Artikel 15/03/2009

Schulmedizin, Hokuspokus und Naturheilkunde. Ein notwendiger Vermittlungsversuch

Team jameda
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Schulmedizin und Naturheilkunde: beides zusammen könnte die perfekte Heilkunst ergeben. Nur, mit dem Zusammengehen ist es so eine Sache. Beide Seiten tun sich damit schwer. Keiner mag viel auf die Konzepte und die Kompetenz des anderen geben. Argwöhnisch wird beobachtet, wer den Brückenschlag versucht; schnell gerät er in den eigenen Reihen unter den Verdacht der Abtrünnigkeit. Ich weiß, wovon ich spreche. Als ich vor Jahren begann, die medikamentöse Schmerzbehandlung von Fall zu Fall durch Akupunktur oder Pflanzenheilkunde zu ersetzen, fanden sich umgehend Kollegen, die mich aus der Gemeinschaft der Schulmediziner ausschließen wollten, weil ihnen das Ganze wie ein Verrat an den eigenen Prinzipien vorkam. Dabei hatte ich nur gewagt, das Übliche nicht länger als Dogma zu betrachten – wie auch schon beim frühen Einsatz von High-Tech. Warum, fragte ich mich damals, sollten wir ausschließlich die zwar wirksamen, aber stets auch belastenden Schmerzmittel einsetzen, wenn es noch andere Verfahren gibt,
mit denen ein ähnliches Ergebnis, die Linderung oder gar die Befreiung vom Schmerz, viel schonender zu erreichen ist, nicht in jedem Fall, aber doch immer öfter.

Sicher, das alles liegt schon etwas zurück. Wenige wagen es heute noch, die Akupunktur als Hokuspokus in Zweifel zu ziehen. Wissenschaftliche Untersuchungen (initiiert übrigens von zwei deutschen Krankenkassen, nicht von den Ärzten) haben ihre Wirksamkeit bestätigt. Im Alltag der schulmedizinischen Praxis jedoch spielt sie nach wie vor eine untergeordnete Rolle, wenn sie nicht wie viele andere Verfahren alternativer Medizin von vornherein ausgeschlossen bleibt. Hier hat sich über die Jahre wenig bewegt, zu wenig. Immer noch stehen sich Schulmedizin und Naturheilkunde skeptisch, meist unversöhnlich gegenüber.

Während die einen, getragen von den großartigen Erfolgen naturwissenschaftlicher Forschung, dazu neigen, die überlieferten Methoden nicht schulmedizinischer Behandlung hochmütig zu belächeln, verharren die anderen, die Verfechter der Erfahrungsheilkunde, oftmals in einem Fortschrittszweifel, der ebenso bedenklich ist. Denn am Ende hilft uns der Glaube, jedes Leiden ließe sich mit Kräutern, Bädern oder Massagen behandeln, so wenig wie die Verheißung einer Apparatemedizin, die schon alles irgendwie richten wird. Natürlich brauchen wir die Hochtechnologie, etwa High-Tech-Verfahren zur Diagnostik, die auch minimalinvasive Eingriffe erlauben, zum Beispiel Bandscheibenoperationen, bei denen der Rücken nicht mehr chirurgisch geöffnet werden muss. Niemand kann die Notwendigkeit pharmazeutischer Forschung ernsthaft in Abrede stellen. Ihre Ergebnisse haben geholfen, viele Krankheiten zu besiegen; und wir alle hoffen, dass bald etwas gefunden wird, womit auch Aids oder die Vogelgrippe geheilt und verhindert werden können.

Ebenso brauchen wir aber auch das Wissen der Naturheilkunde. Der Fortschritt hat es nicht überflüssig gemacht. Im Gegenteil, vieles, was er uns gebracht hat, wäre ohne  naturheilkundliche Erfahrung und Beobachtung nicht denkbar, das Aspirin unter anderem. Und wer wollte schließlich bestreiten, dass wir Schulmediziner hinsichtlich der menschlichen Zuwendung noch manches von den Vertretern der alternativen Medizin lernen können. Weil sie sich die Zeit nehmen, die wir selbst immer weniger zu haben glauben, gehen die Patienten zu ihnen. Diese Bereitschaft, „sich einzulassen“, ist das Entscheidende. Sie heilt oft mehr als die verschriebenen Pillen. Sogar Placebos zeigen danach erstaunliche Wirkung, wie die Forschung nachgewiesen hat. Mit Zuwendung verordnet, machen sie aus einem chemischen Nichts einen biologischen Vorgang. Spontanheilungen bei Krebs und anderen Erkrankungen sind keine Ammenmärchen, sondern Tatsachen, die man ernst nehmen muss, so selten sie vorkommen mögen. Wer dies als Arzt nicht glauben kann, sollte lieber Pathologe werden…

Das alles heißt aber nicht – um jeglichem Missverständnis vorzubeugen -, dass hier dem Handauflegen oder irgendwelcher Geisterbeschwörung das Wort geredet werden soll, obwohl auch das in manchen Kulturen seine Bedeutung hat. Nein, darum geht es nicht. Für die Naturheilkunde gilt selbstverständlich das Gleiche wie für die Schulmedizin: Das heilende Ergebnis der Verfahren muss nachweis- und wiederholbar sein, selbst wenn der Wirkungsmechanismus nicht immer erklärbar sein mag, noch nicht. Wo sie aber helfen können, sollte man die Behandlungsmethoden der jeweils anderen Seite auch gelten lassen. Niemand hat das Recht, irgendeine Möglichkeit der Behandlung sozusagen a priori auszuschließen. Immer vorausgesetzt, dass der Therapeut über einen hohen Erfahrungsschatz verfügt und bereit ist, seine Ergebnisse und die Behandlungsmethoden und Heilmittel wissenschaftlich überprüfen zu lassen.

Zu überwinden ist nicht die kritische Prüfung, sondern der generelle Vorbehalt. Darauf haben die Patienten einen Anspruch. Wo es die ärztliche Verantwortung verlangt, sollten wir bereit sein, über den eigenen Schatten zu springen, fachlichen Hochmut und Kränkung zu überwinden. Was wir brauchen, sind fließende Grenzen. Der Eid, den wir geschworen haben, verpflichtet uns, den Menschen zu helfen, nicht einem Lager zu dienen. In diesem Sinn gilt am Ende nur eines: „Wer heilt, hat recht.“ Das ist das Ethos einer gleichermaßen modernen wie traditionsbewussten, einer ganzheitlichen Medizin. Wer ihm folgt, wird keine Mühe haben, High-Tech, modernste Diagnostik und Apparatemedizin mit dem Respekt vor der Naturheilkunde zu verbinden, auf dieser wie auf jener Seite. Machen wir also Schluss mit Dogmatismus und Hokuspokus.

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