Was passiert mit der Psyche eines Menschen, der alles verliert und in einem fremden Land neu anfangen muss? Für Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland ist dies Realität. Sie suchen nach Sicherheit, Perspektiven und einem besseren Leben. Doch der Weg in eine neue Heimat ist oft von Herausforderungen geprägt, die unsichtbare Spuren hinterlassen.
In Deutschland hat rund jede vierte Person einen Migrationshintergrund – das entspricht etwa 22,3 Millionen Menschen (Statistisches Bundesamt, 2022). Viele von ihnen sind einem höheren Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) ausgesetzt. Die Ursachen dafür sind komplex: Traumatische Fluchterfahrungen, soziale Isolation oder Diskriminierung spielen eine zentrale Rolle.
Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind besonders häufig von psychischen Erkrankungen betroffen. Dies liegt an einer Vielzahl von Belastungen, die sowohl vor, während als auch nach der Migration auftreten.
Viele Migrantinnen leiden unter Einsamkeit, Trauer über den Verlust ihrer Heimat oder kulturellen Konflikten. Diese Belastungen führen oft zu langanhaltender Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und depressiven Verstimmungen. Laut einer Studie der Universität Bielefeld zeigen etwa 26 % der Migrantinnen depressive Symptome – im Vergleich zu 18 % der deutschen Vergleichsgruppe (Reiss et al., 2014).
Menschen, die Krieg, Gewalt oder Flucht erlebt haben, kämpfen häufig mit PTBS. Symptome wie Flashbacks, Schlaflosigkeit oder eine dauerhafte innere Anspannung beeinträchtigen ihren Alltag erheblich. Studien des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF, 2016) zeigen, dass bis zu 30 % der Geflüchteten in Deutschland von PTBS betroffen sind – bei der Allgemeinbevölkerung liegt diese Zahl nur bei etwa 2 %.
Sorgen um die Zukunft, Existenzängste und Unsicherheiten im neuen Land verstärken zudem das Risiko für Angststörungen. Migrant*innen berichten häufig von chronischem Stress, der durch rechtliche Unsicherheiten (z. B. Aufenthaltsstatus) oder Diskriminierung verstärkt wird.
Die Gründe für das erhöhte Risiko psychischer Erkrankungen bei Menschen mit Migrationshintergrund sind vielschichtig.
Viele Migrant*innen fliehen vor Krieg, Verfolgung oder Gewalt. Laut UNHCR sind 68 % der Geflüchteten weltweit durch solche Erlebnisse schwer traumatisiert (UNHCR, 2021).
Der Neuanfang in Deutschland bedeutet für viele, ohne ein soziales Netzwerk oder Unterstützung anzukommen. Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede erschweren es, Freundschaften oder Kontakte aufzubauen. Soziale Isolation ist eine der Hauptursachen für depressive Symptome, wie das Robert Koch-Institut (RKI, 2014) berichtet.
Rassismus und gesellschaftliche Ausgrenzung belasten viele Migrant*innen. Eine Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2020) ergab, dass 35 % der Menschen mit Migrationshintergrund Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft erfahren haben – ein Faktor, der die psychische Gesundheit nachhaltig beeinträchtigt.
Sprachprobleme, fehlendes Wissen über Therapieangebote und der Mangel an interkulturell geschultem Fachpersonal erschweren außerdem den Zugang zu psychologischer Hilfe. Laut dem Migrationsbericht der Bundesregierung (2022) suchen Migrant*innen seltener psychologische Unterstützung, obwohl der Bedarf deutlich höher ist.
Zahlen und Studien verdeutlichen die Dimension des Problems. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) haben Migrantinnen ein bis zu 1,5-mal höheres Risiko für psychische Erkrankungen als die einheimische Bevölkerung (DGPPN, 2020). Eine Untersuchung des Robert Koch-Instituts ergab, dass etwa 40 % der Migrantinnen Symptome von psychischem Stress aufweisen – verglichen mit 28 % der Menschen ohne Migrationshintergrund (RKI, 2014). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, dass weltweit 10 - 15 % der Migrant*innen unter schweren psychischen Erkrankungen wie PTBS leiden (WHO, 2019).
Diese Zahlen unterstreichen die dringende Notwendigkeit, bessere Unterstützung und niedrigschwellige Angebote für Betroffene zu schaffen.
Trotz der Herausforderungen gibt es Möglichkeiten, die seelische Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund nachhaltig zu verbessern.
Therapieangebote sollten auf die kulturellen Bedürfnisse der Patient*innen abgestimmt sein. Psychotherapie in der Muttersprache oder durch interkulturell geschulte Fachkräfte kann Vertrauen schaffen und Barrieren abbauen (DGPPN, 2020).
Sprachkurse, Mentorenprogramme und kulturelle Begegnungsprojekte stärken das Gefühl der Zugehörigkeit und reduzieren soziale Isolation. Integration wirkt präventiv gegen psychische Belastungen (RKI, 2014).
Informationskampagnen sollten Migrant*innen über ihre Rechte und vorhandene Hilfsangebote aufklären. Gleichzeitig müssen psychische Erkrankungen enttabuisiert werden, um Betroffene zu ermutigen, frühzeitig Hilfe zu suchen (Migrationsbericht, 2022).
Ärzte und Therapeutinnen sollten regelmäßig in interkultureller Kompetenz geschult werden, um auf die spezifischen Bedürfnisse von Migrantinnen eingehen zu können (DGPPN, 2020).
Niedrigschwellige Angebote wie Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen können psychische Belastungen frühzeitig erkennen und behandeln (BAMF, 2016).
Psychische Erkrankungen sind für viele Menschen mit Migrationshintergrund eine unsichtbare Bürde. Traumatische Erfahrungen, Isolation und Diskriminierung hinterlassen tiefe Spuren, während der Zugang zu Unterstützung oft erschwert ist. Doch es gibt Hoffnung: Mit interkulturellen Therapieangeboten, besserer Aufklärung und sozialer Integration können wir gemeinsam dazu beitragen, dass Migrant*innen nicht nur physisch, sondern auch seelisch in Deutschland ankommen.
Eine starke Gesellschaft erkennt die Herausforderungen ihrer Mitglieder und arbeitet daran, sie zu bewältigen – für eine Zukunft, in der Herkunft kein Hindernis für psychische Gesundheit ist.
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