Artikel 18/10/2020

Stress und Hochsensibilität: 4 Tipps für gestresste Hochsensible

Julia Cremasco Heilpraktiker für Psychotherapie
Julia Cremasco
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Hochsensibilität ist in. Gerade in der heutigen, so schnelllebigen Zeit ist dieses Phänomen in. Und viele Gestresste und Erschöpfte glauben, dass sie hochsensibel sind, weil sie so gestresst und erschöpft sind. Doch das ist häufig eben nicht der Fall.

Ich möchte an dieser Stelle als erstes auf die Phänomene ‘Stress’ und ‘Hochsensibilität’ getrennt voneinander schauen, um sie anschließend zu verknüpfen.

Wie verhält sich Stress in unserem Körper?

Wenn wir uns mit Stress befassen, ist wichtig zu verstehen, dass Stress per se nicht negativ ist. Stress ist ein Aspekt, der zum Leben dazugehört. Es handelt sich um eine persönliche Reaktion auf der Grundlage einer individuellen Wahrnehmung. Er ist quasi eine Antwort auf eine eingetretene Situation. Ziel ist es, sich der Situation so anzupassen, sodass die Lebensqualität gewahrt bleibt oder wiederhergestellt wird. Hierbei kann die Situation, auf die reagiert wird, sowohl negativ als auch positiv sein.

Gern greife ich ein einfaches Beispiel für eine Reaktion auf ein Negativ-Ereignis auf: Stellen Sie sich vor, Sie kommen morgens ins Büro. Es ist Winter und nachts ziemlich kalt. Sinnigerweise hat jemand vergessen, das Fenster am Vortag zu schließen. Im Büro ist es also lausig kalt.

Ihr Frieren ist signalisiert: Die Situation erfordert, dass Sie sich anpassen. Ihr Körper stellt Ihnen Energie zur Verfügung, um zu handeln. Sie machen das Fenster zu, drehen die Heizung hoch und verlassen das Büro, um sich im Sozialraum noch einen Kaffee zu gönnen. Das ist die Anpassungsreaktion – oder auch Stressantwort genannt.

Was ist Hochsensibilität?

Wenn wir nun auf das Phänomen ‘Hochsensibilität’ schauen, ist wichtig zu verstehen, dass hochsensible Menschen nach heutigem Stand der Studien anders wahrnehmen als der Durchschnitt. Das Phänomen ist noch sehr jung, in der Literatur tauchte es erstmalig um 1997 herum auf. Die Forschung ist nach wie vor dabei, Erkenntnisse zu gewinnen.

Die Vermutung lautet aktuell, dass die Ursache von Hochsensibilität in den Wahrnehmungsfiltern im Gehirn begründet ist. Wir Menschen nehmen unsere Umgebung über unsere Sinneskanäle wahr: Sehen, Riechen, Hören, Schmecken, Fühlen. Diese Wahrnehmungen werden im Gehirn verarbeitet und nur ein Teil der Wahrnehmungen kommt im Bewusstsein an. Das gilt für jeden Menschen.

Bei einem hochsensiblen Menschen ist es so, dass die Filter im Gehirn anders arbeiten als beim Durchschnittsmenschen. Das bedeutet: Es kommen insgesamt mehr Wahrnehmungen im Bewusstsein an – also: mehr visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische oder taktile Reize. Dies ist bei einem hochsensiblen Menschen immer so und es war auch immer so. Das Phänomen ist nicht begrenzt auf Lebensbereiche, Situationen und/oder Zeiten.

Warum sind Hochsensible also schneller gestresst?

Durch die erhöhte Zahl der Reize kommt es beim Hochsensiblen auf natürliche Weise schneller zu einer Erschöpfung. Stellen Sie sich eine klassische Stress-Situation vor: Ein Projekt soll morgen abgabefertig sein und es sind noch einige Aufgaben zu erledigen. Daraus ergibt sich Zeitdruck. Die betroffene Person rutscht mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen Stressmodus.

Sollte diese Person hochsensibel sein, nimmt sie zum Beispiel auch die emotional angespannte Stimmung im Team im besonderen Maß wahr. Oder die diversen hektischen Bewegungen aller Beteiligten im Raum, dazu vielleicht lautes Stimmengewirr. Die hochsensible Person hat in diesem Moment deutlich mehr zu verarbeiten. Eine Erschöpfung tritt deshalb schneller ein.

Zugleich haben aber viele Gestresste den Eindruck, sie selbst seinen hochsensibel, weil sie unter Stress womöglich schneller emotional reagieren und sich eher ‘angefasst’ fühlen. Und das Ganze erleben sie vermehrt, da insgesamt der Zeit- und Leistungsdruck in der heutigen Gesellschaft zugenommen hat und weiter zunimmt. Hier ist jedoch wichtig zu verstehen, dass es sich in diesen Fällen um zeitlich begrenzte oder situationsabhängige Phänomene handelt. Eine hochsensible Person dagegen sagt meistens von sich: ‘Das war schon immer so.’

Der oft wohlgemeinte Rat ‘Ändere doch deine innere Haltung gegenüber der Situation. Dann bist du weniger gestresst.’ ist bei einem Hochsensiblen nicht zielführend. Denn die Wahrnehmung ist real und hat nichts mit der Lebenseinstellung zu tun.

Meine 4 Tipps für gestresste Hochsensible

  1. Sorgen Sie gezielt für mehr Auszeiten mit bewusst wenigen Reizen in stressigen Phasen.
  2. Suchen Sie bewusst Orte auf, an denen Sie gut auftanken und zur inneren Ruhe finden können. Aktivieren Sie fokussiert Ihr parasympathisches System durch aktive Entspannungsformen (Yoga, progressive Muskelentspannung, moderate Bewegung etc.)
  3. Arbeiten Sie an Ihrem Selbstbewusstsein und bringen Sie den Mut auf, Situationen auch mal bewusst zu verlassen, um sich der Reizflut zu entziehen. Sprechen Sie zum Beispiel mit Ihrer Führungskraft, ob Home-Office-Tage möglich sind. Es geht ja nicht darum, dass Sie nicht arbeiten, sondern dass Sie in Druckphasen ein anderes Arbeitsumfeld benötigen, um leistungsfähig zu bleiben.
  4. Sollten Sie feststellen, dass die Druckphasen ein Dauerzustand sind, bringen Sie bitte noch mehr Mut auf und erarbeiten Sie sich Schritt für Schritt ein anderes Lebens- und Arbeitsmodell – ganz nach dem Motto ‘Love it, change it or leave it.’

Die Erfahrung zeigt es, dass gerade der letzte Tipp für viele Hochsensible dauerhaft der ideale Weg ist. Abwarten und Aussitzen ist dagegen keine Lösung.

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