Team jameda
Ärzte haben einen besonderen Blick auf die Welt der Medizin. Damit Patienten hinter die Kulissen des Gesundheitswesens blicken können, stellt jameda Frau Dr. med. Vanessa Graßnickel interessante Fragen zu ihren Erfahrungen als Ärztin.
jameda: Frau Dr. Graßnickel, was hat Sie motiviert, Ärztin zu werden?
Dr. Graßnickel: Als Psychiaterin bewegt man sich nah an der Basis, am Existenziellen. Das beinhaltet ein hohes Maß an Verantwortung, aber eben auch die Nachhaltigkeit dieses besonderen Berufs.
jameda: Was macht Ihnen im Klinikalltag am meisten Freude? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Dr. Graßnickel: Psychiaterin zu sein, bedeutet teilzuhaben an den großen, teilweise wunderbaren Veränderungen im Inneren von Menschen. Das ist sehr motivierend.
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jameda:** Welchen Vorurteilen begegnen Sie häufig in Ihrer Klinik?
Dr. Graßnickel: Häufig vermitteln unsere Patienten den Wunsch, dass Abhängigkeitserkrankungen heilbar sind – das sind sie nicht; wichtig ist daher, die Güte der Behandlung dieser chronischen Erkrankung zu betonen und das Beste zu geben.
jameda: Manche Krankheiten und Therapien sind unangenehm und verlangen viel Durchhaltevermögen vom Patienten. Was raten Sie Patienten in solchen Situationen?
Dr. Graßnickel: Viele Erkrankungen bieten trotz des hohen Leidfaktors ein großes Maß an Gestaltungsmöglichkeit durch die Betroffenen selber; Autonomie und Souveränität bekommen dadurch eine besondere Bedeutung, die sich therapeutisch wunderbar nutzen lässt.
jameda: Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass ein Patient Ihren Therapieplan nicht befolgt?
Dr. Graßnickel: Die Patienten haben interindividuell solche Unterschiede in ihren Bedürfnissen und Ressourcen – vielleicht ging der Plan in diesem Fall an dem aktuellen Bedürfnis vorbei. Die Ziele können im Zweifelsfall täglich modifiziert und korrigiert werden.
Das Wichtigste ist die offene, transparente und auf Empathie fußende Kommunikation mit dem Patienten, weil es ausschließlich um ihn geht, er steht im Fokus der Therapie.
jameda: Wenn Sie das Gesundheitssystem ändern könnten, was würden Sie als Erstes tun?
Dr. Graßnickel: Ich würde sofort die Primärprophylaxe und die Prävention im Suchthilfesystem maximal ausbauen und erweitern.
jameda: Kein Mensch ist perfekt. In welchen Bereichen haben Ärzte Ihrer Meinung nach Verbesserungspotential?
Dr. Graßnickel: Auch Ärzte bewerten häufig, vielleicht auch zu häufig, danach, ob eine Krankheit ‘selbstverursacht’ anmutet. Es sollte vielmehr therapeutisch genutzt werden, die Initiative des betroffenen Patienten zu fördern und seine eigenen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
jameda: Die Welt der Medizin verändert sich ständig. Gibt es neue Therapieverfahren oder Gerätschaften, die Sie in Ihrer Praxis anwenden?
Dr. Graßnickel: Wir geben neben dem therapeutischen Prinzip auch supportiven Optionen eine Chance, den Synergismus zu erhöhen: Der NES-Weg hat seine Berechtigung, auch Akupunktur ist schon seit längerer Zeit Bestandteil des therapeutischen Angebots. Abstinenzerhaltende Medikamente werden konsequent da angeboten, wo das hohe Ziel der Abstinenz auch nur einen Hauch wahrscheinlicher wird.
jameda: Gibt es einen Patienten oder ein Erlebnis in Ihrer Praxis, das Sie nie vergessen werden?
Frau Dr. Graßnickel: Ja, ich erinnere mich an eine sehr kluge, erfolgreiche Frau Anfang 60, die über 30 Jahre stringent und konsequent abstinent von Alkohol war und dann einen schweren Rückfall erlitten hat. Sehr eindrücklich, dass das Suchtgedächtnis kein ‘Schreckgespenst’ von Ärzten und Therapeuten ist.
jameda: Welchen Gesundheitstipp möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Dr. Graßnickel: Das ‘Weniger-ist-mehr-Prinzip’; gesund leben ist sinnvoll, wenn man sich realistische Grenzen setzt.
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