Team jameda
Die Bluterkrankheit wird fast ausschließlich von Frauen vererbt. Lesen Sie, warum das so ist, mit welchen Risiken „Bluter“ leben und wie moderne Behandlungen aussehen.
Was bedeutet eigentlich „Bluter“? Hier eine kurze Definition: Die Bluterkrankheit, auch Hämophilie genannt, ist eine vererbbare Blutgerinnungsstörung, die zu langanhaltenden oder spontanen Blutungen führt. Sie ist auf einen genetischen Defekt und einen fehlenden Blutgerinnungsfaktor zurückzuführen, der bei der Wundheilung eine wichtige Rolle spielt.
Das Gerinnungssystem schützt den Körper vor Blutungen und Blutverlusten. Sobald eine innere oder äußere Blutung entsteht, wird sofort die Blutgerinnung in Gang gesetzt. Gefäße, Blutplättchen und Blutgerinnungsfaktoren spielen zusammen, so dass sich die verletzte Gefäßstelle verschließt und die Blutung aufhört. Der Vorgang läuft in drei Phasen ab:
Es gibt 13 Blutgerinnungsfaktoren, die sich in einer Art Kettenreaktion aktivieren und den Aufbau des Fibrinnetzes ermöglichen. Weil bei Blutern ein Blutgerinnungsfaktor fehlt, kann das Fibringerinsel nicht aufgebaut und die Blutung nicht gestillt werden. Die einzelnen Varianten unterscheiden sich darin, welcher Blutgerinnungsfaktor betroffen ist. Alle Bluterkrankheiten in der Übersicht:
Variante
Fehlender Gerinnungsfaktor
Hämophilie A
Faktor VIII
Hämophilie B
Faktor IX
Stuart-Prower-Faktor-Mangel
Faktor X
Parahämophilie oder Owren-Syndrom
Faktor V
Angiohämophilie oder Willebrand-Jürgens-Syndrom
Von-Willebrand-Faktor
Hämophilie C oder Rosenthal-Syndrom
Faktor XI
Die bei weitem häufigste Bluterkrankheit ist die Hämophilie A, die Faktor-8-Mangelsymptome verursacht.
Weltweit sind 400.000 Menschen von der Bluterkrankheit betroffen. In Deutschland leiden ungefähr 8.000 Patienten darunter: Die meisten haben Hämophilie A.
Das defekte Gen, das die Hämophilie verursacht, befindet sich auf dem X-Chromosom. Die Chromosomen X und Y bestimmen das Geschlecht eines Menschen: Das XY-Chromosomenpaar sorgt für männlichen und das XX- Chromosomenpaar für weiblichen Nachwuchs.
Frauen erkranken meistens nicht an Hämophilie, weil sei zwei X-Chromosomen haben. Ist eines defekt, reicht die Funktion des zweiten für die Bildung des Gerinnungsfaktors aus.
Männer aber haben nur ein X-Chromosom. Ist es defekt, bricht die Erkrankung aus, weil das Y-Chromosom keine Gerinnungsfaktorenbildungsstelle aufweist.
Wenn eine genetisch belastete Frau und ein gesunder Mann einen Sohn bekommen, beträgt die Wahrscheinlichkeit 50 %, dass er mit der Bluterkrankheit auf die Welt kommt. Erwartet das Paar weiblichen Nachwuchs, ist das Baby mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls belastet, ohne dass die Krankheit ausbricht. Wenn eine gesunde Frau und ein Bluter Kinder bekommen, sind alle Söhne gesund und alle Töchter belastet.
In der folgenden Tabelle sind gefettete X-Chromosomen defekt:
Frau
Mann
Töchter
Söhne
XX
XY
XX oder XX
XY oder XY
XX
XY
XX oder XX
XY oder XY
Es gibt verschiedene Schweregrade, die von der Restaktivität des gestörten Blutgerinnungsfaktors abhängig sind. Am schwersten verläuft die Erkrankung, wenn ein Blutgerinnungsfaktor praktisch gar nicht vorhanden ist. Dann äußert sich die Erkrankung schon im Kindesalter. Bei leichteren Verläufen bricht die Bluterkrankheit manchmal erst im Erwachsenenalter aus, zum Beispiel während eines zahnärztlichen Eingriffs.
Die Bluterkrankheit führt ohne Verletzung zu Spontanblutungen, die überall auftreten können. Besonders häufig sind die Gelenke betroffen. Wiederholte Gelenkblutungen sind schmerzhaft und führen langfristig zur Arthrose, im Fall der Bluterkrankheit auch Hämarthrose genannt. Die Auswirkungen sind Gelenkversteifungen, die bis zur Zerstörung des Gelenks führen. Betroffen sind meistens Sprunggelenke, Knie, Ellenbogen, Schultern, selten auch die Hüften.
Schmerzhafte Muskelblutungen treten sogar nach einer intramuskulären Spritze auf. Sie haben es in sich: Wiederholte Muskelblutungen führen langfristig zu Muskelschädigung und Verkrüppelungen. Besonders die Unterarme- und die Wadenmuskeln sind betroffen. Hört die Blutung nach einer Impfung nicht auf, könnte das ein Anzeichen der Bluterkrankheit sein.
Die Gefahr innerer Blutungen wie zum Beispiel Nieren- oder Gehirnblutungen ist ebenfalls erhöht. Frauen haben während ihrer Regel und bei Geburten stärkere Blutengen. Weitere Merkmale sind großflächige, langanhaltende blaue Flecke nach kleinen Verletzungen und häufiges Nasenbluten.
Nach einem Unfall oder einem kleinen Eingriff wie zum Beispiel beim Zahnarzt können schwere Blutungen entstehen, die der Körper selbst nicht mehr stillen kann. Ohne eine Behandlung führen die Blutungen zum Tod.
Die Diagnostik beruht auf der Familiengeschichte und auf speziellen Gerinnungsuntersuchungen, wie zum Beispiel:
Die Bluterkrankheit ist nicht heilbar, aber gut behandelbar: Heutzutage haben Hämophilie-Patienten eine ganz normale Lebenserwartung.
Die Therapie basiert auf dem Ersatz des fehlenden Gerinnungsfaktors durch Faktorenkonzentrate, die in die Vene gespritzt werden. In der Vergangenheit wurden einige Gerinnungsfaktoren aus menschlichem Plasma gewonnen. Seit den 90er Jahren sind gentechnisch hergestellte Gerinnungsfaktoren zugelassen, die das Ansteckungsrisiko mit Hepatitis oder AIDS nahezu ausgeschlossen haben.
Die Gerinnungsfaktoren werden entweder prophylaktisch dreimal pro Woche oder bei Bedarf verabreicht, zum Beispiel vor einer Operation oder bei einer akuten Blutung. Die sogenannte ärztlich kontrollierte Heimselbstbehandlung ist nach einer entsprechenden Schulung sogar bei Kindern möglich.
Die intravenöse Gabe von Gerinnungsfaktoren ist im Allgemeinen gut verträglich. Bei der Therapie mit dem Faktorkonzentrat VIII kommt es allerdings bei 10 bis 50 Prozent der Betroffenen zur Bildung von Antikörpern, die die Behandlung unwirksam machen. Dagegen hilft die sogenannte Hemmkörperelimination durch Erzeugung einer Immuntoleranz, die eine 80-prozentige Erfolgsrate hat.
Ziele der Hämophilie-Therapie sind die Vorbeugung und Behandlung der Blutungen, der Komplikationen und Folgeschäden, die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gelenkfunktionen und die Integration des Hämophilen in ein normales soziales Leben. Die psychosoziale Unterstützung dient zur Überwindung der Angst, die durch das regelmäßige intravenöse Spritzen vor allem bei Kindern entsteht. Kinder und Eltern müssen lernen, mit der lebenslangen Krankheit umzugehen.
Körperliche Aktivität ist bei Hämophilie besonders empfehlenswert. Sport stärkt das Abwehrsystem und stabilisiert die Gelenke. Besonders hilfreich sind Sportarten, die die Koordination des Bewegungsapparates fördern und ein geringes Verletzungsrisiko bergen, wie zum Beispiel Schwimmen, Radfahren, Rudern oder Tischtennis.
Ein weiterer Tipp: Alle Medikamente, die Blutungen fördern, wie zum Beispiel ASS und Thrombozytenaggregationshemmer sind für Hämophile streng verboten.
Mediziner träumen davon, die Hämophilie in Zukunft durch Gentherapie heilen zu können. Das wäre möglich, wenn eine gesunde Genkopie in die Körperzellen ,eingebaut‘‘ wird, die den fehlenden Gerinnungsfaktor produzieren kann. Bislang ist das noch nicht gelungen, weil das Abwehrsystem der Patienten die behandelten Zellen zerstört hat. Trotzdem wird in dieser Richtung weiterhin geforscht.
Die Bluterkrankheit ist auf die Vererbung eines defekten Gens zurückzuführen, das Blutgerinnungsfaktoren produziert. Ohne Behandlung äußert sich die Erkrankung mit spontanen und langanhaltenden Blutungen und Gelenk- und Muskelzerstörungen, die zu Verkrüppelungen führen. Die Patienten sind auch von schwerwiegenden Nieren- oder Gehirnblutungen bedroht. Die Bluterkrankheit ist zwar nicht heilbar, aber die Symptome lassen sich gut vrobeugen.
Deutsche Hämophiliegesellschaft
Österreichische Hämophiliegesellschaft
Schweizerische Hämophiliegesellschaft
Hämophilieportal
Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
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