Artikel 25/07/2015

Wie funktioniert Hypnose wirklich?

Team jameda
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Lange Zeit verband man mit Hypnose Bühnenshows, bei denen Menschen wie ferngesteuert alles tun, was der Hypnotiseur ihnen sagt. Moderne Hypnotherapie ist meilenwelt von derartiger Bühnenhypnose entfernt. Sie soll dem Patienten helfen, sich zu entspannen, Schmerzen besser zu bewältigen oder psychische Störungen zu heilen. Wie das funktioniert, wollte jameda vom Hypnose-Experten Dr. Evermann wissen.

jameda: Funktioniert Hypnose bei jedem Menschen?
Herr Dr. Evermann:  Ja, Hypnose funktioniert bei allen. Jeder kennt z. B. die Autofahrer-Trance, gerade auf langen Strecken. Man erkennt sie am Tunnelblick und dem Eindruck, die letzten Kilometer nicht ganz „mitbekommen“ zu haben. Andere Beispiele wären der verlorene Blick aus dem Fenster beim Zugfahren oder „Tagträumereien“. Aber auch bei Tieren scheint diese Fähigkeit vorhanden zu sein. Wer schon einmal Katzen oder Hunde beobachtet hat, hat bestimmt schon gesehen, wie ihre Körperhaltung mitten in einer Bewegung einfriert. Dieses Phänomen wird in der Hypnose als „Katalepsie“ bezeichnet. Hypnose stellt somit eine normale Leistung unseres Gehirns dar. Einschränkend können sich  allerdings bestimmte Medikamente und hirnorganische Erkrankungen auf die Hypnosefähigkeit auswirken.

jameda: Es gibt verschiedene Verfahren, Patienten in Trance zu versetzen. Wie führt der Hypnotiseur seine Patienten in tiefe Entspannungszustände?
Herr Dr. Evermann: Es gibt verschiedene sogenannte Einleitungen („Induktionen“), die je nach Ziel der Sitzung ausgewählt und angepasst werden. So gibt es Einleitungen, die den Schwerpunkt auf Entspannung legen, andere wiederum sind besonders für innere Umstrukturierungsprozesse geeignet. Ich persönlich wähle gerne Einleitungen, die der Patient schnell erlernen und auch zu Hause üben kann. Die Tiefe der Trance ist übrigens nicht ausschlaggebend – zumal diese Tiefe ganz wesentlich von der Tagesform des Patienten abhängt und weniger aus der Technik hervorgeht. Was oft übersehen wird: Viele Patienten befinden sich bereits aufgrund des Beschwerdebildes in Trancezuständen, die oft aber (z. B. bei Depression) nicht positiv, sondern negativ fokussiert sind. Therapeutisch gilt es, diese spontane Trance als Ressource anzunehmen und in eine positive Trance umzuformen. Eine spezielle Einleitung ist dann nicht mehr nötig.

jameda: Kommt es häufiger vor, dass Patienten während der Hypnose einschlafen?
Herr Dr. Evermann: Am Einschlafen hindert die Interaktion zwischen Therapeut und Patient.  Therapeutische Trancen und Sitzungen leben im Wesentlichen von der Mitarbeit und den Äußerungen des Patienten, der dem Therapeuten von seinem inneren Erleben berichtet. Solche Sitzungen sind sehr effektiv, weil der Patient einen Zugang zu Themen erhält, die ihm im Wachbewusstsein versperrt sind.

jameda: Was passiert im Gehirn, wenn der Patient langsam einen Trance-Zustand erreicht?
Herr Dr. Evermann: Im EEG messbar ist der Wechsel der Hirnaktivität vom Beta- in den Alpharhythmus. Dieser entspricht einer leichten Entspannung, der Orientierung nach innen bei geschlossenen Augen. Bei Vertiefung der Trance ist ein Wechsel in Theta-Frequenzen möglich.

jameda: Verändert die Hypnose das Gehirn nachhaltig?
Herr Dr. Evermann: Neueste Untersuchungen zur Neuroplastizität zeigen, das es mittels Suggestionen in Hypnose möglich ist, den Ablauf der Wahrnehmung des Gehirns zu beeinflussen und in einen Aktivitätszustand zu versetzen, der es erlaubt, die zunächst hypnotisch veränderte Wahrnehmung tatsächlich umzusetzen. So fällt es zum Beispiel in Hypnose besonders leicht, zu lernen.

jameda: Was tut der Hypnotiseur, während der Patient in Trance ist?
Herr Dr. Evermann: Diese Frage lässt sich nur individuell, nicht allgemeingültig beantworten. Ich persönlich gehe mit in Trance, nehme so unmittelbar an der Symptomtrance des Patienten teil. Zusammen mit dem Patienten erlebe ich den inneren Raum, in dem das Geschehen stattfindet. Ich orientiere mich mit Hilfe des Patienten, der ja Experte seines Problems ist. Im einfachsten Fall gebe ich nur das an den Patienten zurück, was ich empfinde – das nennt man „spiegeln“. Nach Begreifen der Thematik rege ich eigene Findungsprozesse im Patienten an und unterstütze ihn in der Umsetzung.

jameda: Wie funktioniert das?
Herr Dr. Evermann: Dabei hilft die Vorstellung und Erkenntnis, dass alles, was sich der Mensch möglichst detailliert ausmalen kann, auch im Alltag umzusetzen ist. Nach außen sieht das dann wie ein „normales“ Gespräch aus, innerlich begebe ich mich aber auf die Ebene des Patienten, um dann im Erleben des Patienten die „Ebenen der Wahrnehmung“ zu wechseln und in die Vielschichtigkeit der Persönlichkeit einzutauchen. Hypnose ist daher für beide Seiten sehr intensiv. Ich persönlich fühle mich nach einer Sitzung erschöpft – vergleichbar mit dem Gefühl der abfallenden Anspannung nach einer Prüfung. Aufgrund dieser Intensität ist es mir nicht möglich, mehr als drei Sitzungen am Tag durchzuführen!

jameda: Ist der Patient dem Hypnotiseur ausgeliefert?
Herr Dr. Evermann: Nein! Es ist eher das Gegenteil der Fall: Die Qualität einer Sitzung basiert auf dem Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut. Gegen den Willen des Patienten lässt sich Hypnose nicht durchführen! Der Patient behält in jeder Phase der Therapie die volle Kontrolle über das Geschehen und ist frei, jederzeit die Augen zu öffnen, aufzustehen und zu gehen. Denn bei der Hypnose kommen keine Medikamente zum Einsatz, die den Patienten in irgendeiner Weise handlungsunfähig machen. Eher im Gegenteil: Der Patient erfährt in und durch Hypnose mehr Selbstwirksamkeit, gelangt zu mehr Selbstbestimmung und erlernt Möglichkeiten, sein Krankheitsgeschehen selber in die Hand zu nehmen und zu ändern.

jameda: Wie gelingt es dem Therapeuten, psychische Störungen durch die Hypnose zu heilen?
Herr Dr. Evermann: Wie bei allen Therapieverfahren möchte ich kein Heilsversprechen abgeben – das wird der Therapie auch nicht gerecht. Hypnose stellt lediglich eine Hilfestellung dar, einen besonderen Zustand zu erreichen, indem der Patient selber lösungsorientiert Probleme aus anderem Blickwinkel betrachten, bewerten und im neuen Sinne für sich nutzen kann. Dabei spielen auch Erfahrungen aus der jeweiligen Lebensgeschichte, sogenannte Ressourcen, eine wichtige Rolle, die erkannt und in den jeweiligen Therapiekontext transferiert werden können. Hierbei hilft der Therapeut. Die eigentliche Veränderung vollzieht der Patient selber – unbewusst wie bewusst!

jameda: In Frankreich, Belgien und Großbritannien ersetzt die Hypnose immer häufiger die Vollnarkose bei Operationen. Eine lokale Betäubung in Kombination mit professionell eingeleiteten Trance-Zuständen ist deshalb so beliebt, weil die Patienten weniger Schmerzmittel brauchen und sich nach dem Eingriff schneller erholen. Wieso funktioniert die Hypnose sogar bei Operationen?  
Herr Dr. Evermann: Die  schmerzlindernde Wirkung der Hypnose ist nicht neu und der Einsatz bei Operationen ist seit fast 200 Jahren dokumentiert. Lange bevor die verlässlichen Methoden der modernen Anästhesie zur Verfügung standen, wurden auch schwere Operationen wie Amputationen ausschließlich unter Hypnose durchgeführt. So prägte der schottische Chirurg James Braid 1843 den Begriff der „Hypnose“, abgeleitet vom griechischen Begriff Hypnos (= Gott des Schlafes). Hypnose wirkt auf jeden Fall, denn (fast) jedes Gehirn ist zu dieser Leistung in der Lage. Prinzipiell spielt es keine Rolle, ob in Hypnose Ängste behandelt, Depressionen gemildert, eine Zahnbehandlung durchgeführt oder kleine Operationen bzw. Eingriffe (z.B. Magen-Darmspiegelungen) durchgeführt werden. Gerade aber auch „normale“ Operationen mit Anästhesie profitieren von vorbereitenden Hypnosesitzungen – hierdurch wird die postoperative Wundheilung begünstigt, das Schmerzniveau deutlich gesenkt und der Patient braucht weniger belastende Medikamente.

jameda: Hypnotherapie ist kein Allheilmittel. Wo liegen ihre Grenzen?
Herr Dr. Evermann: Die Grenzen liegen vor allem in der Schwere der Krankheiten. Leichte Probleme und psychische Störungen sowie Schmerzen und psychosomatische Beschwerden sind sehr gut mit Hypnose zugänglich. Mittelschwere Ausprägungen lassen sich ebenfalls gut beeinflussen, allerdings braucht es häufig noch unterstützende medikamentöse Hilfestellungen oder parallel andere Therapieansätze. Hypnose ergänzt sich beispielsweise sehr gut mit den klassischen psychotherapeutischen Verfahren. Schwere psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenien, akute Wahnvorstellung, Drogenabhängigkeiten u.a. stellen aus meiner Sicht klare Kontraindikationen dar. Hypnose würde zwar nicht direkt schaden, allerdings auch wenig nützen.

jameda: Kann Hypnose auch Patienten helfen, die schon sehr lange unter ihren Symptomen leiden? 
Herr Dr. Evermann:  Für leichte und mittelschwere Störungen gilt: Je kürzer sie bestehen, desto besser sind die Erfolge der Hypnose. Bestehen Ängste seit Jahrzehnten, ist auch mit Hypnose keine schnelle Beschwerdefreiheit zu erwarten. Hier kommt es besonders darauf an, kleine und realistische Etappenziele zusammen mit dem Patienten zu formulieren und den Veränderungen, die durch Hypnose angestoßen werden, genügend Zeit zu geben.

jameda: Jede Hypnose-Sitzung muss am Ende aufgelöst werden. Wie geht der Hypnotiseur dabei vor?
Herr Dr. Evermann: Eine Sitzung wird nicht aufgelöst, sondern die Trance wird zurückgenommen. Analog zur Induktion wird dieser Vorgang als Exduktion bezeichnet (deutsch: „herausführen“). Der Therapeut begleitet den Patienten aus der Trance in Zeit, Raum und Bewusstsein zurück. Es gibt verschiedene Techniken, diese Rückorientierung anzuregen, die einfachste ist die Aufforderung zum tiefen, bewussten Einatmen, zum Dehnen und zum Öffnen der Augen.

jameda: Vielen Dank für das Interview!

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