Nach meinen Erfahrungen ist es heilsam, zwischen Wünschen und Bedürfnissen zu unterscheiden, denn sie werden häufig verwechselt oder ohne Unterscheidung gebraucht. Das ist nicht nur eine sprachliche Ungenauigkeit, sondern kann auch emotionale Belastungen mit sich bringen. Das möchte ich im Folgenden erläutern:
Bedürfnisse entsprechen einem Bedarf, das heißt: Wir brauchen sie tatsächlich, um unsere Funktionsfähigkeit auf körperlicher, seelischer oder sozialer Ebene beizubehalten. Im Extremfall sterben wir, wenn Bedürfnisse nicht erfüllt werden, z.B. drei Minuten ohne Atem, drei Stunden ohne Wärme, drei Tage ohne Wasser, drei Wochen ohne Nahrung. Oder wir werden krank, wenn seelische und soziale Bedürfnisse unerfüllt bleiben:
Ohne Geborgenheit, Liebe, Zufriedenheit oder Anerkennung können wir uns nicht entwickeln oder unser Immunsystem kann sein geistiges Leistungsvermögen nicht entfalten. Die Folge wäre eine Art lebender Tod, den Manche dem echten Tod vorziehen.
Das Gefühl, das durch die Erfüllung von Bedürfnissen entsteht, nennen wir „Befriedigung“. Darin steckt das Wort Frieden. Damit ist hier kein politisches Arrangement gemeint, bei dem die Waffen schweigen, sondern ein tiefes persönliches Gefühl, das man sich nicht einreden oder vorstellen kann. Wenn wir unzufrieden sind, können wir uns schlecht vorstellen, wir wären zufrieden. Wir müssen es fühlen, nur dann geht es uns wirklich gut.
Wünsche sind etwas anderes. Während sich Bedürfnisse unser Leben lang kaum ändern und sich auch nicht vermehren, treten Wünsche immer wieder neu auf.
Wünsche von Kindern sind anders als von Erwachsenen - obwohl die Dynamik der Bedürfnisse konstant geblieben ist. Wünsche entspringen unserem Vorstellungsvermögen, einer mentalen Fähigkeit. „Wäre es nicht schön, wenn …“, sie stellen im Grunde eine Herausforderung an unser emotionales Gleichgewicht dar.
Der Wunsch ist sozusagen ein imaginiertes Bedürfnis und so bringt auch seine Erfüllung - wenn sie denn gelingt - nur eine imaginierte Befriedigung, die wir uns vorstellen müssen, ohne sie wirklich fühlen zu können. Die Folge ist eine gewisse innere Leere, die wir schnell wieder mit neuen Wünschen auffüllen.
Es gibt keine ‘falschen’ Bedürfnisse, aber es gibt wohl falsche Wünsche. Unsere Volksmärchen sind voll davon. In den Geschichten mit den drei Wünschen geschieht fast immer das Gleiche: Der erste Wunsch wird vertan, weil die Situation nicht verstanden wurde. Der zweite Wunsch ist destruktiv vor Ärger über die Dummheit des ersten Wunsches. Und der dritte Wunsch wird verbraucht, um den Schaden durch den zweiten Wunsch wieder einigermaßen zu kompensieren. Hinterher ist alles wie vorher, man ist nur klüger geworden.
Falsche Wünsche erkennt man z.B. an den folgenden Merkmalen:
1. Sie enthalten einen Verstoß gegen Naturgesetze (z.B. „ich möchte noch einmal jung sein…“)
2. Ihre Erfüllung würde andere etwas kosten (z.B. Geld, das man nicht wirklich teilen kann, ohne dass es weniger wird. Oder auch: „Mein Partner könnte ruhig etwas verständnisvoller/ zärtlicher/einfühlsamer sein, das ist doch nicht zu viel verlangt…“).
Mit etwas Nachdenken wird schnell klar, dass solche „falschen“ Wünsche nicht in Erfüllung gehen können bzw. einen Pferdefuß haben. Wenn gegen Regel 1 verstoßen wird, kann der Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Bei Verstößen gegen Regel 2 wird unser „Konto“ belastet und wir bekommen irgendwann eine Rechnung präsentiert, die wir nicht erwartet haben. Aber der Fehler lag beide Male bei uns!
1. Ihre Erfüllung soll möglich sein und
2. sie hängen von uns selbst ab.
Das ist leider nicht ganz das, was wir als Kinder in der Vorweihnachtszeit erlebt haben. Das Kind in uns glaubt heute noch, dass es nur lange und fest genug an etwas glauben muss, damit es erfüllt wird. Wenn dies nicht geschieht, ist das Kind traurig. Da aber das Bedürfnis nach Zufriedenheit ein echtes, primäres Bedürfnis ist, geraten wir so in einen emotionalen Mangelzustand. Die Lösung dafür könnte durch eine weitere Reifung der Persönlichkeit erfolgen, die vielleicht noch nicht gleichmäßig entwickelt ist.
Da unser Bildungssystem nicht vorrangig die optimale Entwicklung der Persönlichkeit zum Ziel hat, fällt dies eher in das Tätigkeitsfeld des Therapeuten, der aufgesucht wird, weil das emotionale Gleichgewicht einer Bearbeitung bedarf.
In der Kognitiven Verhaltenstherapie werden die häufig unbewussten Wünsche, Erwartungen, Erfahrungen, Einstellungen und Denkschemata auf einer bewussten Ebene bearbeitet und gegebenenfalls einer Korrektur zugeführt, sodass den negativen Emotionen allmählich die Nahrung entzogen wird und eine natürliche Stabilisierung des seelischen Gleichgewichts geschehen kann.
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