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Noch vor einigen Jahren hat man unseren Darmbakterien vor allem Verdauungsaufgaben zugestanden. Jahrhunderte lang die meisten Keime vor allem als krankmachende Feinde betrachtet. Mittlerweile weiß man, das Hauptquartier unserer Abwehrkräfte sitzt im Darm. 70-80 Prozent aller Immunzellen, die Abwehrstoffe produzieren und im Körper Infekte oder Krebszellen bekämpfen, sind hier stationiert.

Wie funktioniert unser Darm?

Doch der Darm beherbergt nicht nur diese Immunzellen. Einhundert Billionen Keime tummeln sich in unserem Darm. Ganz unterschiedliche Keimarten, die alle ihre speziellen Aufgaben für uns erledigen. Jeder Mensch hat seinen persönlichen Mix im Bauch, der so individuell wie das Leben jedes Einzelnen ist. Die Zusammensetzung gleicht einem Tagebuch unseres Lebens. Er ist abhängig von unserer Geburt und den genetischen Informationen von Billionen Darmbakterien, die unsere Eltern uns mitgegeben haben – positiv wie leider auch negativ.

Im weiteren Verlauf prägt unsere Lebensweise, Krankheiten, die wir durchgemacht haben, Medikamente, die wir einnehmen mussten, wie zum Beispiel Antibiotika, unsere Ernährung, Umweltfaktoren und vieles mehr die Zusammensetzung unserer Darmflora. Einseitige Diäten oder anhaltender Stress wirbeln unser Mikrobiom kräftig durcheinander. Die „falschen“ Bakterien können so sehr schnell die Oberhand gewinnen und ein bakteriengesteuertes Fehlverhalten entwickelt sich. Ein Magen-Darm-Problem, eine Allergie, Hauterkrankungen oder Übergewicht können entstehen oder verschlimmern sich.

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass sich schon nach wenigen Tagen während einer Low-Carb-Diät umgehend Bakterien einer bestimmten Gruppe der Bilophila-Keime ausbreitete. Diese Bakterien fördern Entzündungen und sind damit für zahlreiche Erkrankungen sowie auch Übergewicht verantwortlich. Gleichzeitig erhöht sich bei einer verstärkt eiweißreichen Ernährung der Ph-Wert im Stuhl. Ein massiver Proteinabbau ist die Folge, wobei Stoffe (Indol, Skatol etc.) entstehen, die die Leber erhöht belasten.

Auch wenn man denkt, sich etwas Gutes zu tun und an Gewicht zu verlieren, kann man in Bezug auf seine Gesundheit genau das Gegenteil erreichen. Ohnehin kommt es im Nachhinein häufig zum unerwünschten JoJo-Effekt.

Der Darm beeinflusst mehr als nur unsere Körperfunktion

Die Darmflora entscheidet über schlank oder dick und oft auch über gesund oder krank. Doch was wäre, wenn unser Verdauungstrakt nicht nur Auswirkungen auf unsere Gesundheit, sondern auch Einfluss auf unsere Persönlichkeit hätte? Wenn uns die „richtigen“ Keime schlauer, glücklicher und zufriedener machen könnten, die „falschen“ Mikroorganismen aber DepressionenStress und Ängstlichkeit fördern? Aktuelle Untersuchungen scheinen genau das zu belegen.

Tatsächlich steckt unsere gute Laune im Darm! Genauso wie die miese Stimmung, Ängste oder die schlechten Gefühle.

Wenn wir uns freuen, haben wir „Schmetterlinge im Bauch“, sind wir ängstlich, haben wir „Schiss“ und bei Stress und Ärger bekommen wir einen „nervösen Magen“.

Doch dass unser Darm auch dafür verantwortlich sein soll, wenn wir unter Depressionen leiden, oder dem Stress einfach nicht mehr so gewachsen sind wie früher, das ist neu. Über die Ursachen von Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) und Autismus bei Kindern herrschte lange Zeit Unsicherheit. Inzwischen haben Forschungen belegt, dass auch hier ein Teil des Problems im Darm zu finden ist.

Für eine enge Beziehung zwischen Emotionen und Verdauung spricht außerdem, dass Magen-Darm-Erkrankungen meistens auch aufs Gemüt schlagen. Jeder zweite Reizdarmpatient leidet gleichzeitig unter Depressionen und Angststörungen. Unser ‘Bauchhirn’ kann scheinbar auch Erkrankungen, die wir bisher ausschließlich dem Gehirn im Kopf zu geordnet haben, zumindest teilweise positiv sowie negativ beeinflussen. Etwa bei Alzheimer, Parkinson oder multipler Sklerose.

Neuste Untersuchungen zeigen, dass bei diesen Erkrankungen gleichzeitig auch die Zusammensetzung der Keime im Darm gestört ist. Und dass sie in manchen Fällen auch im Darm beginnen.

Das leisten die Darmbakterien für unsere Gesundheit

  • kommunizieren über Botenstoffe (Neurotransmitter) mit dem Nervensystem
  • sind an der Bildung von „Glücks- und Appetitzügler- Hormonen“ beteiligt
  • beeinflussen unsere Emotionen
  • sind für eine gesunde Hirnentwicklung unerlässlich
  • bilden kurzkettige Fettsäuren, die Energie für Abwehrzellen im Gehirn liefern
  • sind wichtig für den Erhalt der Blut-Hirn-Schranke
  • produzieren Vitamine (zum Beispiel Vitamin K und B-Vitamine) und fördern die Aufnahme von Mineralstoffen (zum Beispiel Kalzium)
  • versorgen Darmzellen mit Energie und Nährstoffen und sorgen für deren Regeneration
  • erneuern die Schleimhaut der Darmbarriere und schützen uns vor Allergien
  • Helfen bei der Verdauung von Nahrung
  • Sind dafür verantwortlich, wie viele Kalorien aus der Nahrung in den Körper gelangen und entscheiden somit über unser Gewicht.
  • Wehren unerwünschte und feindliche Keime ab
  • Trainieren die Abwehrzellen und können die Wirksamkeit von Medikamenten fördern oder hemmen

Wie können Darmbakterien Einfluss auf unsere Psyche nehmen?

Es existieren mehrere Wege, über die sich Darm und Hirn austauschen können. Neben den Signalen aus dem Verdauungstrakt und den Botenstoffen (Neurotransmitter) der Darmbakterien, die zum Gehirn strömen, gibt es auch eine direkte nervale Verbindung zwischen Bauch und Hirn, den Vagusnerv. Er gewährleistet einen ständigen Datenaustausch dieser beiden. Des Weiteren verbindet er den Lebensraum der Bakterien direkt mit den grauen Zellen und übermittelt dem Gehirn, was im Volksmund als „Bauchgefühl“ bezeichnet wird. So werden Informationen direkt in das limbische System, also an den Ort, an dem sich unsere Emotionen abspielen, weitergeleitet. Negative Informationen schlagen demnach mitten in unserem Gefühlszentrum ein.

Des Weiteren konnten wissenschaftliche Forschungen belegen, dass spezielle Gruppen von Bakterien aggressives oder ängstliches Verhalten begünstigen, andere Bakterien wiederum zur Ruhe, Gelassenheit und zur psychischen Stärke verhelfen können.

Diese wichtigen Stoffe werden von unseren Darmbakterien produziert

  • Peptid YY macht uns gelassen, erhöht die Stressresistenz und ist gleichzeitig Sättigungshormon
  • GABA (Gamma-Aminobuttersäure) – ein beruhigender Botenstoff, der Körper und Geist zur Ruhe kommen lässt
  • Melatonin – das Schlafhormon für einen erholsamen Schlaf
  • Oxytocin – fördert soziales Verhalten und unterstützt die Bindung zu anderen Menschen
  • Serotonin – macht glücklich
  • Tryptophan – Baustein zur Serotoninbildung im Gehirn

Fazit

All diese Erkenntnisse lassen uns den Darm mit seinem Mikrobiom mit neuen Augen sehen und es eröffnen sich ganz neue Perspektiven zur Behandlung verschiedener Erkrankungen. Man kann seit neuestem erkennen, ob bei einer Erkrankung oder bei Übergewicht ein gestörtes Mikrobiom zugrunde liegt. Das ist mit hochentwickelten aber dennoch simplen Mikrobiom-Stuhltests möglich. Sie helfen dabei, gezielt und effizient in der Therapie anzusetzen und zu behandeln.

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