Artikel 28/04/2016

Angst vor Terroranschlägen in Deutschland? Was Sie tun können

Team jameda
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Die Terroranschläge in Paris und Brüssel bewegten ganz Europa. Auch Deutschland ist im Visier der Islamisten: Laut BKA-Chef Holger Münch sind seit der Jahrtausendwende elf Terroranschläge in Deutschland vereitelt worden. Die Möglichkeit, dass auch in Deutschland Bomben explodieren könnten, sorgt für Unsicherheit, manchmal auch für Angst. Was können Bürger tun, um mit der Angst vor Terroranschlägen besser umzugehen? Das wollte jameda von vier Fachleuten aus Psychologie und Terrorforschung wissen.

Es ist extrem unwahrscheinlich, Opfer eines Terroranschlags zu werden

Dr. Ghaemi, Neurologe, Psychotherapeut und Gutachter im Strafrecht: 'Man sollte unterscheiden zwischen einer der Bedrohungslage angemessenen, leichten und eher diffusen Angst, die das Leben nicht beeinträchtigt, und einer krankmachenden übersteigerten Angst, die zu einer Einschränkung des persönlichen Aktionsradius und der Lebensqualität führt.

Im ersten Fall ist es meist ausreichend, sich auf der rationalen Ebene klar zu machen, wie extrem unwahrscheinlich der Fall ist, dass man selbst oder ein Angehöriger Opfer eines Terroranschlags wird.

Die derzeitige starke Präsenz dieses Themas in den Medien, die angesichts der schrecklichen Anschläge in Paris und Brüssel natürlich verständlich ist, spiegelt keinesfalls die reale Bedrohungslage wider.

Nach wie vor ist es weitaus wahrscheinlicher, bei einem Verkehrs- oder Haushaltsunfall zu Schaden zu kommen als bei einem Terroranschlag. Dies gilt auch für Reiseländer wie die Türkei oder Ägypten.

Manchen Menschen hilft es, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, für andere ist es dagegen sinnvoller, das Thema zu meiden und sich nicht zu viele Reportagen anzusehen. Hier kann jeder Betroffene selbst herausfinden, womit er sich besser fühlt.

Ist die Lebensqualität eingeschränkt, sind die Terroranschläge hingegen als Auslöser einer tiefer sitzenden und bereits vorher - zumindest latent - vorhandenen Angst zu verstehen. Hier reichen Rationalisierungen oft nicht aus und es bedarf mitunter professioneller Hilfe.

Häufig genügen bereits einige längere therapeutische Gespräche. In ausgeprägteren Fällen bietet sich eine verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie an. Mitunter kann man auch den zeitweiligen Einsatz von angstlösenden Medikamenten in Erwägung ziehen.’

Wenn die Angst nicht unsere Gedanken dominiert, verliert der Terror seine wirksamste Waffe

Dr. Stephan Humer vom Netzwerk Terrorismusforschung: 'Die Verbreitung von Angst und Schrecken ist essentieller Bestandteil des Terrorismus, denn einzelne Attentate durch Al Qaida, durch den „Islamischen Staat“ und Co. können Europa nicht erschüttern. Ganz anders hingegen die mediale Rezeption dieser Ereignisse: Das, was wir sehen, prägt uns. Und genau das machen sich Extremisten und Terroristen zunutze.

Damit ist es meist eben nicht das einzelne Attentat, das konkrete Folgen für unsere Gesellschaft hat, sondern die Gedankenspiele in unseren Köpfen.

Diese Gedankenspiele drehen sich nicht um das, was war, sondern um das, was sein könnte – mit all den bekannten Folgen im Kleinen wie der Vermeidung potentiell gefährlicher Orte und im Großen wie dem Ruf nach gesetzlichen Freiheitseinschränkungen zugunsten potentieller Sicherheitsgewinne.

Da das theoretisch Mögliche immer größer ist als das tatsächlich Geschehene, können auch die Auswirkungen immens sein: Wenn uns die Angst beherrscht, werden wir letztlich zu Erfüllungsgehilfen des Terrors, denn wir geben nach und verändern unser Leben im Sinne der Terroristen.

Immerhin: Wir sind aufgrund dieser Situation zugleich diejenigen, die am besten dagegenhalten können. Denn wir alle können lernen, ein pragmatisches Risikomanagement zu betreiben, die Hintergründe und Ziele, die Möglichkeiten und vor allem die Grenzen des Terrors zu verstehen und persönliche wie kollektive Strategien gegen Terrorismus und Extremismus zu entwickeln.

Wir alle – nicht nur Politik oder Behörden - müssen Demokratie und Menschenrechte aktiv verteidigen, im Kleinen wie im Großen, und dürfen sie nicht als Selbstverständlichkeit auffassen.

So reagieren wir richtig und ganz konkret auf die Herausforderung des Terrors, so werden unsere Gedanken nicht von Angst und Schrecken dominiert. Und nur so verliert der Terror seine wahrscheinlich wirkmächtigste Waffe.’

Es ist wichtig, die Angst anzunehmen, anstatt sich lähmen zu lassen

Dr. Golsabahi-Broclawski vom Medizinischen Institut für transkulturelle Kompetenz: 'Angst ist ein Grundgefühl und eines der ersten Gefühle nach der Geburt. Angst kann sich ins Unerträgliche steigern und unseren Alltag und unsere Handlungen massiv beeinflussen. Wenn wir Angst haben, denken wir nicht rational, sondern lassen uns von unserem Instinkt leiten.

Bereits Freud benutzte häufig die Formulierung: Zwang sei das Wechselgeld der Angst. Wir Menschen sind abhängig von unseren Ressourcen und erlernten den Umgang mit der Angst in der Kindheit ganz unterschiedlich.
Wichtig ist, dass wir uns nicht vom Gefühl der Angst lähmen lassen, sondern sie wahrnehmen und mit ihr umzugehen lernen.

Eine psychologische Waffe der Kriegsführung ist, Angst zu schüren, da wir danach handlungsunfähig und leicht beeinflussbar sein könnten. Daher ist es umso wichtiger, dass wir uns vergegenwärtigen, dass Angst ein Warnsignal für Gefahr und kein Grund zur Lähmung ist.

Wir können sehr wohl die Angstursache bekämpfen und uns logisch aus der Situation herausholen, wenn wir die Angst als Signal der Unterstützung im Umgang mit Gefahr annehmen, anstatt uns in Rückzug und Zwang zu verkriechen und damit dem Terror zu erliegen.

Eine Gegenstrategie ist die Achtsamkeit und die Wahrnehmung unserer Bedürfnisse. Daher ist das instinktive Verhalten der Menschen nach einem Terroranschlag wie zum Beispiel gemeinsam zu trauern, sich zu versammeln, zu singen und zu tanzen die einzige richtige Methode.

Selbstverständlich haben wir aktuell mit einer öffentlichen Gefahr zu tun, aber wir dürfen eins nicht vergessen: Die Terroristen haben Angst vor der Macht der Masse. Sie fürchten am meisten, dass ihr Anschlag unwirksam bleibt.

Nach dem Prinzip des kleinen Jungen, der vor lauter Angst vor der Dunkelheit zu singen anfängt und seine Angst dadurch überwindet, ist es wichtig, die Angst anzunehmen und konstruktiv einzusetzen, anstatt gelähmt zu sein und damit dem Terror zu unterliegen.’

Unsicherheit gibt es nur in den Gedanken

Birgit Böttcher, Coach für Angsterkrankungen: 'Um die Angst vor Terrorangriffen zu minimieren, kann es helfen, über folgendes nachzudenken: Angst ist immer die Beschäftigung mit der Zukunft. Das, wovor wir Angst haben, liegt vermeintlich in der Zukunft - aber diese Zukunft gibt es gar nicht. Es gibt nur die Gegenwart. Oder wer kann mir garantieren, dass ich heute Nachmittag wirklich um 17:00 Uhr an einem bestimmten Ort sein werde? Da kann noch viel dazwischenkommen.

Es gibt keine Gewissheit, deswegen gibt es keine bestimmte Zukunft. Ob heute Abend am Flughafen eine Bombe hochgehen wird oder nicht, liegt in der Zukunft.

Ob ich - während eines Terrorangriffs - erschossen werde oder nicht, liegt in der Zukunft. Ich kann mich um die Zukunft nicht kümmern, weil es sie nicht gibt. Ich kann mich nur um die Gegenwart kümmern. In der Gegenwart bin ich handlungsfähig.

Wenn ich also Angstgedanken habe, kann ich dafür sorgen, dass ich mit meinen Gedanken in die Gegenwart komme. Ich kann mich fragen, was jetzt gerade ist. Bin ich schon am Flughafen? Nein, ich bin sicher. Und am Flughafen: Geht hier gerade eine Bombe hoch? Nein, ich bin sicher. Werde ich gerade erschossen? Nein, ich bin sicher. Solange, bis eine Bombe hochgeht und mich erwischt, bin ich sicher. Ich kann es in jedem Moment überprüfen und in jedem Moment feststellen, dass ich sicher bin. Unsicherheit gibt es nur in den Gedanken.’

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