Der Begriff „Trauma“ lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Es gibt u.a. schulmedizinische, klinische, traumatherapiezentrierte, neurobiologische und persönliche Aspekte. Dieser Text basiert auf meiner individuellen therapeutischen Perspektive und zeigt, wie Homöopathie helfen kann.
Ich benutze den Begriff „Trauma“ in meiner Arbeit als Heilpraktikerin und ANK-Therapeutin (Angewandte Neurobiologie n. Dr. Klinghardt) für jede körperliche oder seelische Verletzung, die Auswirkungen auf das künftige Verhalten und auf die körperliche und seelische Gesundheit des Betroffenen hat. Obwohl die Grenzen fließend sind, unterscheide ich in der individuellen Therapie zwischen ungelösten seelischen Konflikten und Traumafolgestörungen.
Ungelöste seelische Konflikte lassen sich manchmal auch mit der Mentalfeldtherapie wegklopfen oder vertagen. Eine Traumatisierung dagegen wirkt wie eine Blockade für das gesamte System und hat Priorität im Therapieverlauf, wenn die Seele des Patienten dafür bereit ist. Bei der Beurteilung und Prognose von Traumafolgestörungen ist die Art der Traumatisierung und das individuelle Terrain des Patienten besonders relevant.
Wir Menschen sind erstaunlich robust und verarbeiten eine einmalige Naturkatastrophe oft auch ohne therapeutische Hilfe. Leider sieht die Statistik bei sexueller oder ritueller Gewalt, bei Misshandlungen im Kindesalter, Folter oder komplexen Traumatisierungen anders aus. Fast 50 % aller Betroffenen entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung, die auch immer gesundheitliche Probleme und genetische Störungen nach sich zieht. Bei komplexen Traumatisierungen kann eine stationäre Traumatherapie notwendig sein.
Homöopathische Arzneien für Traumafolgen - jenseits von Aconitum & Co - sind individuelle Verschreibungen, die homöopathisches Wissen und Achtsamkeit erfordern. Das heilende Prinzip der Homöopathie ist immer die Ähnlichkeit. Nur therapeutische Behandlungen, die „ähnlich“ zur wahren Ursache der Erkrankung und ihren Symptomen sind, regen zur Selbstheilung an.
Einem kleinen Patienten, der unter Zittern und Furcht durch Gewalterfahrung leidet, der sich am liebsten unter dem Tisch versteckt und das dringende Verlangen hat sich anzuklammern, wenn er schreiend aus dem Schlaf erwacht, geben wir in der Homöopathie das Mittel Stramonium, auch Stechapfel oder Nachtschattengewächs.
Stramonium erzeugt bei Gesunden viele dieser Symptome und spiegelt dem Patienten seine individuelle Erkrankung. Der schockgefrostete Traumaanteil wird über das homöopathische Mittel mit sich selbst konfrontiert, kann die abgespaltenen Gefühle integrieren und in eine heilende Bewegung kommen.
Es gibt homöopathische Kurse, die nicht nur die „Urkonflikte der Seele“ in den therapeutischen Fokus rücken, sondern auch die Begleitung mit Homöopathie möglich machen. Homöopathie wirkt stabilisierend und bietet traumatisierten Patienten neben der Mentalfeldtherapie eine Unterstützung im Alltag, denn der ist oft trotz Vermeidungsstrategien häufig von Triggermomenten, Flashbacks, Anspannung und Furcht dominiert.
Traumatische Erlebnisse werden oft in die nächste Generation übertragen, wenn sie ein individuelles Maß an Integrierbarkeit übersteigen. Man nimmt heute an, dass ca. 60 % der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg an einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten. In der ANK-Arbeit wird mir täglich immer wieder bewusst, wie kollektiv die Folgen des Krieges an uns weitergegeben wurden.
Der Symptomenkomplex einer Traumatisierung wird in den folgenden Generationen über einschränkende Glaubenssätze, Vermeidungsstrategien, Ängste und über körperliche Symptome ausgedrückt - oft ohne einen erkennbaren Auslöser im eigenen Leben. Erst in der Therapie wird sichtbar, wie sich Kinder oder Enkel mit den Traumaanteilen der Eltern oder Großeltern identifizieren. In kindlicher Anmaßung tragen sie die schwere Last und den verdrängten Kummer ihrer Eltern oder Großeltern: „Ich trage es gern, als wäre es meins.“ Das ist eine - auch bei Therapeuten - weit verbreitete, unbewusste Haltung, die eine heilende Ordnung im Familiensystem behindert.
Es scheint, als bereite ein Transgenerationentrauma den Boden für Traumatisierungen im eigenen Leben. Vielleicht reinszeniert aber auch „die Familienseele“ das Ursprungstrauma solange, bis es eine nachfolgende Generation bearbeiten und erlösen kann?
Heilung kann sich auch hier mit homöopathischen Mitteln erzielen lassen. Dabei richtet man den Fokus bei der homöopathischen Mittelfindung auf die Symptome und Strategien des Familiensystems, als sei es ein Organismus. In der Fallaufnahme oder systemischen Arbeit muss also ein Symptomkomplex entdeckt werden, der das Ursprungstrauma ausdrückt. Mit den Hauptsymptomen verschiedener Familienmitglieder kann dann ein homöopathisches Heilmittel für das Familiensystem gefunden werden.
Einige homöopathischen Mittel haben dieses Potential. Deshalb möchte ich hier den homöopathischen Evergreen Calcium carbonicum – Kalk aus der Austernschale – in Bezug auf das Transgenerationentrauma „Vertreibung/Flucht“ hin beleuchten. Das Schicksal von Vertriebenen, Zwangsumgesiedelten oder Flüchtlingen zeigt sich als ein häufiges Thema, meist über den Magen mit dem Gefühl von „Heimatlosigkeit“.
Die Relevanz von Flucht und Vertreibung in der deutschen Geschichte wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass ca. 12 Millionen Menschen nach dem Krieg in Westdeutschland eine neue Heimat finden mussten. Etwa 2,1 Millionen Deutsche überlebten die Flucht nicht oder galten als vermisst. Den Flüchtlingen hatten sich grauenvolle Bilder und Erlebnisse auf der Reise in den Westen eingebrannt. Oft mussten sie in der Heimat ihr gesamtes Hab und Gut, Freunde und Familienmitglieder in großer Unsicherheit zurücklassen.
Diejenigen, die es in den Westen geschafft haben, wurden von der kriegsgeschädigten Bevölkerung keineswegs mit offenen Armen empfangen. Die Flüchtlinge, die ihres gesellschaftlichen Status und ihrer kulturellen Identität beraubt waren, galten als Menschen zweiter Klasse, mit denen man den kargen Futtertopf teilen musste. Flüchtlinge wissen auch heute nicht, was sie am Ende ihrer Reise erwartet. Noch im Jahr 2002 gaben 29 % aller Deutschen an, selbst Vertriebene zu sein oder einen familiären Bezug zu Vertriebenen zu haben. Diese tiefgreifende Unsicherheit durch den Verlust der „heimischen Scholle“ spiegelt sich im Arzneimittelbild von Calcium carbonicum wieder.
Für Calcium – damit bezeichnet man einen Menschen, der Calcium als ähnliches, heilendes Mittel braucht – kommt jede Veränderung zum falschen Zeitpunkt. Die Angst vor allem Neuen zeigt sich z.B. beim Eintritt in den Kindergarten, beim Schulwechsel oder bei einem Umzug. Ängste werden durch den Verlust des Partners oder des Arbeitsplatzes ausgelöst. Sogar schlechte Nachrichten oder verstörende Bilder können einen Calcium-Menschen in einen Schockzustand versetzen. Seine Ängste beziehen sich auf alles, wofür es bei ihm keinen Erfahrungshorizont gibt.
Diese Ängste können sich beispielsweise auf folgende Punkte beziehen:
Die Auster ist ein Wesen, das als kleine Larve in die Meereswelt entlassen wird. Wenn sie diese schutzlose Zeit überlebt, dann sucht sie sich einen Felsen und bleibt für den Rest ihres Lebens dort kleben. Ihre harte Muschelschale schützt das weiche Innere vor Fressfeinden. Andererseits sind die Austern ganz auf ihren Standort angewiesen und auf das, was von außen auf sie zukommt. Wie die Auster sich passiv dem Rhythmus des Mondes anpasst und dabei den Meereswogen trotzt, so müssen die Calcium-Menschen ihrem ganz eigenen Rhythmus folgen, sonst werden sie unglücklich und ungemütlich. Dabei sind sie passiv, bodenständig und standorttreu wie die Auster.
Calcium wird im gängigen homöopathischen Unterricht oft etwas banal als Mittel für kleine Buddhas mit kaltem, saurem Schweiß und Entwicklungsverzögerung dargestellt. Dieses cartoonistische Bild verstellt den Blick für das wahre Potential der Arznei. So wie Calcium mengenmäßig das wichtigste Mineral in Knochen und Zähnen ist, so kann die homöopathische Arznei tiefgreifend stabilisieren.
Calcium-Kinder sind eigensinnige Spätentwickler in jeder Hinsicht. Im Vergleich mit anderen Bewohnern dieser schnellen Kosmopolitenwelt entwickelt sich bei ihnen schon früh eine grundlegende Unsicherheit: „Werde ich liebevoll angenommen? Was denken die anderen von mir?“
Die erwachsenen Calcium-Menschen hängen sehr von der Außenwelt und ihrer Bewertung ab. Sie sind deshalb eher angepasst, leiden unter ihrer Schüchternheit und sprechen lieber nicht so viel. Äußerlich eher still, drehen sich im Innern die vielen Ängste im Gedankenkarussel. Schlagfertig sind sie meist erst Stunden später. Ihre weichen, feuchtkalten Hände reichen sie uns arglos und voller Hilfsbereitschaft. „Gut Ding will Weile haben“.
Calcium-Menschen tut es gut, ihrem eigenen inneren Rhythmus zu folgen, dann sind sie durch nichts zu irritieren oder aufzuhalten. So wie Perlen ihre Zeit brauchen, um sich zu etwas Kostbarem im Innern der Auster zu formen, so ist das Potential der Calcium-Menschen ihre Ausdauer und verlässliche Beständigkeit. Die Arznei Calcium carbonicum hilft, den eigenen Wert zu würdigen, unabhängig von der Bewertung anderer.
Homöopathische Mittel sollten nur von homöopathisch arbeitenden Heilpraktikern oder Ärzten individuell verschrieben werdem und dienen nicht zur Selbstmedikation bei psychischen Problemen.
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