Artikel 21/08/2018

Wenn Gesprächstherapie nicht mehr hilft: Was ist Brainspotting?

Team jameda
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Vielleicht haben Sie es schon einmal bemerkt: Wenn Sie völlig in Gedanken sind, fixieren Sie dabei unbewusst einen Punkt an der Wand oder an der Decke. Bei einem Gespräch kann es ähnlich sein. Sie schauen Ihren Gesprächspartner normalerweise an.

Wenn Sie sich aber an Details oder emotional aufgeladene Informationen erinnern wollen, schauen Sie weg und landen mit Ihren Augen ebenfalls irgendwo im Nichts. Wir suchen uns ganz intuitiv und unbewusst bestimmte Augenpositionen, um in Verbindung mit Erinnerungen oder Gefühlen zu gehen - mit positiven genauso wie mit negativen.

Was ist Brainspotting?

Brainspotting ist eine Methode, um Traumatisierungen, negative Emotionen oder belastende Erinnerungen zu bearbeiten und aufzulösen. Sie nutzt bestimmte Augenpositionen und reduziert den Gesprächsanteil zwischen Klienten und Therapeuten deutlich. Brainspotting hilft, wenn Reden nichts mehr nützt.

Vielleicht kennen Sie das: Entweder lässt es sich nicht gut beschreiben, was sich genau belastend anfühlt, oder es kann sein, dass es doch ‘eigentlich’ keinen Grund gibt, sich so zu fühlen, weil „nichts“ war oder „es“ schon so lange zurückliegt. Genauso gut ist es möglich, dass schon alles gesagt ist und es sich trotzdem nicht besser anfühlt. Mit Brainspotting lassen sich „es“ und „nichts“ wiederfinden und auflösen.

Die Wurzeln von Brainspotting liegen sowohl im EMDR als auch im Somatic Experiencing. Begründer der Methode ist Dr. David Grand, ein US-amerikanischer klinischer Sozialarbeiter und langjähriger EMDR-Therapeut und -Trainer. Seit 2003 wurden schon mehr als 13.000 Therapeuten weltweit in dieser Methode ausgebildet. Die Anzahl wächst jährlich weiter.

Wie funktioniert Brainspotting?

Brainspotting fokussiert vor allem auf die Symptome, die im Körper spürbar sind, wenn wir an ein belastendes Ereignis denken oder ungewollt daran erinnert werden. Dazu gehören:

Das Besondere bei der Methode ist, dass ausgehend von diesen körperlichen Symptomen korrespondierende Augenpositionen, die sogenannten ‘Brainspots’, gefunden werden können. Ein Brainspot ist somit ein Zugang zu genau dem neuronalen Netzwerk im Gehirn, das die belastende Erinnerung speichert.

Die passende Augenposition lässt sich recht einfach finden. Entweder spürt der Klient sofort, wo im Blickfeld die körperliche Belastung schlimmer wird, wenn der Therapeut mit einem Zeigestab durch sein Gesichtsfeld gleitet. Oder aber der Therapeut erkennt die Augenposition daran, dass ein Reflex erscheint, während er den Zeigestab bewegt. Reflexe können sich beispielsweise bemerkbar machen durch

  • Blinzeln
  • Pupillenveränderungen
  • Husten
  • Räuspern
  • Zucken

Sobald die Augenposition gefunden wurde, wird sie während der nächsten 30 - 40 Minuten unverändert gehalten. Das bedeutet, dass der Therapeut den Stab hält und der Klient auf seine Spitze schaut. Gleichzeitig gibt der Klient den Körperwahrnehmungen nach und lässt seine Gedanken frei schweben. Diese Kombination von fokussierter Aufmerksamkeit auf Körperwahrnehmungen ermöglicht es dem Gehirn, alles ins Bewusstsein zu bringen, was zur Verarbeitung der Symptome und damit dem zugrunde liegenden Auslöser notwendig ist.

Eine Besonderheit bei Brainspotting ist, dass der Klient Kopfhörer trägt. Er hört darüber „bilaterale“ Töne, d.h. diese Töne sind nicht gleichzeitig auf beiden Ohren hörbar, sondern wechseln zwischen den Ohren hin und her. Zu den Tönen gehören Naturgeräusche oder Instrumentalmusik. Durch diese bilateralen Reize soll das Gehirn stimuliert werden.

Stress, belastende Ereignisse und Traumatisierungen werden im menschlichen Gehirn im mesolimbischen System abgespeichert. Das liegt tief im Mittelhirn und kann mit Reden nicht erreicht werden. Vor allem die Amygdala spielt dabei eine wichtige Rolle. Brainspotting wirkt genau an dieser Stelle. Für den Verstand kann diese Erfahrung beim ersten Mal irritierend wirken, da es „nicht mitbekommen hat“, dass sich etwas Wesentliches im Fühlen und Erleben verändert.

Wann wird Brainspotting angewendet?

Die Hauptanwendungsgebiete liegen in der Traumatherapie, aber auch für psychosomatische Beschwerden und somatische Symptome ohne organische Ursache ist Brainspotting gut geeignet. Weiterhin kann es im Coaching angewendet werden. Künstler profitieren davon ebenso wie Sportler, um Leistungsangst in -fokussierung zu verändern, Höchstleistungen abzurufen oder Verletzungsfolgen zu lösen.

Ein konkretes Anwendungsbeispiel könnte wie folgt aussehen: Möglicherweise hatten Sie vor kurzer oder längerer Zeit einen Autounfall. Sie sind nicht verletzt worden oder Ihre Verletzungen sind bereits verheilt. Sie spüren aber immer noch Unruhe, möglicherweise Angst oder Panik beim Gedanken ans Autofahren. Sie fahren auch nicht mehr gerne bei anderen Menschen mit. Es schnürt Ihnen die Kehle zu und Sie haben einen Stein im Magen oder Ihr Körper fühlt sich schwer an. Vielleicht setzen Sie sich gar nicht mehr ins Auto.

Das wäre schade, denn Ihr tägliches Leben funktioniert nur problemlos, wenn Sie mobil sind. Noch dramatischer sind die Veränderungen, wenn Sie für Ihren Beruf auf ein Auto angewiesen sind.

Diese körperlichen Symptome sind der Start für eine Brainspotting-Sitzung. Sie verändern sich je nachdem, wo Sie hinschauen, und werden stärker oder schwächer. Gemeinsam finden Patient und Therapeut die Augenposition, bei der sich die körperlichen Belastungen besonders unangenehm anfühlen. Sie brauchen dann nichts weiter zu tun, als die Augen auf der Spitze des Zeigestabes zu halten, während Ihr Gehirn daran arbeitet, die körperlichen und emotionalen Erinnerungen an den Unfall aufzulösen.

Wie viele Anwendungen sind nötig?

Je nach Symptombild, Intensität und Dauer der belastenden Erfahrung unterscheidet sich die Anzahl der notwendigen Sitzungen. Monotraumata im Erwachsenenalter sind sehr viel schneller zu lösen als Komplextraumatisierungen und belastende Lebenssituationen im Kindesalter.

Die in diesem Artikel beschriebene Methode ist nicht zur Selbstanwendung geeignet. Bitte kontaktieren Sie einen in Brainspotting geschulten Therapeuten.

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