Artikel 21/09/2017

Was tun nach einem Behandlungsfehler?

Team jameda
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Bei Behandlungsfehlern, umgangssprachlich auch „Ärztepfusch“ oder ‘ärztliche Kunstfehler’ genannt, ist ein überlegtes Vorgehen wichtig. Wo Menschen tätig sind, passieren Fehler, also auch in der Medizin. Eine aktuelle Studie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zeigt, dass Behandlungsfehler nicht selten sind. So wurden in Deutschland im Jahr 2016 rund 15.100 mögliche Fehler vom MDK untersucht. In 24 Prozent der Fälle hat sich der Vorwurf bestätigt. Die Dunkelziffer ist jedoch viel höher: Oft werden die Fehler immer noch vertuscht.

Die Broschüre „Informiert und selbstbestimmt: Ratgeber für Patientenrechte“ des Bundesgesundheits- und Bundesjustizministeriums klärt umfassend über Ihre Rechte bei Behandlungsfehlern auf.

Behandlungsfehler erkennen

Passiert im Handwerk ein Fehler, ist der Schaden meist schnell offensichtlich und der Unternehmer muss in der Regel haften. Das lässt sich aber leider auf die Medizin nicht Eins zu Eins übertragen, denn der Arzt schuldet nicht den Erfolg der Therapie. Er muss lediglich sicherstellen, dass er die Behandlung nach neuesten wissenschaftlichen Standards gewährleistet.

Auch bei sorgfältiger Behandlung können sich Komplikationen einstellen, die nicht automatisch einen Fehler begründen. Von einem Fehler geht man in der Regel nur dann aus, wenn der Arzt gegen anerkannte ärztliche Standards verstößt. Allerdings ist auch ein Abweichen vom Standard in Ausnahmefällen zulässig.

Welche Arten von Behandlungsfehlern gibt es?

Es gibt laut Bundesgesundheits- und Bundesjustizministerium folgende Arten von Behandlungsfehlern:

  • Aufklärungsfehler: Mangelhafte Aufklärung des Patienten über seine Krankheit, die Therapie und Behandlung sowie das Aufzeigen von Risiken und Alternativen der Behandlung. Große Bedeutung erlangt die Aufklärung vor geplanten medizinischen Eingriffen.
  • Befunderhebungsfehler: Gemeint ist das Unterlassen vorgegebener wichtiger Untersuchungen und Maßnahmen zur Sicherung eines Befundes oder einer Diagnose.
  • Diagnosefehler: Liegt in der Regel vor, wenn vorausgehende Untersuchungen, Bildgebungen oder Befunde falsch interpretiert werden und sich daraus Folgefehler ergeben.
  • Therapiefehler: Liegt vor, wenn der Arzt den vorgegebenen Therapiekorridor verlässt oder sich für eine falsche oder unangemessene Therapie entscheidet.
  • Organisationsfehler: Liegt vor, wenn sich ein sogenanntes vollbeherrschbares Risiko eingestellt hat, d. h. es wäre bei organisatorisch vorgegebener Beachtung und Handlungsweise voll vermeidbar gewesen. Hierzu zählen beispielsweise Handlungen nicht entsprechend qualifizierter Mitarbeiter oder auch Verstöße gegen Hygienebestimmungen (Nichteinhalten von Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, kurz: KRINKO).
  • Fehler im Anschluss an die Behandlung: Mangelhafte bzw. fehlende Informationen des Arztes über das Verhalten und die Nachbehandlung des Patienten.

Die Informationspflichten zwischen Arzt und Patient sind in § 630c BGB festgehalten.

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Beweislast liegt grundsätzlich beim Patienten**

Grundsätzlich muss der Patient einen Behandlungsfehler beweisen. Der Beweis kann nur über ein ärztliches Gutachten geführt werden. Ergeben sich aus einem Gutachten Ansätze für ein grob pflichtwidriges Verhalten des Arztes (grober Behandlungsfehler), so ergeben sich für den Patienten Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast. In diesen Fällen muss dann der Arzt den Beweis liefern, dass der vorhandene Gesundheitsschaden bei korrekter ärztlicher Behandlung nicht oder gleichfalls auch eingetreten wäre. Einen solchen Beweis kann der Arzt in der Regel dann nicht mehr führen.

Richtige Vorgehensweise: Behandlungsfehler vermeiden oder nachweisen

Folgende Tipps helfen dabei, Behandlungsfehler zu vermeiden oder zu erkennen:

  • Begleitperson zum Arzttermin mitnehmen: Um künftige Fehler (Aufklärung) auszuschließen oder zu vermeiden, hilft es bereits, eine Begleitperson zu aufklärenden Gesprächen – insbesondere vor geplanten Operationen – mitzunehmen. Die Äußerungen des Arztes lassen sich so oft besser verstehen oder im privaten Gespräch noch einmal nachvollziehen. Bei einem späteren Behandlungsfehler kann die Begleitperson zudem als Zeuge benannt werden.
  • Gedächtnisprotokoll anfertigen: Bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler hilft das genaue Aufschreiben der einzelnen Termine und Arztgespräche. Der gesamte Verlauf der unterschiedlichen Arztbesuche lässt sich dann besser rekonstruieren.
  • Gespräch mit behandelndem Arzt suchen: Ein Gespräch kann – bei Verdacht auf einen möglichen Behandlungsfehler – Missverständnisse möglicherweise direkt ausräumen oder auch die Vermutung verstärken.
  • Akteneinsicht einfordern: Patienten haben jederzeit das Recht, ihre persönliche Arztakte einzusehen. Auch können Kopien gegen die üblichen Kosten gefordert werden. Die Krankenkasse erstattet sie in der Regel.
  • Hilfsangebot der gesetzlichen Krankenkasse nutzen: Die gesetzliche Krankenkasse berät und unterstützt Betroffene gerne in allen Fragen rund um das Thema Behandlungsfehler.

Unterstützung der Krankenkassen bei Behandlungsfehlern

Im Jahr 2013 ist das „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ (Patientenrechtegesetz, kurz: PRG) in Kraft getreten. Es verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen dazu, ihre Mitglieder bei Behandlungsfehlern zu unterstützen. Es besteht ein Rechtsanspruch darauf (vgl. § 66 SGB V). Alle größeren gesetzlichen Krankenkassen verfügen zwischenzeitlich über ein eigenes qualifiziertes und spezialisiertes Behandlungsfehlermanagement.

Folgende Unterstützungsleistungen können die Versicherten in der Regel erwarten:

  • Schritt 1: Der Patient schildert seinen persönlichen Fall und die Krankenkasse berät umfassend in rechtlicher und medizinischer Hinsicht.
  • Schritt 2: Wenn sich der Verdacht verhärtet, sendet die Krankenkasse einen Fragebogen an den Betroffenen oder der Betroffene muss die Ärzte gegenüber der Krankenkasse von der ärztlichen Schweigepflicht betreffend des konkreten Vorfalls und aller Folgen entbinden.
  • Schritt 3: Die Krankenkasse verlangt Akteneinsicht bei allen betroffenen Ärzten und bittet um Übersendung von Kopien der vollständigen Krankenakten.
  • Schritt 4: Die Krankenkasse prüft den Eingang der ärztlichen Unterlagen auf Plausibilität sowie Vollständigkeit und bereitet eine Vorlage mit entsprechenden Fragen an den ärztlichen Gutachter (in der Regel ein Arzt des MDK) vor.
  • Schritt 5: Die Krankenkasse beauftragt den MDK mit einem umfassenden ärztlichen Gutachten.
  • Schritt 6: Die Krankenkasse übersendet dem Versicherten das beauftragte Gutachten.

Mehrleistungen bei unterschiedlichen Krankenkassen:

  • Schritt 7: Die Krankenkasse wertet das Gutachten rechtlich aus und steht dem Versicherten beratend zur Verfügung oder hilft bei der Erläuterung medizinischer Fachausdrücke.
  • Schritt 8: Die Krankenkasse kooperiert mit bereits eingeschalteten Fachanwälten für Medizinrecht.
  • Schritt 9: Die Krankenkasse berät den Versicherten auch im weiteren Verfahren bezüglich möglicher Schadenersatzansprüche und erläutert die weitere rechtliche Vorgehensweise.
  • Schritt 10: Die Krankenkasse prüft eigene Schadenersatzansprüche (Mehrkosten wegen des Fehlers) und übernimmt die Vorreiterrolle zur Durchsetzung der Ansprüche gegenüber den beteiligten Haftpflichtversicherern.
  • Schritt 11: Nach medizinrechtlichem Austausch mit den beschuldigten Ärzten, Haftpflichtversicherungen oder gegnerischen Anwälten und eventuell erneuten medizinischen Ergänzungsgutachten bemüht sich die Krankenkasse vornehmlich um eine gütliche Verständigung.
  • Schritt 12: Die Krankenkasse führt bei entsprechendem Chance-Risikoverhältnis einen Rechtstreit bezüglich ihrer eigenen Schadenersatzansprüche.
  • Schritt 13: Die Krankenkasse kümmert sich auch um Fristen des Versicherten und ist bei der Formulierung von Schreiben zum Verzicht auf eine mögliche Verjährungseinrede behilflich oder gibt diese Schreiben vor.
  • Schritt 14: Der Versicherte kann direkt von einer gütlichen Regulierung oder dem Ausgang eines positiven Urteils profitieren.
  • Schritt 15: Die Krankenkasse berät den Versicherten bei Bedarf auch zur Höhe und Geltendmachung des zustehenden Schadenersatzanspruchs (Höhe des Schmerzensgeldes etc.).
  • Schritt 16: Hilfe bei Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen

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Wann ist eine Klage erfolgsversprechend?**

In Arzthaftungsangelegenheiten sollte ein Klageverfahren immer nur das letzte Mittel der Wahl sein. Ein noch so eindeutiges ärztliches Gutachten kann theoretisch immer durch ein Gerichtsgutachten widerlegt werden. Hierbei stellt sich auch immer die Kostenfrage, besonders wenn der Versicherte nicht rechtschutzversichert ist.

Zudem sind außergerichtliche Verfahren fast immer kürzer und ersparen dem Versicherten langjährige Prozessverfahren und Kosten durch mehrere Instanzen. Zuständig ist immer die Zivilgerichtsbarkeit (Land- oder Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof).

Bei Behandlungsfehlern ist es sehr wichtig, dass die Verjährungsfrist eingehalten wird. Sie beginnt „mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste“ (§199 BGB). Das Verjährungsrecht ist recht komplex, weswegen sich hier immer die Beratung durch die gesetzliche Krankenkasse (Behandlungsfehlermanagement) oder auch einen Fachanwalt für Medizinrecht empfiehlt.

Beim Versuch einer gütlichen Einigung kann der Versicherte – zusätzlich zum Verfahren der Krankenkasse – ein kostenfreies Parallelverfahren bei der Schlichtungsstelle der jeweiligen Landesärztekammer in Anspruch nehmen. Die Schlichtungsstelle fertig ebenfalls neutrale unabhängige Gutachten an.Übrigens:

Übrigens: Eine Schmerzensgeldtabelle zu Behandlungsfehlern gibt es auf www.schmerzensgeldtabelle.net.

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