelenkes kommt. Der aktive Muskelaufbau ist der Bandage vorzuziehen.

Alternative Therapieverfahren

Alternative Behandlungsmöglichkeiten stellen die Ganzkörperschmerzakupunktur, die Ohrakupunktur oder die Anwendung eines Kinisio-Tapes dar. In der Vorstellung der chinesischen Medizin liegt die Ursache der Gelenkverschleißerscheinung in einem Stau der Lebensenergie des Qi. Gezielte Akupunktur bringt dieses wieder zum Fließen. Kommt es bei halbjährlicher schulmedizinischer Therapie zu keiner Besserung, übernehmen einige Krankenkassen die Kosten
für 10-15 Sitzungen.
Das auf die unbehandelte Haut unter leichter Spannung aufzuklebende Kinesio-Tape fördert durch seine wabenförmige Struktur und die aktive Bewegung des Patienten die Durchblutung der Haut und Muskulatur und stabilisiert das Kniegelenk. Der Vorteil dieses Tapes gegenüber einer Bandage ist, dass die Muskulatur aktiv gefördert und nicht geschwächt wird.

Alternative Methoden ohne wissenschaftliche Fundierung

  1. Hyaluronsäure: Bei der wissenschaftlich nicht gesicherten Behandlung mit Hyaluronsäure wird diese meist unterhalb die Kniescheibe gespritzt. Der Behandlung liegt die Vorstellung zu Grunde, dass man in den entscheidendem Bestandteil des Knorpels die Hyaluronsäure in das Gelenk zurückgibt, um eine sogenannte Gelenkschmiere zu ermöglichen (als ob eine quietschende Tür geölt wird). Produkte ohne tierische Eiweiße sind zu empfehlen, da sonst die Gefahr für allergische Reaktionen steigt. Es gibt sowohl die Eimalspritze als auch eine fünfmalige 1x pro Woche durchgeführte Kur.
  2. Körpereigene Stoffe: Bei diesem Verfahren werden aus körpereigenem Blut knorpelschützende, entzündungshemmende Stoffe isoliert und vermehrt, um sie dann in erhöhter Konzentration wieder in das schmerzende Gelenk zurückzugeben. Auch hier liegt kein wissenschaftlicher Beleg vor. Der Vorteil der körpereigenen Therapie liegt bei den grundsätzlich fehlenden Nebenwirkungen.
  3. Spritzen mit Polypeptiden: Bei der homöopathischen Spritzenkur wird eine Substanz, wie z.B. Traumeel auch an den Meniskus und/oder Außenmeniskus gespritzt.

Die gelungene Behandlung hängt von der Zusammenarbeit von Arzt und Patient ab. Die Schmerzlinderung und Bewegungsverbesserung ist für jeden Patienten möglich, dafür muss er jedoch etwas tun. Dies beinhaltet eine Gewichtsreduktion bei Übergewicht, eine gesunde Ernährung mit wenig gelenkbelastenden Stoffen wie z.B. rotem Fleisch, harnsäurehaltigen Produkten, Alkohol oder Zigarettenkonsum. Dies heißt nicht, dass der Patient als Asket leben soll, sondern dass er verantwortungsbewusst mit seinem Körper umgeht.

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