Anhaltender Stress kann uns überfordern und damit krank machen. In jedem Alter. Aber warum ist das so und sind wir dem einfach ausgeliefert?
‘Wir sollten uns davor hüten, den Intellekt zu unserem Gott zu machen; gewiss, er hat starke Muskeln, jedoch keine Persönlichkeit. Er darf nicht herrschen; nur dienen.’ so lautet ein Zitat von Albert Einstein.
Auch in den Augen vieler Neurowissenschaftler:innen ist unser mentales Leben geprägt durch das andauernde Streben nach einer Balance zwischen zwei uns innewohnenden Gehirntypen. Ein kognitives: bewusst, rational und der Außenwelt zugewandt, sowie ein emotionales: unbewusst, in erster Linie aufs Überleben bedacht und in engem Kontakt mit dem Körper.
Diese beiden Verarbeitungsebenen regulieren für uns alles, vom Lesen bis hin zur Zellteilung. Auch unser Erleben, das als eine Art intuitives Urteil über eine Situation (z. B. gefährlich oder angenehm) nur sehr geringfügig über Logik gesteuert werden kann.
Wie genau jede einzelne Person auf die Umwelt reagiert, ergibt sich dabei aus dem sich beständig entwickelnden Schaltplan ihrer Nervenzellen. Neue Eindrücke schaffen neue Verbindungen. Ihre Wiederholung verstärkt die Verknüpfung. Andere sterben wieder ab und das gilt vom frühesten Moment unseres Lebens an.
Schon im Mutterleib, ca. Ende der 8. Woche, sind Gehirn und Rückenmark fast vollständig angelegt und es entwickeln sich Unmengen von Nervenzellen. Während der gesamten Schwangerschaft sind die neuronalen Strukturen äußerst empfindlich und damit anfällig gegenüber äußeren Einflüssen, vom Konsumverhalten bis hin zum Stress-Level der Mutter.
Alles wirkt sich unmittelbar aus und prägt so auch erste Verknüpfungen im heranwachsenden Kind. Durch die Kopplung an das Blutsystem der Mutter gilt das auch für das körpereigene Stoffsystem, das über Cortisol, Oxytocin, Opioide, Dopamin, Serotonin und weitere Ausschüttungen die Rezeptoren mehrerer Nervenzellen gleichzeitig stimulieren oder ausbremsen kann.
So etablieren sich Verbindungen, beschleunigen die Informationsweitergabe oder blockieren sie. Wiewohl beispielsweise der Hypothalamus kaum ein Prozent der Gehirnmasse eines Erwachsenen ausmacht, reguliert er die Sekretion nahezu aller Körperhormone. Über sie beeinflusst er Appetit, Libido, Schlafzyklen, Menstruationszyklen, Temperaturregelung, Fettstoffwechsel und vor allem die Stimmung und die Energie zum Handeln.
Daher lässt sich das emotionale Gehirn auch gut über den Körper erreichen. Therapeutisch wird bereits auf vielen Ebenen, von der Atmung über Klang oder Berührung und auch Augenbewegungen, mit diesem Wissen gearbeitet. In neurobiologischen und auch chiropraktischen Ansätzen rückt daher die Herzraten-Variabilität in den Fokus.
Neurobiologische Untersuchungen zeigten, dass die Herzregion nicht nur vom zentralen Nervensystem gesteuert wird, sondern dass sie Nervenfasern zur Schädelbasis nutzt, um die Aktivität des Gehirns zu kontrollieren. Darüber hinaus verfügt sie über eine eigene Hormonproduktion, womit das ‘kleine Gehirn’ des Herzens direkt auf das emotionale Gehirn einwirken kann.
Da diese Verbindungswege auch über die Brustwirbelsäule verlaufen, ist hier auch chiropraktisch ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt. Grundsätzlich gilt eine hohe Variabilität als gutes Signal für die Anpassungsfähigkeit und damit auch Stressresistenz des Systems.
Die Variabilität zeigte sich in klinischen Tests bei Neugeborenen als am größten und im Sterbeprozess am niedrigsten. Sie drückt im Grunde das Verhältnis zwischen den beiden unbewussten Steuerungssystemen des Sympathikus und des Parasympathikus aus. Die Variabilität wird geringer, sofern wir die physiologische Bremse, den entspannenden Teil – das parasympathische System – nicht trainieren. Der Beschleuniger und Aufreger – das sympathische System –ist durch den Alltag ohnehin permanent im Einsatz.
Also besteht die Herausforderung darin, das stressreduzierende und für Erholung sowie Regeneration zuständige parasympathische System zu stärken, um die bestmögliche Balance zwischen beiden zu gewährleisten. Das ist nicht nur für unser Wohlbefinden und das Herz-Kreislauf-System wichtig. Auch das Immunsystem profitiert davon: Immunglobuline A (IgA) stellen die erste Verteidigungslinie des Organismus gegen Ansteckung durch Viren, Bakterien und Pilze dar. Sie entstehen an der Oberfläche der Schleimhäute (Nase, Hals, Bronchien, Darm und Vagina), wo ständig Infektionen drohen. In einer Studie1 hat allein die Vorstellung von Wut bei den Probanden dazu geführt, zum einen im Herzrhythmus messbar Chaos zu stiften und zum anderen die IgA-Werte im Anschluss für sechs Stunden abfallen zu lassen.
Mit anderen Worten: Ärger und Stress mindern die Widerstandskraft. Die gute Nachricht: Umgekehrt funktioniert es auch. Positive Erinnerungen oder Stimmungen erhöhen die Produktion von IgA in den nachfolgenden sechs Stunden. In derselben Studie führte eine positive Erinnerung zu mehreren Minuten der Kohärenz, und die Produktion von IgA erhöhte sich in den folgenden sechs Stunden.
Es sollte bis hierher deutlich geworden sein, dass unser emotionales Gehirn entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat. Es im positiven Sinn aktiv zu gestalten, setzt auch beim Körper an. Da können wir alle bereits viel tun – über gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung etc. Auch die verschiedenen Formen regelmäßiger mentaler Entspannung, von autogenem Training bis hin zu Meditationsformen, können dabei unterstützen.
Wichtig ist ein zentraler Gedanke: Wenn wir uns nicht mehr in der Lage sehen, unser Leben im Griff zu behalten, verliert es sehr schnell seinen Sinn. Und hier zeigt sich auch eine der Lockdown-Problematiken. Für die verschiedenen rationalen Herausforderungen sind wir nur gut gerüstet, wenn wir ein stabiles, widerstandsfähiges Erleben haben. Zumindest aktiv daran arbeiten. Sonst kann es sein, dass wir driften, uns nur getrieben fühlen, erschöpft sind und psychische und körperliche Symptome entwickeln.
Chiropraktor:innen geben in ihrer Arbeit über den Körper – in der Regel über die Wirbelsäule – Impulse an das Nervensystem. Die mechanische Beseitigung von Fehlstellungen ist dabei ein kleiner, aber wichtiger Teil, da die so aufgespürten Störungen auf den nervalen Informationswegen beseitigt werden. Ziel ist die anhaltende und dauerhafte Verstärkung der neuronalen Netzwerke, um die Widerstandskraft gegen Stressoren zu befördern.
1 ‘Rein, G., R. McCraty, et al. (1995), ‘Effects of positive and negative emotions on salivary IgA’, Journal for the Advancement of Medicine, Bd. 8 (2), S. 87?105.’
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