Momentan wird heftig diskutiert, ob Trauer eine Krankheit ist. Wie zeigt sie sich, welchen Sinn hat sie und wann wird sie pathologisch?
Alle Menschen werden in ihrem Leben mit mehr oder weniger schmerzlichen Verlusten konfrontiert. Das Verlusterleben steigert sich langsam beim Verlust von
Der Tod eines geliebten Menschen nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Grund dafür ist unter anderem die Endgültigkeit dieser Erfahrung: Den geliebten Menschen werden wir in dieser Weise nie wiedersehen! Dabei äußert sich Trauer ganz unterschiedlich.
Die natürliche Reaktion unserer Seele auf einen solchen Verlust ist Trauer. Wie sich die Trauer zeigt, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Dabei wird der Verlauf der Trauer von verschiedensten Faktoren beeinflusst. Das sind u.a.
Trauer kann sowohl psychische als auch körperliche Auswirkungen haben. Zeitgleich oder im Wechsel können verschiedene Symptome auftreten, wie zum Beispiel:
Um nur einige der Beschwerden zu nennen, mit denen sich trauernde Menschen konfrontiert sehen. Darüber hinaus erleben Trauernde oftmals Momente, in denen sie den geliebten Menschen auf verschiedenste Weise wahrzunehmen meinen und sich ängstlich fragen, ob sie denn nun „verrückt“ werden. Wie man sieht, betrifft Trauer den gesamten Organismus. Nichts ist mehr so, wie es war.
Auch wenn das erschreckend klingt, sind diese Phänomene „ganz normale“ Trauerreaktionen. Trauer bedeutet für die Seele harte Arbeit, auch wenn das nach außen hin oft nicht sichtbar wird. Wen wundert es da, wenn man sich fühlt, als hätte man gerade „den Garten umgegraben“?
Innerpsychisch wird der Verlust als akute Bedrohung der eigenen Existenz erlebt und entsprechend mit massiven Stressreaktionen beantwortet. Evolutionsgeschichtlich angeborene, unwillkürliche Überlebensprogramme von Kampf, Flucht oder Erstarrung sind aktiviert und wechseln einander mitunter ab.
Ziel der Trauerarbeit ist es, sich neu im Leben zu orientieren, neue Sinnzusammenhänge zu erarbeiten und sich selbst neu zu finden.
Alte Modelle der Trauerarbeit empfehlen, dass man den geliebten Menschen „loslassen“ müsse. Man soll ihn quasi „vergessen“, damit man sich wieder dem Leben zuwenden könne. Dagegen geht moderne Trauerarbeit dem Ziel nach, die Beziehung zum Verstorbenen neu zu gestalten und den veränderten Bedingungen anzupassen. Es geht nicht darum, die Trauer „wegzumachen“, sondern ihr einen angemessenen Platz im Leben des Zurückgebliebenen einzuräumen, sodass sie nicht mehr allein lebensbestimmend ist.
Dabei durchlaufen Betroffene einen schmerzhaften Prozess der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Aspekten der Trauer und einem ständigen Wechselbad der Gefühle. Schließlich gelangen sie nach einem mehr oder weniger langen Zeitraum mehr und mehr zu einer Akzeptanz des Unvermeidlichen und damit zu einer Neuausrichtung ihres eigenen Lebens.
Wie das gelingen kann, wie dieser Prozess verläuft, was hilfreich ist und was nicht - all das ist sehr individuell und muss in zähem Ringen mitunter schmerzlich erprobt und durchlitten werden. Dabei wechseln sich erfahrungsgemäß Höhen und Tiefen ab. Auf Zeiten, in denen man schon meint „Jetzt habe ich es gepackt“, folgen wieder Momente tiefer Verzweiflung, bis man wieder „aus dem Loch krabbelt“ und sich erneut der Herausforderung stellt. Den eigenen Weg der Trauer zu entwickeln und zu beschreiten, erfordert Kraft, Mut und Zeit.
In den allermeisten Fällen gelingt es den Trauernden mit Unterstützung ihres sozialen Umfeldes, diesen Trauerprozess zu durchschreiten. Gute Begleitung bieten in dieser Phase auch die örtlichen Hospize, die meist Angebote für Trauernde haben oder zumindest vermitteln können.
Wenn die Trauer jedoch über einen längeren Zeitraum allein lebensbestimmend ist, kann therapeutische Unterstützung sinnvoll sein. Professionelle Trauertherapie kann in dieser Ausnahmesituation entlastend und unterstützend wirken.
Auch bei sogenannter „komplizierter Trauer“ ist eine therapeutische Unterstützung angeraten. Von „komplizierter Trauer“ spricht man, wenn durch die Umstände des Verlustes zum eigentlichen Trauerprozess weitere Belastungsfaktoren hinzukommen. Das kann beispielsweise der Fall sein bei:
Ohne Frage beeinträchtigt der Trauerprozess das „normale“ Funktionieren in unserer Leistungsgesellschaft. Die Prioritäten des Organismus sind einfach andere als die Ziele unseres Wirtschaftsystems.
Bald soll die neue Fassung des ICD-Katalogs (internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) der Weltgesundheitsorganisation WHO erscheinen. Darin wird angeregt, die „anhaltende Trauerstörung“, also die Trauer, die unverhältnismäßig lange dauert, als offizielle Krankheit aufzunehmen. Das wird aktuell unter Fachleuten kontrovers diskutiert.
Eine Aufnahme in den ICD-Katalog hätte zur Folge, dass die Kosten einer Behandlung von Menschen, die über längere Zeit unter ihren Trauersymptomen massiv leiden, durch die Krankenkassen übernommen werden könnte. Auf der anderen Seite würde damit eine natürliche Reaktion der Seele als Krankheit eingestuft.
Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, exakt abzugrenzen, wann eine Trauerreaktion noch als „gesund“ und ab wann sie als „krankhaft“ zu gelten hat. In der aktuellen Diskussion wird angeregt, die Trauer dann als „Trauerstörung“ zu bezeichnen, wenn der oder die Trauernde neben anderen Faktoren sechs Monate nach dem Verlust noch täglich eine starke Sehnsucht nach der verstorbenen Person empfindet.
Bei diesen Diagnosekriterien finden z.B. Auslösefaktoren der Trauer, Trauerbedingungen und kulturelle Unterschiede zu wenig Berücksichtigung. Studien haben zudem gezeigt, dass die Pathologisierung eines an sich gesunden Verhaltens zusätzliches Leiden erzeugt. Ich wage zu behaupten, dass es eher krankhaft wäre, wenn beispielsweise eine Witwe ihren Mann, mit dem sie über fünfzig Jahre glücklich verheiratet war, nach nur sechs Monaten nicht mehr täglich sehr vermissen würde.
Ist Trauer also eine Krankheit? Nein, ganz im Gegenteil. Trauer ist eine sehr gesunde Reaktion auf ein außergewöhnliches Lebensereignis. Ohne Frage kann es Menschen sehr belasten und manchmal auch überfordern. Aber von Natur aus haben wir das Potential, solche Krisen zu durchleben.
Ganz sicher ist Trauer ein „Störfaktor“ im Getriebe unseres vermeintlich so reibungslos und planbar verlaufenden Alltags. Und vielleicht ist das auch gut so?
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