Artikel 12/09/2011

Terror und Psyche

Team jameda
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Die Welt nach dem 11. September
Psychische Reaktionsweisen auf gewalttätige Tabuverletzung

In Roland Emmerichs Independence Day kamen die Aggressoren aus dem All, denn auch für Hollywood war eine solche von Menschen inszenierte Tat nicht vorstellbar. Im Film gelingt die Überwindung des Bösen, dessen Wiederkehr durch die vollständige Vernichtung ausgeschlossen ist. Die Katastrophe hat Opfer gefordert, aber die menschliche Gesellschaft moralisch gestärkt.

Ungeachtet der zweifelsfreien Identifikation waren und sind die Täter des 11. September Menschen, die vor ihren Taten unauffällig unter uns gelebt haben. Wiederholungen sind nicht auszuschließen und durch jüngste Verlautbarungen aus dem Täterumfeld durchaus vorstellbar (Milzbrandinfektionen). Jedes Unglück wird zunächst auf eine mögliche Kontamination durch den Terrorbazillus überprüft und damit wird die Bedrohung überhöht und allgegenwärtig. Die schwierigen Versuche die Taten zu vergelten und der `Hintermänner´ habhaft zu werden, um sie zu bestrafen, führt dazu, die Tat unvermindert im Gedächtnis zu bewahren.

Der Schock ist einer permanenten Beklemmung gewichen, die beim geringsten Anlaß zu akuten Angstzuständen anwachsen kann. Der Feind, so haben wir gehört, kann überall sein. Es ist von `Schläfern´ die Rede, die uns aus der Katastrophen- und Science Fiction Literatur wohlvertraut sind. Canetti nannte sie `Massenkristalle´, die auf Befehl aktiviert werden können.

Was? Wer? Wo? Werden wir nie mehr unbefangen in ein Hochhaus gehen oder ein Flugzeug besteigen können?
Wie reagieren die Menschen angesichts von Unfassbarem? Zunächst besteht die Gefahr in allem Fremden zuerst das Bedrohungspotential zu erkennen und deshalb auf Distanz zu gehen. Diese Eindimensionierung von Beurteilungen führt zu Verhärtung und Pauschalisierungen und befördert letztlich Entfremdung. Wo ist das Rettende, das nach Hölderlin stets der Gefahr folgt? Sind es die gemeinsamen Trauerfeiern, die Betonung, dass es keinen Kampf der Kulturen gibt, sondern einen gemeinsamen Kampf gegen den Terror?
Die menschliche Gemeinschaft, so heißt es, bewährt sich in der Angemessenheit der Reaktion. Diese Angemessenheit bedient nicht die Rachegelüste, sondern versucht die Vernunft zur Richtschnur des Handelns zu machen. Sie zielt auf Differenzierung und hilft dabei zugleich der persönlichen Verarbeitung. Der Feind muß ein Gesicht haben, um das Böse und Unvorstellbare zu bannen. Die FBI-Liste der meistgesuchten Verbrecher erfüllt diese Forderung und verspricht implizit, dass die Gefahr gebannt ist, wenn die Gesuchten gefasst oder getötet sind.

Die Auslagen der Buchläden sind voll von Texten, die Verständnis über den Islam annoncieren; in Sondersendungen sind die wenigen profilierten Journalisten und Wissenschaftler omnipräsent. Wir alle wollen wissen und verstehen. Es ist von der Rückkehr des Mittelalters die Rede, um das Wiederaufleben von Religionskriegen zu erklären, doch damit leisten wir lediglich einen Beitrag zu Verschiebung und praktizieren faktisch Verdrängung.

Wir wollen nicht an uns herankommenlassen, was uns doch ins Mark getroffen hat.Wir wollen nicht wahrnehmen, wie brüchig unsere zivilisatorischen Standards sind.
Fanden doch bislang die Auseinandersetzungen in Gegenden statt, die weit von der industrialisierten Welt entfernt waren. Der Terrorismus hat die Bedrohung jedoch direkt in unsere Städte gebracht und er zwingt uns zur Auseinandersetzung. Die zugrundeliegende Pervertierung des Denkens und der Religion ist evident und bedarf keiner tieferen Analyse oder verdient gar Verständnis. Doch sehen wir, dank CNN, täglich die Menschenmassen, die, wie auch immer motiviert, ganz offensichtlich Sympathien mit den Akteuren des Terrors hegen und die ihr eigenes Elend dem Bösen zuschreiben, dessen Heimstatt in diesem Fall stellvertretend die USA sind.

Verkehrte Welt? Was geht in Ihnen vor? Sind sie der Aufklärung nicht zugänglich, da starre Glaubensangebote wie Denkverbote wirken?
Wir werden nicht umhin kommen, uns mit den Ursachen zu beschäftigen. Den Globalen, auf die wir bekanntlich wenig Einfluß haben und denen, die uns in unserem Alltag begegnen; ob in China-Town, in Town Chip oder in Kreuzberg.

Religiöse Abschließung ist ja auch ein verbindendes Element in der Diaspora: es macht die Fremde leichter aushaltbar. Fatal ist es, wenn dadurch Assimilation und letztlich Integration verhindert wird. Wenn wir nicht dauerhaft Opfer des 11. September bleiben wollen, so sollten wir das Fremde um uns zu ergründen versuchen, damit es uns nicht fremd bleibt.

Das verständliche Zusammenrücken, das wir z.Zt,. in den USA beobachten können birgt die Gefahr der Konzentration auf die einfachen Wahrheiten in sich, die, einhergehend mit einer populistischen `common sense´ Variante, die Schaffung oder Bestätigung der autoritären Persönlichkeit bewirkt. Seit den Studien von Adornos Institut für Sozialforschung wissen wir um die fatalen Auswirkungen. Besonnene Stimmen betonen denn auch die Notwendigkeit sich gerade jetzt der Minderheiten schützend und integrierend anzunehmen, um der Verhärtung der Fronten entgegenzuwirken.

Die Toten im World Trade Center werden wir nicht vergessen, aber wir sollten den verheerenden Folgen nicht noch die eigene psychosoziale Beschneidung hinzufügen. Die notwendige Sensibilisierung im Alltag, zunächst durch Angst und Verunsicherung befördert, kann nicht nur den Schock verarbeiten helfen, sondern auch `in nuce´ präventiv wirken.

Dieser Artikel wurde schon im Jahr 2001 veröffentlicht.

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