Artikel 07/05/2020

Wie kann Trauer bewältigt werden? Diese Rolle spielen Archetypen dabei

Stefanie Porschen Heilpraktiker für Psychotherapie
Stefanie Porschen
Heilpraktiker für Psychotherapie
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Wird der Mensch mit einem Verlust konfrontiert, reagiert sein Organismus mit Trauer. Diese spontane, natürliche und selbstverständliche Reaktion bringt den Trauernden in tiefen Kontakt mit sich selbst. Er zieht sich in sich selbst zurück, um sich emotional mit der neuen Situation auseinanderzusetzen.

Dieser Heilungsprozess ist eine natürliche, menschliche Ressource. Sie ermöglicht dem Menschen, sich langsam auf die neue Ist-Situation einzulassen.

Die fünf Phasen des Trauermodells

Phase 1: Nicht-Begreifen-Können

Diese kurze Phase erstreckt sich über wenige Stunden bis zu einigen Tagen.
Bei einem plötzlichen Todesfall kann sie bis zu einer Woche dauern. Sie steht für die Zeit, die der Hinterbliebene braucht, um den anfänglichen Schock zu verarbeiten, um aus dem Nicht-Begreifen-Können in die nächste Phase einzutreten.

Phase 2: Zeit der intensiven Gefühle

In dieser Zeit wird der Trauernde im Wesentlichen von seinen Gefühlen übermannt. Wenn er sie zulassen kann, befindet er sich in einer äußerst wichtigen, emotionalen Achterbahnfahrt. Denn in dieser Zeit geht es um alle nur erdenklichen Gefühle wie z. B.

  • Trauer
  • Wut
  • Schmerz
  • Zorn
  • Hilflosigkeit
  • Freude
  • Dankbarkeit

Es ist wichtig, alle Gefühle zuzulassen, um heilen zu können. Trauernde fühlen sich noch immer oft schuldig, wenn sie wütend oder zornig auf den Verstorbenen sind. Es sind Introjekte, die hier eine Rolle spielen wie „Man redet nicht schlecht über Tote.“

Phase 3: Zeit der Ängste

Diese Phase ist gekennzeichnet von Zukunftsängsten. Dem Trauernden wird bewusst, dass eine große Veränderung in seinem Leben unumgänglich ist (Der Verstorbene kommt definitiv nicht mehr zurück.) und Veränderungen machen vielen Menschen erst einmal Angst.

  • Wie geht es weiter?
  • Kann ich das alles allein?
  • Will ich das allein können?
  • Will ich überhaupt noch weiterleben?
  • Was ist, wenn ich meine Freude im Leben nicht mehr wiederfinde?

Die ersten Vorstellungen, wie es werden könnte, breiten sich zart in dem Trauernden aus. Kommt zu dieser Zeit Freude oder Hoffnung auf, stellt sich meist sofort die Scham mit ein. Es geht aber auch um die Angst, den Verstorbenen zu vergessen und natürlich um die Angst, wie die Umwelt reagiert.

  • Werde ich mit meiner Trauer allein sein?
  • Was bedeutet Loslassen?
  • Mache ich alles „richtig“?
  • Welche Ängste gehören zu mir, welche habe ich übernommen?

Hat der Trauernde in dieser Phase die (innere und äußere) Möglichkeit, seine Ängste zu benennen, fällt es ihm leichter, dem natürlichen Trauerprozess zu folgen. In dieser Phase sind „gut gemeinte“ Ratschläge wie „Zeit heilt alle Wunden“ o. Ä. für den Trauernden von großer, hemmender Bedeutung. Er fühlt sich allein gelassen und zutiefst verunsichert, weil er hören, aber nicht fühlen kann, was Andere damit meinen und es ihn im Innersten einsam werden lässt.

Phase 4: Ressourcenorientiertes Arbeiten

In dieser Phase setzt sich der Trauernde mit seinen vorhandenen Ressourcen auseinander. Es geht darum zu erkennen, wie in der Vergangenheit schwierige Situationen bewältigt wurden. Dem Trauerden wird bewusst, was er gut kann, was ihm Mut macht und woraus er Kraft schöpfen kann. Zu dieser Zeit gibt es erstmals eine fühlbare Hoffnung, einen Weg für sich zu finden und nicht an dem Schicksal zu zerbrechen.

Phase 5: Integration der Beziehung zum Verstorbenen

Diese Phase nehme ich als eine der schwersten und gleichzeitig wertvollsten Erfahrungen in dem gesamten Trauerprozess wahr. Trauernde leben in der Trauer, zugleich in der Beziehung zum Verstorbenen.

Sie beschäftigen sich mit Fragen wie

  • Wer war der geliebte Mensch für mich und wer war ich für ihn?
  • Was bedeutet die Beziehung zwischen uns für mich und was hat sie für ihn bedeutet?
  • Was haben wir verpasst?
  • Was muss noch gesagt werden?
  • Was durften wir teilen?
  • Was habe ich vermisst?

Hier wird sehr deutlich, dass die Beziehung keineswegs zu Ende ist, ganz im Gegenteil. Sie wird auf eine bestimmte Art geradezu intensiviert.

Trauernde ahnen schon von der ersten Phase an, dass sie sich von der gemeinsamen Realität mit der geliebten Person verabschieden müssen. Zugleich gibt es den intensiven Wunsch, den geliebten Menschen als inneres Gegenüber zu bewahren. Die Beziehung zwischen dem Hinterbliebenen und dem Verstorbenen kann als interaktiv beschrieben werden, obwohl der Verstorbene physisch abwesend ist.

Mit Kachlers Worten: „Trauernde können an den Verstorbenen nicht nicht denken und nicht nicht imaginieren und deshalb nicht nicht mit ihm kommunizieren.“

Der Trauerprozess dient an dieser Stelle dazu, dass der Trauernde seine ganz persönliche, für ihn stimmige Beziehung zum Verstorbenen findet. Diese Phase ist unumgänglich für eine vollständige Heilung.

Was sind „Archetypen“?

Auch die „Archetypen“ in der Psychologie C. G. Jungs spielen bei der Trauerbewältigung eine Rolle. Jung 1875-1961 war ein Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie. Er beschäftigte sich mit Mythen, Märchen und Vorstellungsbildern aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen, die nicht voneinander beeinflusst worden waren. Durch sie gelangte er zu der Erkenntnis, dass Archetypen universell vorhandene Strukturen in der Seele aller Menschen sind.

Sie sind unabhängig von ihrer Geschichte und Kultur. Das Wort stammt aus dem griechischen archē und bedeutet „Ursprung“, „Ur- oder Grundprägung“. Manchmal werden Archetypen auch als Urbilder bezeichnet.

Sie beruhen auf den Urerfahrungen des Menschen, wie

  • Geburt
  • Kindheit
  • Pubertät
  • männlich/weiblich
  • Eltern
  • Wandlung
  • Tod

Die Archetypen beeinflussen unbewusst unser Verhalten und unser Bewusstsein. Sie basieren auf den Instinkten und haben sich evolutionär im Sinne des „Survival oft the fittest“ entwickelt. Wenn ein archetypisches Verhalten unterdrückt wird oder in der Kindheit unterdrückt werden musste, um sich in dem System der Familie sicher und angenommen zu fühlen, kann sich daraus eine Neurose bilden.

Archetypische Tendenzen, die einen höchst heilsamen Einfluss ausüben können (sogenannte „Ent-Wicklungen“) verwandeln sich zu wahren Dämonen, wenn sie verdrängt werden (sogenannte „Ver-Wicklungen“).

Die vier Archetypen werden meist in Farben eingeteilt: Rot, Orange, Grün und Blau.

Die Archetypen und die Trauer – wie gehört das zusammen?

Findet ein Trauernder alle vier Archetypen ausreichend in sich vor, hat er sehr gute Voraussetzungen, einen heilenden Trauerprozess zu durchlaufen. Er muss sie dafür in ähnlichen Anteilen in sich vereinen.

Was kann jedoch passieren, wenn ein Archetyp ganz prägnant im Vordergrund steht und der Trauernde aufgrund seiner Lebensgeschichte keine oder nur sehr geringe Möglichkeiten hat, auf die anderen drei unterdrückten archetypischen Verhaltensweisen zurückzugreifen? Oder im Umkehrschluss stellt sich natürlich die Frage, wie verläuft ein Trauerprozess, wenn ein Archetyp nicht oder kaum ausgeprägt ist?

Der Archetyp in den einzelnen Phasen

Phase 1

Jeder Mensch reagiert selbstverständlich anders auf die Nachricht über den Tod eines Nahestehenden. Dennoch ist es möglich, alle unterschiedlichen Reaktionen auf die vier Archetypen zu übertragen.

Trifft die Nachricht auf einen Menschen, dem alle vier Archetypen in ähnlicher Intensität zur Verfügung stehen, wird er alle oben erwähnten Phasen durchleben. Dabei gibt es keine Reihenfolge. Das könnte wie folgt aussehen: Der Hinterbliebene will die Nachricht nicht wahrhaben. Dringt sie jedoch für einen Bruchteil einer Sekunde in sein Bewusstsein, betrauert er den Verlust des Anderen. Außerdem kann er den Schmerz um den Selbstverlust empfinden.

Aber der Trauernde erlebt auch Sekunden oder Minuten der Erstarrung, bevor er sich beispielsweise schnell wieder ablenkt und/oder sich selbst betrauert. Schon in der ersten Phase wird deutlich, wie „gesund“ es wirkt, wenn alle Archetypen in Erscheinung treten. Aber auch, wie schwerfällig ein Trauerprozess beginnt, wenn nicht alle archetypischen Verhaltensweisen in dem Trauernden ausgeprägt sind. Es spielt dabei keine Rolle, welcher Archetyp die anderen überdeckt. Der Prozess wird weniger fließend sein.

Was genau bedeutet es nun für den einzelnen Menschen, wenn ein archetypisches Verhalten prägnant ausgeprägt ist?

  • Rot: Er flüchtet, um keine Schwäche zu zeigen
  • Orange: Er lenkt sich ab und versucht weiterzumachen als wäre nichts passiert. Sein schauspielerisches Talent ermöglicht es ihm.
  • Grün: Er fällt in ein großes, schwarzes Loch.
  • Blau: Er erstarrt, fühlt sich hilflos und ohnmächtig.

Phase 2

In der 2.Phase wird der Trauernde mit einer Bandbreite von Gefühlen konfrontiert. Hat er alle vier Archetypen ausgeglichen in sich vereint, kann er sich ihnen stellen und sie intensiv ausleben. Das findet meist sehr gefühlsbetont statt.

So kann er z. B. die Nähe suchen, dann wieder braucht er Abstand zu Anderen und auch Abstand zu den Gefühlen, was ihn in so einem Moment gefühlsarm erscheinen lässt. Mal braucht er Ablenkung, zu einem anderen Zeitpunkt ist es richtig, sich den Erinnerungen an den Verstorbenen hinzugeben und die dazugehörigen Gefühle auszuleben.

Was aber bedeutet es für einen Menschen, wenn ein archetypisches Verhalten besonders im Vordergrund steht?

  • Rot: Aufkommende Gefühle werden unterdrückt. Sie machen Angst und gelten als Schwäche. Es kann zu autoaggressivem Verhalten kommen. Die innere Versteinerung wird immer härter. Er wird verletzend, anklagend, wütend und rücksichtslos anderen gegenüber. Der Trauerprozess kann hier schlimmstenfalls aus Eigenschutz beendet werden.
  • Orange: Es lässt ihn atemlos und ungeduldig werden. Hat er längere Zeit kein Gegenüber, wird er unsicher. Verliert er sich in den Gefühlsschwankungen, verliert er auch seinen roten Faden und schließlich sich selbst.
  • Grün: Er verliert sich schnell in der Opferrolle und vergeht im Selbstmitleid. Er kann mit seinem Bedürfnis nach Nähe die Anderen überfordern.
  • Blau: Er verliert sich in der Vergangenheit und verschließt sich Neuem gegenüber. Helfende Hände weist er ab, was ihn letztendlich in die Einsamkeit treibt.

Phase 3

In dieser Phase hat der Trauernde die Aufgabe und die Chance, sich seinen Ängsten zu stellen. Stehen alle vier Archetypen zur Verfügung, hat er die Möglichkeit, alle oben genannten Ängste zu überprüfen und zu hinterfragen: Welche gehören zu ihm und wie kann/will er mit ihnen umgehen? Sie alle gehören in einen Trauerprozess und haben ihre Berechtigung, denn sie werfen die Fragen nach der zukünftigen Lebensgestaltung auf.

Optimaler Weise setzt sich der Trauernde damit auseinander, wie er mit der Trennung von dem Verstorbenen umgehen und wie er sich der Veränderung stellen kann. Er sucht nach Antworten, wie er zukünftig mit Nähe und Abhängigkeiten leben möchte und wie er es schafft, nicht in der Trauer zu verharren.

Was bedeutet es jedoch für den Trauernden, wenn eine archetypische Angst im Fokus steht?

  • Rot: Er wird zum Einzelkämpfer – immer einsamer und immer kämpferischer.
  • Orange: Die genussvolle Freude am prallen Leben wird zu einem Sturz ins Leben, ohne Grenzen, ohne Pausen und ohne Genuss.
  • Grün: Er klammert sich an jeden, der zur Verfügung steht – ohne zu spüren, ob das Gegenüber richtig für ihn ist und ob er ihn überfordert.
  • Blau: Er wird zwanghaft alles im Vorfeld planen, sich auf keinen Fall vom Leben überraschen lassen und somit selbst wenig lebendig sein.

Phase 4

Stehen dem Trauernden alle vier Archetypen in ähnlicher Intensität zur Verfügung, wird ihm mehr oder weniger schnell bewusst, dass ihn eine Bandbreite von Ressourcen durchs weitere Leben tragen wird. Er könnte zum Beispiel in der Erinnerung an frühere, schwere Zeiten feststellen, dass er sich auf seine Freundschaften, auf sein gutes Gespür, auf sein Durchhaltevermögen und seinen klaren Kopf verlassen kann.

Er wird erkennen können, dass ihn vergangene Probleme rückblickend immer auch etwas gelehrt haben, dass ihn sein Humor und seine Empathie durch konfliktbelastete Zeiten trugen. Auf den Trauerprozess übertragen bedeutet es: Tief in sich spürt er eine Kraft, die ihm auch immer wieder Zuversicht schenkt und nach vorne blicken lässt. Und zwar trotz der Schwere, der Traurigkeit und dem Schmerz.

Wie verhält sich aber ein Trauernder, der nur auf die Ressourcen eines Archetyps zurückgreifen kann?

  • Rot: Er konzentriert sich darauf, die Kontrolle über seine Gefühle zu behalten und will alles allein schaffen, mit starkem Willen und Disziplin.
  • Orange: Er fängt neue Projekte an und sucht darin die Ablenkung. Dabei helfen ihm seine Freundschaften, Lebensfreude und Leidenschaft.
  • Grün: Er schöpft die Kraft aus seinem Gegenüber, für das er viel Mitgefühl und Empathie aufbringt.
  • Blau: Er sucht sich Aufgaben, die er rational ausführen kann.

Phase 5

Stehen alle vier Archetypen zur Verfügung, kann der Trauernde zu diesem Zeitpunkt seine ganz persönliche, für ihn stimmige Beziehung zum Verstorbenen finden und heilen.

Die roten und blauen Archetypen können die Realisierungsarbeit übernehmen. Das heißt, ihnen fällt es leichter, die äußere Abwesenheit, also die neue äußere Realität, anzunehmen.

Sie setzen sich mit den Abschiedsgefühlen wie Wut, Ohnmacht, Leere, Verzweiflung und Schmerz auseinander.

Die orangenen und grünen Archetypen arbeiten verstärkt an der inneren Beziehung zum Verstorbenen mit Beziehungsgefühlen wie: Mitgefühl, Sehnsucht oder Liebe. Diese Beziehungsarbeit stellt ein tröstliches Gegengewicht zu Ohnmacht, Leere und Verzweiflung dar und ist letztendlich für die Identität des Trauernden wesentlich.

Am Ende der Realisierungs- und Beziehungsarbeit wartet ein wunderbares Geschenk: die Möglichkeit, sich wieder dem Leben zuzuwenden, in all seiner Fülle!

Der Trauernde hat den Verstorbenen in sein Leben integrieren können. Er kann sich offenen Herzens der Zukunft stellen und darf sich an seinem inneren Wachstum erfreuen.

Was bedeutet es für Trauernde, wenn ein archetypisches Verhalten im Vordergrund steht?

  • Rot: Sie bleiben in der Ohnmacht und Wut stecken, werden sich weiterhin verschlossen verhalten und niemanden an sich heranlassen.
  • Orange: Sie stürzen sich ins Leben ohne an ihm zu hängen. In Grenzerfahrungen können sie sich kurz spüren, dann wird wieder alles stumpf. Sie bringen viel Energie auf, damit keiner das Dilemma, in dem sie stecken, erkennen kann.
  • Grün: Sie vergehen in der Sehnsucht und wollen krampfhaft an der Vergangenheit festhalten.
  • Blau: Sie kommen aus ihrer Verzweiflung nicht mehr heraus und halten Distanz zu den Mitmenschen.

Das sind die Interventionsmöglichkeiten

Die zentrale Aufgabe der Trauerbegleiter ist es, den Klienten in seiner individuellen Trauer zu unterstützen und vernachlässigte, archetypische Verhaltensweisen im Blick zu haben. Damit ein Trauerprozess im besten Fall als ein wertvoller Wandlungsprozess erlebt werden kann, sollten in jeder Phase alle vier archetypischen Ausprägungen durchlaufen werden.

Dafür gibt es jedoch keine Reihenfolge. Auch ist es erwähnenswert, dass eine Phase zwar durchlebt sein, aber trotzdem zu einem späteren Zeitpunkt wieder präsent werden kann.

Ich bin der Meinung, dass der Trauerprozess kein „Sich-im-Kreis-Drehen“ ist, sondern ein spiralförmiges Vorankommen. Spiralförmig deswegen, weil sich der Trauernde in einem Prozess befindet und Prozess bedeutet: „ein über eine längere Zeit andauernder Vorgang, in dem sich ständig etwas verändert“.

Wenn der Trauernde also zu einer Phase zurückkehrt, tut er das in einem anderen Bewusstsein. Denn er ist nicht mehr derjenige, der er beim letzten Mal in dieser Phase war.

Ist ein vordergründig ausgeprägter Archetyp wahrnehmbar, gilt es, auf die individuelle Verhaltensweisen des Klienten Rücksicht zu nehmen.

Fazit

Trifft die Nachricht über den Tod eines geliebten Menschen auf eine Person, die alle vier Archetypen in ausgeglichener Ausprägung in sich vereint, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie einen gelungenen Trauerprozess durchlaufen wird. In jeder einzelnen Phase hat sie die Möglichkeit, sich mit allem auseinanderzusetzen, was in dem Prozess notwendig ist.

Sind nicht alle Archetypen gleich ausgeprägt, verläuft der Trauerprozess anders. Das betrifft Personen, die (meist in früher Kindheit) lernen mussten, dass es dem Überleben nützlich ist, einen Archetyp besonders stark auszubilden. Dann ist der Trauerprozess von Beginn an erschwert oder wird sogar abgebrochen.

Im Folgenden formuliere ich mögliche archetypische Prozessverläufe, die vor allem von einem Archetyp geprägt sind.

  • Rot: Die Nachricht des Todes trifft auf jemanden, der sich nicht oder kaum auf andere einlässt und der von Anfang an keine Gefühle zeigen kann. Denn sie sind für ihn gleichbedeutend mit Schwäche. Ihm merkt man die Trauer nicht an und jeder, der sich ihm im Guten nähern möchte, wird zurückgewiesen. Die Person behält die Kontrolle über ihre Gefühle und ihre Trauer und wird von der inneren Wut und Ohnmacht wahrscheinlich in autoaggressives Verhalten gedrängt.
  • Orange: Diesem Menschen fällt es zunächst besonders schwer, sich dem Verlust zu stellen. Am Liebsten würde er die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod vermeiden. Denn sie beeinflusst seinen lebhaften, heiteren und manchmal auch leichtsinnigen Lebenswandel. Vermutlich wird diese Person dazu neigen, das Drama des Verlustes wie auf einer Bühne zu inszenieren und auszuagieren. Auf diese Weise kann sie die deprimierende Gegenwart möglichst schnell gegen eine neue, zukunftsweisende Perspektive eintauschen.
  • Grün: Diese Person fällt beim Erhalten der Nachricht sofort in ein depressives Verhalten und die Angst vor dem Alleinsein lähmt sie. In dem tiefen Wunsch nach Abhängigkeit saugt sie die helfenden Hände um sich herum emotional aus. Die Person schwelgt in Erinnerungen, findet keinen Weg aus der Trauer und richtet sich in der Opferrolle ein. Sie wird jammern und klagen bis es keiner mehr hören kann.
  • Blau: Die Nachricht stürzt den blauen Archetypen zunächst in eine Erstarrung, aus der er sich (meist) selbst lösen kann, um seine (selbst auferlegten) Aufgaben zu erfüllen. Er ist derjenige, der organisiert (Bestattung, Formalitäten aller Art) und dabei immer darauf bedacht ist, nichts „falsch“ zu machen. Die Unkontrollierbarkeit des Todes löst bei ihm chaotische Gefühle aus. Sie können ihn überfordern, da er nicht die Nähe zu anderen sucht, zumal ihm spontane Gefühlsausbrüche ein Graus sind.

Trifft die Nachricht auf eine Person, die lernen musste, einen Archetyp zu unterdrücken, sieht der Verlauf des Trauerprozesses wiederum anders aus.

  • Rot: Ist der rote Archetyp unterdrückt, dann fehlt dem Trauernden z. B. die kraftvolle, willensstarke Herangehensweise an das Leben. Mit anderen Worten: Die Aggression im guten Sinn, so wie die Gestalttherapie sie sieht.
  • Orange: Ist der orangene Archetyp nicht ausgebildet, fehlt die Lebensfreude und das genussvolle Erleben. Auf den Trauerprozess bezogen kann es bedeuten, dass das Leben ohne den Verstorbenen nicht mehr freudig begrüßt werden kann und dass immer ein Rest Trauer spürbar bleibt. Äußere Einflüsse können diese Person immer wieder in tiefe Trauer stürzen, auch Jahre nach dem Verlust.
  • Grün: Steht der grüne Archetyp nicht zur Verfügung, kann der Verlust etwas Beliebiges bekommen. Der Blick auf den Verstorbenen wird nicht bzw. nicht angemessen genommen. Das kann zur Folge haben, dass eine neue Person den Platz übernimmt, aber in systemischer Unordnung.
  • Blau: Fehlt der blaue Anteil im Trauerprozess, fehlt das Archivieren und Organisieren. Das kann dazu führen, dass der Trauernde konfus erscheint. Zahlen, Daten und Fakten können nicht geordnet werden und alles gerät durcheinander, auch im Inneren. Der Verlust kann nicht in den gesamten Organismus integriert werden.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass je ausgeprägter ein einzelner Archetyp ist, umso prägnanter ist „das erste große Gefühl“, wie Verena Kast es formulierte. Folglich wird auch die Qualität des Trauerprozesses von dem einen Archetyp gekennzeichnet sein.

Sind jedoch alle Archetypen ähnlich stark ausgebildet, wird die erste Reaktion auf die Todesnachricht alle vier typischen Verhaltensweisen beinhalten. Daher wird auch hier schon deutlich, welchen umfassenden Verlauf der Trauerprozess wahrscheinlich nehmen wird.

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