Artikel 15/12/2016

Trauma bei Kleinkindern und Erwachsenen: Wie sie entstehen und welche Symptome auftreten

Team jameda
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Wussten Sie, dass 70 - 80 % der erlittenen Traumata bis zum 1. Lebensjahr eines Menschen geschehen? Wir erinnern uns zwar dann nicht mehr an das Erlebte, dennoch bleibt es in unserem Unterbewusstsein gespeichert.

Ein Beispiel: Ein Kind erwacht eng angeschnallt im Autositz und ist alleine, es bekommt furchtbare Angst und beginnt, zu schreien. Wenn dann die Mutter zurückkommt, schaut es sie mit großen Augen an – erstarrt vor Schreck. Ab diesem Zeitpunkt kann es sein, dass das Kind in Situationen des Alleinseins in eine Starre verfällt oder vollkommen überreagiert.

Ein anderes Beispiel ist ein relativ häufig vorkommendes Trauma: Das Kind bleibt im Geburtskanal stecken. Später entwickelt es Furcht vor Tunneln oder vor Enge.

Vielleicht hat die Mutter aber auch während der Schwangerschaft Angst, verlassen zu werden oder wird wirklich verlassen. Das Kind übernimmt dieses Gefühl und entwickelt dann von klein auf Ängste vor dem Verlassenwerden und Alleinsein.

Wenn Kinder aus medizinischen Gründen ganz früh von ihren Eltern getrennt werden, zieht das oft erhebliche seelische Erschütterungen mit sich - sie reagieren darauf entweder mit Starre, Flucht, Kampf oder Anpassung und diese Reaktionen behalten sie bei einem erneuten Trauma bei.

Wohlgemerkt, es muss zu keinem Trauma kommen, aber es ist möglich. Nicht behandelt, können betroffene Kinder im Alter zu Depressionen, Verhaltensauffälligkeiten und Autoaggressionen neigen. Deshalb ist es wichtig, Kinder mit Auffälligkeiten möglichst frühzeitig zu behandeln.

Traumaforschung

In unseren Genen sind seit der Erstehung der Menschheit Erinnerungen gespeichert, sogenannte Urinstinkte. Und darauf können wir in Krisensituationen zurückgreifen - unbewusst.

Um überleben zu können, brauchte der Urmensch seine Sippe. Alleine war er dem sicheren Tod ausgeliefert. Wenn eine Gruppe Urmenschen auf Wanderung war und sich eine Person erleichtern musste, ging sie hinter einen Busch. Wenn die Person wiederkam und die Sippe nicht mehr da war, führte das in den sicheren Tod. Der Körper verfügt über Mechanismen, die seit diesen Zeiten dem Überleben dienen, denn es passiert immer Folgendes:

Wird eine Wahrnehmung - aus dem Äußeren oder dem Inneren des Körpers - vom Zentralnervensystem als Gefahr für das System interpretiert, wird der Organismus in erhöhte Alarm- und Handlungsbereitschaft versetzt. Das wirkt sich vor allem auf Muskulatur, Atmung und Kreislauf aus, aber auch die Informationsverarbeitung im Gehirn selbst verändert sich dadurch.

Erleben wir eine Bedrohung, werden Hormone (u.a. Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) als Botenstoffe in das Blut ausgeschüttet und der auf Aktivität gerichtete Teil unseres vegetativen Nervensystems (Sympathikus) wird aktiviert, während sein Gegenspieler, der auf Ruhe, Regeneration und Reproduktion gerichtete Parasympathikus, gehemmt wird.

Auf diese Aktivierung hin beginnt der Organismus, verstärkt Energie zu produzieren, um kurzfristig leistungsfähiger zu sein. Gleichzeitig wird der Blutfluss umverteilt und alle Funktionen, die im Augenblick nicht lebensnotwendig sind, werden gehemmt.

Bedrohliche Situationen

Über lange Zeit waren Fressfeinde die Hauptbedrohung. Daher reagieren wir noch heute reflexhaft so wie vor Urzeiten, um unser Leben zu retten, das heißt, wir fliehen, kämpfen oder stellen uns tot. In früheren Zeiten sollte der Totstellreflex beim Angreifer die ebenfalls reflexhafte Beißhemmung auslösen. Höhere Hirnfunktionen werden dazu nicht gebraucht und stehen dann auch nicht zur Verfügung, es entsteht ein „Tunnelblick“, um sich so schnell es geht in Sicherheit zu bringen.

Ganz allgemein gilt für jegliche Herausforderung: Je bedrohlicher oder stressender die Situation ist, umso weniger ist mit intelligenten, kreativen oder ethischen Lösungen zu rechnen.

Denn so wie sich das Gehirn während der Evolution vom Rückenmark über Stammhirn und Mittelhirn zum Großhirn hin entwickelte, so fallen bei Stress in umgekehrter Reihenfolge die höheren, differenzierten Funktionen immer mehr zu Gunsten der reflexhaften und schnelleren unbewussten Reaktionsweisen aus.

Erst wenn man die Anforderung überlebt hat und zur Ruhe kommt, stellen sich die zeitweilig nicht verfügbaren Fähigkeiten wieder ein.

Die unwillkürlich im Körper ablaufenden Prozesse führen zum Teil zu spürbaren Veränderungen in der Körperwahrnehmung. In der Folge reicht dann die Angst, dass es wieder geschehen könnte, um den Reaktionszyklus auszulösen. Später genügt die Angst vor der Angst - aus „Nichts“ ist nun „Etwas“ geworden.

Wie reagiert der menschliche Körper auf bedrohliche Situationen?

Die Alarmreaktion selbst ist kurzzeitig völlig unschädlich, aber erwünscht, denn sie führt dazu, dass der Mensch besonders leistungsfähig ist und bestimmte Anforderungen meistert. Im Blut werden kurzfristig Energieträger erhöht: Schnell verfügbar ist Zucker (Glukose) und energiereich ist Fett (insbes. Triglyceride und Cholesterin), also genau die Rohstoffe, aus denen Energie in den Zellen erzeugt wird - das erklärt das Bedürfnis nach Süßem oder Fettigem wie Schokolade oder Chips.

Die Bauchspeicheldrüse schüttet verstärkt das Hormon Insulin aus, um Glukose in die Zellen zu transportieren. Das kann jedoch über längere Zeit zur Erschöpfung der Drüsenzellen und somit zu Diabetes führen.

Fühlt sich der Mensch bedroht, kommt es außerdem zu folgenden Reaktionen:

  • Die Atmung wird verstärkt, um mehr Sauerstoff in das innere „Stoffwechselfeuer“ zu blasen; so werden die Brennstoffe zu verfügbarer Energie umgewandelt. Wir erleben das als vermehrtes Luftholen, als „Lufthunger“, als Gefühl von „Atemnot“. Die vertiefte Atmung kann zu Symptomen der Hyperventilation führen; mit Schwindel- und oder Kribbelgefühlen in Körperteilen, eventuell sogar Verkrampfungen in bestimmten Muskeln.

  • Beschleunigung von Puls und Erhöhung des Blutdrucks: So wird die Durchblutung verbessert und durch Blutflusslenkung die Energie dorthin gebracht, wo sie nun dringend gebraucht wird - in der Muskulatur.

  • Herzrasen, Pulsschlag im Hals, Druckgefühl im Kopf und Unruhe

  • Vermehrte Muskeldurchblutung: Mehr Kraft, Ausdauer und verbesserte Beweglichkeit erhöhen die Chancen bei Flucht oder Angriff. Bewusst erlebt werden Angespanntheit und unbändige Kraft, aber auch Zittern, das Gefühl weicher Knie, ein Klos im Hals oder andere Verspannungen und deren Folge wie z.B. kalte Finger und Füße. Durch die vermehrte Muskelarbeit (Energieverbrauch) kommt es zur Körpererwärmung; gefühlt als Hitzewallungen und Erröten der Haut.

  • Vermehrte Hautdurchblutung und vermehrtes Schwitzen: Um den Organismus zu kühlen und die Körpertemperatur konstant zu halten, wird die in den Muskeln produzierte Wärme an die Oberfläche geleitet und die beim Schwitzen entstehende Verdunstungskälte genutzt. Wahrgenommen werden kaltschweißige Haut, Frieren oder Gänsehaut.

  • Verminderte Blutzufuhr zu den inneren Organen.

Ziel

Drosselung aller im Alarmzustand unnötigen Stoffwechselvorgänge. Manche spüren das als Übelkeit oder als merkwürdige Gefühle in der Magengegend, z.T. führt die Aufregung aber auch zu Durchfall und vermehrtem Harndrang.

  • Verminderte Blutzufuhr zum Großhirn: Die relativ langsame Reizverarbeitung im Großhirn wird zurückgedrängt; eine genaue Bestimmung der Gefahr ist akut meist nicht nötig; schematische Entscheidungsmuster niederer Hirnregionen werden aufgerufen. Die Reaktionen setzen damit rascher, problemorientierter ein - wenn auch mit größeren Fehlerquoten.

  • Erlebbar sind Schreck, Lampenfieber, Angst, manchmal Panikgefühle; Folgen können auch Schwindelgefühle, Konzentrationsstörungen oder ein Blackout in Prüfungen sein.

  • In Extremfällen kann es zu Bewusstseinsverlust, Dissoziation, Stupor oder sogar zum Schocktod kommen.

  • Verminderte Schmerzwahrnehmung: Kurzfristig bietet sie Schutz, da der Moment, in dem die Aufmerksamkeit beim Schmerz liegen sollte, eine entscheidende Lücke in der Abwehr einer Gefahr darstellt. Langfristig wäre es gefährlich, ein wichtiges Meldesystem von Gefahren und innerem Ungleichgewicht außer Kraft zu setzen.

Der Urmensch, von dem wir gesprochen haben, hat seine Sippe hinter dem nächsten Hügel wiedergefunden. Seine Körperfunktionen normalisierten sich zwar, doch die erlittene Angst ist nun in seinen Genen gespeichert und wird an seine Nachkommen weitergegeben.

Fazit

Sie sehen also, dass unser Körper über immense Überlebensstrategien verfügt - und das seit Urzeiten. Schlimme Erlebnisse und Traumata können über Generationen an die Nachkommen weitergegeben werden und diese können dann zum Symptomträger für ihre Urahnen werden.

Das ist einleuchtend, denn manchmal leiden bereits Babys und Kleinkinder unter schlimmen Alpträumen - Kinder, denen nie etwas Schlimmes passiert ist, die umsorgt und wohlbehütet sind, aber unter Altlasten ihrer Vorfahren leiden.

Die Traumaforschung ist ein unendliches Feld, wovon manches bereits wissenschaftlich erwiesen ist und vieles noch vollkommen im Dunkeln liegt.

Abschließend ein Zitat von Tolstoi: ‘Jeder Mensch hat die Keime aller menschlichen Eigenschaften in sich. Manchmal kommen die einen zum Vorschein, manchmal die anderen.’

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