Team jameda
HIV ist nach wie vor ein Stigma, das auch vor der Familienplanung nicht Halt macht. Viele betroffene Frauen sind unsicher, ob sie sich ihren Kinderwunsch erfüllen sollen. Kann eine HIV-positive Schwangere ein gesundes Kind zur Welt bringen? Das wollte jameda von Frau Sonnenberg-Schwan wissen, die Mitglied im Nationalen Aidsbeirat, Psychologin im FrauenGesundheitsZentrum München und Fachbeirätin der Gemeinnützigen Stiftung Sexualität und Gesundheit ist.
jameda: Wer ist von HIV vor allem betroffen?
Frau Sonnenberg-Schwan: Etwa drei Viertel der Betroffenen sind Männer, die mit Männern Sex haben, 14 Prozent sind Frauen und etwa 5 Prozent sind Männer, die sich durch Sex mit Frauen angsteckt haben. 11 Prozent haben intravenös Drogen gebraucht.
jameda: Schwangeren wird generell empfohlen, einen HIV-Test machen zu lassen, der in der Regel kostenfrei ist. Doch wenn der Test positiv ausfällt, ist der Schock groß. Wie gehen Betroffene am besten mit der Diagnose um?
Frau Sonnenberg-Schwan: Viele Frauen wissen nicht, was es bedeutet, HIV-positiv zu sein, und haben ganz falsche Vorstellungen im Kopf. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich so viele Informationen wie möglich holen. Am besten suchen sie einen Arzt mit Schwerpunkt „HIV“ auf, um sich beraten zu lassen. Es gibt auch spezialisierte Beratungsstellen, an die sich die Patienten wenden können, und Filme in Internet. Der werdende Vater sollte übrigens einbezogen werden und ebenfalls einen HIV-Test machen lassen.
jameda: Wenn HIV-positive Frauen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, sich z. B. regelmäßig untersuchen lassen und bestimmte Medikamente nehmen, ist das Kind mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht HIV-infiziert. Warum gibt es immer noch Ärzte, die zur Abtreibung raten?
Frau Sonnenberg-Schwan: Weil sie die Leitlinien nicht kennen. Zum Glück gibt es mittlerweile nur noch sehr wenige Gynäkologen, die denken, dass HIV ein Grund ist, die Schwangerschaft abzubrechen.
jameda: Sind beide Partner HIV-positiv, können sie ihren Kinderwunsch auf ganz normalem Weg erfüllen. Wenn nur die Frau betroffen ist, hilft dann eine künstliche Befruchtung weiter?
Frau Sonnenberg-Schwan: Früher riet man zur künstlichen Befruchtung, aber heute zeugen die meisten Paare ihr Kind auf natürlichem Weg. Denn wenn die Frau frühzeitig Medikamente einnimmt, wird das Immunsystem gestärkt und die Viruslast sinkt, so dass schließlich keine Viren mehr im Blut nachweisbar sind. Dann birgt der Geschlechtsverkehr kaum noch Risiken. Wem auch ein geringes Risiko zu hoch ist, kann eine Selbstinsemination vornehmen und die Spermien beispielsweise auf einem umgedrehten Kondom in die Scheide einführen.
jameda: Wann ist die Insemination beim Arzt angebracht?
Frau Sonnenberg-Schwan: Früher war die Insemination die Methode der Wahl, wenn der Mann HIV-positiv war. Heute wird sie allerdings kaum noch angewandt, weil der Mann nicht mehr infektiös ist, wenn die HIV-Therapie gut wirkt und keine Viren mehr im Blut nachgewiesen werden können. Bei Fruchtbarkeitsproblemen kommt eher die IVF oder die ICSI zum Einsatz. Krankenkassen übernehmen in der Regel 50 Prozent der Kosten – genau wie bei andern Paaren auch. Einige wenige Reproduktionsmediziner verweigern allerdings die Behandlung, weil sie zu Unrecht Komplikationen fürchten.
jameda: Haben die Arzneimittel, die die werdende Mutter nehmen muss, negative Einflüsse auf das Kind?
Frau Sonnenberg-Schwan: Man kann nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass die Medikamente harmlos sind, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass es bei den betroffenen Kindern häufiger zu Fehlbildungen kommt. Einige Blutwerte der Neugeborenen können zwar verändert sein, bilden sich aber von selbst wieder zurück. Die Beobachtungszeiträume sind allerdings noch zu kurz, um Komplikationen im fortgeschrittenen Alter ganz ausschließen zu können. Die ersten Kinder, die auf diesem Weg zur Welt kamen, sind heute um die 20 Jahre alt.
jameda: Die Schwangerschaft wirkt sich nicht negativ auf den Krankheitsverlauf der Mutter aus. Wie sieht es mit der psychischen Belastung der werdenden Mutter aus?
Frau Sonnenberg-Schwan: Nach dem ersten Schock leben viele HIV-positive Mütter mit der Schwangerschaft auf. Sie gibt ihnen Halt und eine neue Lebensperspektive. Im Vergleich zu anderen Schwangeren haben sie aber viele zusätzliche Fragen im Kopf und brauchen mehr Unterstützung. Für viele ist die größte Belastung wohl die mögliche Ablehnung durch das Umfeld. Betroffene sollten sich genau überlegen, wem sie von ihrer Krankheit erzählen.
jameda: Sollten HIV-positive Frauen per Kaiserschnitt oder vaginaler Geburt entbinden?
Frau Sonnenberg-Schwan: Früher riet man den Frauen zum Kaiserschnitt, heute ist die vaginale Entbindung der Normalfall. Wenn die HIV-Therapie erfolgreich ist und keine Viren mehr im Blut nachweisbar sind, ist eine Ansteckung des Kindes extrem selten. Ein Kaiserschnitt ist nur dann empfehlenswert, wenn es zu Schwangerschaftskomplikationen kommt oder wenn noch Viren im Blut nachweisbar sind. Das kann dann der Fall sein, wenn die Frau zu spät mit der Behandlung begonnen hat.
jameda: Nach der Geburt muss das Neugeborene zwei bis vier Wochen medikamentös behandelt werden. Welche Nebenwirkungen können diese Medikamente haben?
Frau Sonnenberg-Schwan: Die Medikamente sind in der Regel gut verträglich und haben keine langfristigen Nebenwirkungen.
jameda: Warum müssen HIV-positive Frauen aufs Stillen verzichten?
Frau Sonnenberg-Schwan: Wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze ist, sollte die Muttermilch frei von Viren sein. Das kann bei Brustentzündungen aber anders sein. Außerdem ist nicht klar, wie viele Spuren der Medikamente in die Muttermilch übergehen. Deshalb ist es besser, auf Ersatznahrung auszuweichen. Auch ein Kind, das nicht gestillt wird, entwickelt ein gesundes Immunsystem!
jameda: Müssen HIV-positive Mütter etwas Bestimmtes im Alltag mit ihrem Baby beachten?
Frau Sonnenberg-Schwan: In der ersten Zeit muss das Kind häufiger zum Arzt, um HIV-Tests durchführen zu lassen. Schon nach vier Wochen kann man sagen, ob das Kind infiziert ist oder nicht. Im Alltag ist keine Ansteckung möglich. Mütter tun gut daran, so viel Normalität wie möglich in ihr Leben zu bringen und sich nicht zurückzuziehen. Sie sind nicht verpflichtet, Krippen oder Kindergärten über ihre Erkrankung zu informieren, und können wie andere Mütter auch an Rückbildungskursen oder Babyschwimmkursen teilnehmen.
jameda: HIV-Positive haben dank verbesserter Therapien heute eine fast normale Lebenserwartung. Trotzdem haben manche Angst, ihr Kind nicht groß ziehen zu können. Inwieweit belastet diese Situation auch Kind und Partner?
Frau Sonnenberg-Schwan: Es ist gut, sich Gedanken zu machen, wo im Krankheitsfall Unterstützung zu finden ist. Ob solche Gedanken das Familienleben belasten, ist schwer zu sagen. Das hängt von der Familie ab. Die größte Herausforderung ist wohl die Diskriminierung, die HIV-Positive immer noch häufig erleben. Wenn Freunde den Kontakt abbrechen, der Arbeitsplatz in Gefahr ist oder Ärzte die Behandlung verweigern, kann das sehr verletzend sein. Viele Frauen sagen, dass sie gut mit den Tabletten leben können, aber die Diskriminierung eine große Beeinträchtigung darstellt.
jameda: Vielen Dank für das Gespräch!
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