Artikel 06/02/2019

Wann es sinnvoll ist, das Zungenbändchen durchzutrennen? Das sind Ihre Ansprechpartner

Dr. med. dent. Sören Linge Zahnarzt
Dr. med. dent. Sören Linge
Zahnarzt
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Wie erkenne ich, ob mein Kind ein verkürztes Zungenbändchen hat? Der jameda-Zahnarzttipp erklärt, an wen Sie sich jetzt wenden können.

Kommt Ihnen das bekannt vor?

‘Das Stillen klappt bei meinem Baby einfach nicht. Es schläft dauernd ein, verliert ständig Kontakt zur Brustwarze oder kaut nur darauf herum und kommt alle zwei Stunden.’

‘Mein Kind verschluckt sich dauernd beim Essen! Mein Kind mag keine feste Nahrung und ist so kau-faul.’

‘Ich kann mein Kind einfach nicht verstehen, es spricht so undeutlich.’

‘Mein Kind hat einfach zu viel Spucke, spricht so hastig und undeutlich, spritzt und sabbert dabei herum.’

‘Mein sechsjähriges Kind kann einfach nicht essen. Es schlingt die Nahrung immer nur runter und ist dabei immer so verschmiert im Gesicht – es hat einfach keine Manieren, trotz all meiner Bemühungen. Und Unbekanntes probiert es gar nicht erst, besonders feste Nahrung wird gemieden.’

Wie kann man ein zu kurzes Zungenbändchen erkennen?

Die Zunge und ihr Bändchen bekommen immer erst Beachtung, wenn etwas so gar nicht klappt. Alle diese Symptome können die gleiche Ursache haben, mit der sie jedoch häufig nicht einmal in Zusammenhang gebracht werden: ein zu kurzes Zungenband.

Doch wann ist ein Zungenbändchen zu kurz? Eine herz- bzw. blattförmig eingedellte Zungenform kann zum Beispiel Folge eines zu kurzen Zungenbandes sein. Wenn das Zungenband direkt an der Zungenspitze ansetzt, handelt es sich um eine sogenannte echte Ankyloglossie.

Allerdings können auch weit unauffälligere Zungenbändchen unter Umständen erhebliche Probleme bereiten. Bei einem mittig ansetzenden Zungenbändchen mit einem stark verdickten „Stamm“ spricht der amerikanische Spezialist Dr. Ghaheri von einem posterioren Zungenband (PTT = posterior tongue tie), das die Zunge in ihren Bewegungen erheblich einschränken kann.

Ab wann also ist das Zungenbändchen zu kurz? Kann man das messen? Ab wann sollte man intervenieren?

Hier ein paar Fakten zum Tongue-Tie, dem Zungenzügel:

  1. Es gibt keine absolute Länge für ein Zungenbändchen.
  2. Nicht jedes „augenscheinlich“ zu kurze Zungenbändchen muss durchtrennt werden.
  3. Bei manchen Zungenbändchen sieht man nur einen „Mast“ und kein „Segel“.
  4. Die Funktion ist entscheidend für die Indikation, ob ein chirurgischer Eingriff nötig ist oder nicht.

Was also sollte eine Zunge können?

Die Frage ist nur in Abhängigkeit vom Alter des Kindes zu beantworten. Für einen Säugling ist in vielerlei Hinsicht das Stillen die optimale Form der Nahrungsaufnahme. Entscheidend, ob das Stillen klappt oder nicht ist das sogenannte „leach on“, das Ansaugen.

Hierbei bildet die Zunge mit der Unterlippe eine Aktionseinheit. Die vorgestreckte Zunge legt sich über den Unterkiefer-Alveolarfortsatz und erfasst die Mamille und einen Teil des Warzenhofes und saugt diesen sogenannten Saugzapfen in den Mund. Die Brust wird hierbei mit den Lippen abgedichtet.

Kann die Zunge den Kieferkamm also nicht überragen, weil das Zungenbändchen zu kurz ist, versucht das Baby zwar zu saugen und zu schlucken, jedoch mit erheblichen Folgen für Mutter und Kind. Es kommt zu wunden, blutigen Brustwarzen, schlechtem Milchfluss, Koliken durch Luftschlucken, Reflux und Erschöpfung.

War das Saug-Schluck-Muster beim Säugling noch eher reflektorisch, wird es mehr und mehr willentlich. Bis das physiologische Kau-Schluckmustere spätestens mit Durchbruch der Milchmolaren nach und nach das Saug-Schluck-Muster ersetzt. Beim Kau-Schluck-Muster rollt die Zunge an der Papilla inzisiva entlang des harten Gaumens nach zur Rückseite ab und übt dabei Druck auf diesen aus.

Dieses komplexe Bewegungsmuster wird allerdings, ebenso wie das Sprechen, durch „Versuch und Irrtum“ erlernt. Wenn das neuromuskuläre System reift, wird die Koordination immer besser. Form und Funktion beeinflussen sich nun gegenseitig. Eine falsche oder fehlende Zungenruhelage und offene Mundhaltung führen zu einem „falschen“ Schluckmuster.

Durch ein falsches Schluckmuster fehlt der „Wachstumsdruck“ auf den Oberkiefer und damit auf das gesamte Mittelgesicht. Die Oberkieferform bleibt dann hoch und eng, wodurch sich ein Schiefstand bildet. Der Nasenboden senkt sich nicht ab und die Nebenhöhlen bleiben eingeengt.

Es entsteht eine Spirale aus HNO-Problemen, Mund-Atmung, HNO-Problemen, vermehrter Kariesanfälligkeit und eventuell erhöhter Allergieanfälligkeit.

Durch das häufig assoziierte „Mentalis-Schlucken“ stellen sich die Frontzähne steil auf und der Unterkiefer weicht beim Kieferschluss nach hinten aus, wodurch das Kiefergelenk komprimiert. Bei Erwachsenen führt dies oft zu CMD-Problemen.

Laute werden kompensatorisch interdental, dorsal oder lateral gebildet. Das Kind spricht übermäßig schnell, um den vermehrten Speichelfluss auszugleichen oder Kinder vermeiden das Sprechen ganz.

Außerdem fördern Essensreste, die in den Wangen und Umschlagsfalten liegen bleiben, Karies.

Bei einigen Kindern findet sich ein vorverlagerter Würgereiz. Der Würgereiz ist normalerweise ein Abwehrreflex, der verhindert, dass Nahrung oder Flüssigkeiten in die unteren Atemwege eindringen. Manche Kinder würgen allerdings allein schon, wenn etwas die Wangen oder den vorderen Gaumen berührt. Das nennt man einen „vorverlagerten Würgereiz“. Dieses Problem kann sich zurückbilden, wenn die Zunge lernt, ihren Raum einzunehmen und den Nasen-Rachenraum richtig abzudichten.

Wer ist der richtige Ansprechpartner?

Es braucht immer ein interdisziplinäres Konzept. Hebammen, Stillberater und Kinderärzte sollten ein zu kurzes Bändchen möglichst früh diagnostizieren. Je früher sie intervenieren, umso weniger Probleme folgen.

Logopäden und Muskelfunktionstherapeuten sind dafür zuständig, Sprach- und Schluckdysfunktionen zu diagnostizieren, Dysfunktionen zu behandeln, Angewohnheiten abzugewöhnen und hypotone Muskeln zu trainieren. Sie begleiten die chirurgische Intervention davor und danach.

Wird die Therapie nicht eingehalten, kann das nicht nur einen Misserfolg zur Folge haben, sondern die Probleme noch verschlimmern. An die Stelle des Tongue-Tie tritt dann Narbengewebe, das die Zunge wiederum noch fester im Mundboden „anbindet“.

HNO-Ärzte werden benötigt, um Begleitsymptomatiken, wie vergrößerte Gaumen- und Rachenmandeln, zu beseitigen. Sie sind häufige Folgen der offenen Mundatmung. Damit wird der Weg für die Nasenatmung wiederhergestellt. Hier sollte darauf hingewiesen sein, dass Kinder nicht zwangsläufig von selbst anfangen, durch die Nase zu atmen, wenn sie es anders gewohnt waren – auch das muss geübt werden.

ZahnärzteMund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Kieferorthopäden sind für die Diagnostik bei Kindern im Rahmen der zahnärztlichen Vorsorge ab Geburt, die chirurgische Intervention und die Wiederherstellung der Funktion zuständig.

Kleines Band – große Wirkung: Da lohnt es sich doch, öfters mal genauer hinzusehen.

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