Wenn sich ein Zahn entzündet hat, haben Patienten oft starke Schmerzen. Dann hilft eine Wurzelbehandlung, die Funktion des Zahns zu erhalten. Aber viele Patienten fürchten sich vor diesem Eingriff. Deshalb fragte jameda Dr. Appel, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie, ob die Behandlung schmerzhaft ist, welche Komplikationen auftreten können und wo versteckte Kosten lauern.
jameda: Patienten, die sich einer Wurzelbehandlung unterziehen, machen ganz unterschiedliche Erfahrungen: Manche berichten von höllischen Schmerzen während der Behandlung, andere bemerken den Bohrer kaum. Warum sind die Erfahrungen so unterschiedlich?
Dr. Appel: In der Regel sollte die Behandlung schmerzfrei sein. Ist der Zahn jedoch frisch entzündet und der Nerv noch nicht völlig abgestorben, kann es schwierig sein, den Zahn zu betäuben. Der erfahrene Zahnarzt passt seine Vorgehensweise an, so dass die Behandlung in der Regel auch hier nach kurzer Zeit schmerzfrei verläuft. Auch nach der Behandlung sollte der Patient schmerzfrei sein, womöglich spürt er den Zahn in den ersten drei Tagen etwas.
jameda: Laut Studienlage liegen die Erfolgschancen einer Wurzelbehandlung bei über 90 %. Über 80 % der Wurzelkanalfüllungen in Deutschland sind jedoch mangelhaft, viele Zähne bleiben chronisch entzündet. Warum scheitern so viele Eingriffe?
Dr. Appel: Eine Wurzelkanalbehandlung ist ein komplexer und schwieriger Eingriff. Er verlangt höchste Konzentration und Genauigkeit. Eine der großen Herausforderungen für den Zahnarzt ist dabei die variantenreiche Formenvielfalt der Wurzelkanalsysteme, selbst bei ein und demselben Zahntyp. Der Zahnarzt muss also ganz genau wissen, mit welchen Varianten er zu rechnen hat und wo er sie findet. Neben den entsprechenden Kenntnissen der Fachliteratur sollte er eine spezielle Ausbildung durchlaufen haben und über viel Erfahrung, möglichst viel Übung und optische Vergrößerungssysteme verfügen. Allerdings ist nach einem Gutachten des Sachverständigenrates für die Weiterentwicklung im Gesundheitswesen auch das geringe Honorar der gesetzlichen Krankenversicherung ein Grund für die häufig geringe Qualität von Wurzelkanalfüllungen. Die Kassen finanzieren zu wenig Behandlungszeit.
jameda: Ist die Wurzelbehandlung gescheitert, kann der Zahnarzt eine Wurzelkanalrevision durchführen, um die Kanäle erneut zu reinigen. Alternativ ist auch eine Wurzelspitzenresektion möglich, um die Spitze des entzündeten Zahns samt umgebendem Gewebe zu entfernen. Wie häufig werden wurzelkanalbehandelte Zähne einer weiteren Behandlung unterzogen?
Dr. Appel: Nach einer Revision ist eine Nachbehandlung nur in vereinzelten Fällen erforderlich. Eine Wurzelspitzenresektion ist grundsätzlich nur in wenigen Fällen sinnvoll und sollte immer auch einen intraoperativen Verschluss an der Wurzelspitze von mindestens 3 - 4 mm Stärke beinhalten, der aber nur äußerst selten gemacht wird.
jameda: Was sind die Voraussetzungen, damit die Wurzelbehandlung gelingt?
Dr. Appel: Eine vollständige Behandlung des gesamten Wurzelkanalsystems mit optimaler Desinfektion, um alle Bakterien zu beseitigen ist die wichtigste Voraussetzung. Damit das gelingt, sind die Expertise des Zahnarztes, die Nutzung der technischen Möglichkeiten und die Einplanung von ausreichend Behandlungszeit ausschlaggebend. Steht nicht genügend Behandlungszeit zur Verfügung, ist ein sorgfältiges Arbeiten nicht möglich. Wenn nicht alle Voraussetzungen vorliegen, werden oft Anteile des Wurzelkanalsystems bei der Behandlung übersehen oder nicht erreicht. Außerdem müssen die Desinfektionsmittel lange genug einwirken, weil sonst Bakterien im Wurzelkanal überleben. Zuletzt ist ein vollständiger und dichter Verschluss des gesamten Wurzelkanalsystems erforderlich.
jameda: In der Endodontologie hat sich in den letzten Jahren viel getan. Was sind die wichtigsten Neuerungen auf diesem Gebiet?
Dr. Appel: Neue Erkenntnisse über die Besiedelung mit Bakterien haben zu deutlich höheren Anforderungen an die Desinfektionsprotokolle bei der Behandlung geführt, die dadurch noch zeitaufwändiger werden. Unter den vielen guten technischen Innovationen sind vor allem optische Vergrößerungssysteme, insbesondere das Mikroskop, zu nennen. Hierdurch wird der Erhalt von Zähnen möglich, die zuvor oft nicht zu behandeln waren. Um jedoch alle technischen Möglichkeiten richtig zu nutzen, sind die Expertise und die Erfahrung des Zahnarztes Voraussetzung.
jameda: Manche Patienten sind überrascht, wenn sie nach der Wurzelbehandlung eine Rechnung ihres Zahnarztes erhalten. Denn die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten vieler moderner Verfahren nicht. Was bedeutet das für den Patienten?
Dr. Appel: Der Zahnarzt sollte vor der Behandlung einen detaillierten schriftlichen Heil- und Kostenplan erstellen. Verzichtet der Zahnarzt auf seinen Verdienst, kann er basierend auf den Daten des statistischen Bundesamtes mit dem Kassenhonorar für vier Wurzelkanäle, die insgesamt ca. 40 Minuten in Anspruch nehmen, die in der Praxis entstehenden laufenden Kosten decken. In dieser Zeit ist aber zumeist noch nicht einmal die Elimination der Bakterien im Laborversuch möglich. Manche Zahnärzte bieten dann die ein oder andere weitere Behandlungsoption mit Zuzahlung an und rechnen den Eingriff über die gesetzliche Krankenversicherung ab.
So lassen sich aber nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen. Eine vollständig unter dem Mikroskop durchgeführte Behandlung bei einem ausgewiesenen Spezialisten für Endodontologie dauert eher 2 x 120 Minuten oder mehr und in ist in der Regel eine reine Privatleistung.
jameda: Wie kann der Patient erkennen, dass ein Zahnarzt ein echter Spezialist ist?
Dr. Appel: Das ist leider nicht immer einfach, da die Begriffe „Spezialist“ oder „Endodontologe“ oft inflationär verwendet werden. Die Rechtsprechung fordert von einem Spezialisten, dass er über eine „herausragende Qualifikation verfügt, die weit über die eines Facharztes hinausgeht“. Außerdem sollte der Spezialist nahezu ausschließlich in seinem Fachgebiet tätig sein. Eine als Spezialist ausreichende Qualifikation in Endodontologie kann man z. B. durch eine absolvierte Prüfung bei der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET) nachweisen. Eine ausschließliche Tätigkeit erkennt der Patient einfach daran, dass der Zahnarzt nichts anderes als Wurzelkanalbehandlungen macht - am besten schon viele Jahre lang.
jameda: Vielen Dank für das Gespräch!
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