Artikel 24/09/2022

Fehlbesiedlung im Dünndarm: Die richtige Diagnose von SIBO

Anne Wanitschek Heilpraktiker
Anne Wanitschek
Heilpraktiker
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Wir sind nicht allein. In uns leben rund 100 Billionen Darmbakterien, die wichtige Aufgaben für uns erfüllen. Sie helfen uns u. a. bei der Verdauung und bei der Abwehr schädlicher Krankheitserreger. Sie bestimmen mit, was wir essen und wie wir uns fühlen. Wenn die nützlichen Darmbakterien sich in uns wohl fühlen, geht es auch uns gut.

Probleme treten auf, wenn die Zusammensetzung der Darmflora sich ändert. Wenn nützliche Darmkeime durch für uns ungünstige oder krank machende Bakterienarten oder Pilze vertrieben werden. Dann können körperliche und psychische Beschwerden auftreten, deren Ursache oft lange verborgen bleibt. Denn obwohl der Darm mit seinen Bewohnern unsere Gesundheit entscheidend mitbestimmt, wird er bei der Diagnose von Krankheiten und Beschwerden oft vernachlässigt.

In den letzten Jahren änderte sich dies: Die Rolle der Darmflora bei verschiedenen Erkrankungen findet mehr Beachtung. Meist findet hier eine Stuhluntersuchung Anwendung, die einen Überblick über den Bakterienstatus des Dickdarms gibt. Wie es im Dünndarm aussieht, darüber kann eine Stuhluntersuchung leider keine Aussagen liefern. Das ist schade, denn die Erkenntnisse aus der Praxis und die Forschung der letzten Jahre zeigen: Auch die Bakterienflora des Dünndarms verdient Beachtung. Besonders wenn sich die falschen Bakterien in diesem drei bis fünf Meter langen Darmabschnitt breitmachen. Eine Fehlbesiedlung des Dünndarms kann Krankheitswert haben, sie wird medizinisch meist SIBO genannt (kurz für: small intestinal bacterial overgrowth).1

Auch wenn SIBO noch nicht sehr bekannt ist, scheint es viele Menschen zu betreffen. Erste Untersuchungen lassen vermuten, dass bis zu 20 Prozent der Bevölkerung davon betroffen sein könnten. Besonders häufig findet sich SIBO bei Menschen mit Erkrankungen des Darms wie Reizdarm oder Zöliakie: Hiervon könnte mehr als jeder Zweite betroffen sein.2 3

Fehlbesiedlung in Dünndarm: Was passiert bei SIBO?

In Dünn- und Dickdarm herrschen unterschiedliche Milieus, die zu einer unterschiedlichen Bakterienbesiedlung führen. Im Dünndarm finden wir im Idealfall einen leicht sauren pH-Wert, für den sogenannte Laktobazillen verantwortlich sind. Sie bilden aus Kohlenhydraten Milchsäure. Diese Milchsäure bildet – zusammen mit der Schleimhautklappe vom Dünn- zum Dickdarm – eine wichtige Barriere gegen Bakterien des Dickdarms wie Bacteroides, Bifidobakterien oder Clostridien.

Dickdarmkeime haben im Dünndarm nichts zu suchen. Denn sie bilden mit ihren Stoffwechselprozessen Stoffe, die die empfindliche Dünndarmschleimhaut reizen könnten. Dies kann zur Schädigung der Schleimhaut und Störung ihrer Funktion, und auch zu heftigen Beschwerden führen.4

Genau das passiert bei SIBO: Bakterien des Dickdarms breiten sich im Dünndarm aus und sorgen dort für Beschwerden und Funktionseinbußen. Dies kann sich durch Müdigkeit und Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen, Veränderungen des Stuhlgangs oder Übelkeit bemerkbar machen. Eine starke Fehlbesiedlung kann auch die Verdauungsleistung beeinträchtigen, Betroffene können wichtige Nährstoffe wie Proteine, Fette, Kohlenhydrate oder Vitamine nicht mehr richtig aufnehmen (Malabsorption).

Für die SIBO-Diagnose wichtig: Ein ausführliches Anamnesegespräch

Bei der Diagnose von SIBO ist zunächst das Anamnesegespräch wichtig. Hierbei sollten neben den aktuellen Beschwerden auch eventuelle Risikofaktoren besprochen werden. Zu den Risikofaktoren zählen u. a. eine Langzeitbehandlung mit Protonenpumpenhemmern wie Omeprazol oder Pantoprazol, eine Antibiotika-Therapie, das Reizdarmsyndrom, die Fibromyalgie sowie Erkrankungen der Leber und des Darms.

Hinsichtlich der Beschwerden ist auf bestimmte charakteristische Eigenheiten zu achten. Typischerweise berichten Betroffene von einer Beschwerdefreiheit im nüchternen Zustand und einem Beginn der Beschwerden eine bis zwei Stunden nach der ersten Mahlzeit des Tages. Die Beschwerden nehmen dann im weiteren Tagesverlauf meist zu. Besonders ungünstig wirken sich meist Mahlzeiten mit vielen Kohlenhydraten aus, zum Beispiel Pizza oder Pasta.5

Zeigen sich im Anamnesegespräch Auffälligkeiten, die den Verdacht auf SIBO lenken, sollte eine mögliche Fehlbesiedlung des Dünndarms im Labor nachgewiesen werden. Hierfür eignen sich spezielle Atemtests.

Atemtests: Die gängige Diagnosemöglichkeit bei SIBO

Die Zusammensetzung der Dickdarmflora lässt sich gut mit einer Stuhldiagnose untersuchen. Die Flora des Dünndarms lässt sich indirekt nachweisen, über sogenannte Atemtests. Bei diesen wird die Ausatemluft auf charakteristische Gase wie Wasserstoff und Methan untersucht. Das Vorkommen von Wasserstoff und Methan in der Atemluft ist typisch für SIBO, denn diese beiden Gase entwickeln sich im Dünndarm, wenn dort eingewanderte Dickdarmbakterien Kohlenhydrate fermentieren.

  • Beim Atemtest wird die Atemluft in regelmäßigen Abständen nach der Gabe von Kohlenhydraten wie Laktulose, Glukose oder D-Xylose gemessen.6 Der Test kann nach Einweisung durch darauf spezialisierte Heilpraktiker:innen oder Ärzt:innen zuhause durchgeführt werden. Ausgewertet wird er im Labor.

Es ist jedoch nicht nur entscheidend, ob und in welcher Konzentration Gase wie Wasserstoff oder Methan messbar sind. Es ist auch auf den Zeitpunkt zu achten, wann diese nachgewiesen werden. Ebenfalls wichtig sind eventuelle Beschwerden, die im Rahmen des Tests auftreten.

Wichtig: Die Diagnose SIBO kann erst gestellt werden, wenn der Atemtest auffällig ist und andere Erkrankungen ausgeschlossen werden können. Bisweilen sind hier weitere gastroenterologische Untersuchungen (Ausschluss von Gastritis, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen), eine Stuhldiagnose und ein Blutbild notwendig.

Stuhldiagnose und Blutbild als mögliche Ergänzung

Bei schweren Fällen können sich die negativen Auswirkungen von SIBO auch im Blut widerspiegeln: Durch die erschwerte Aufnahme von Nährstoffen sind erniedrigte Blutspiegel von B-Vitaminen, der Vitamin A, D und E und der Nachweis eines Blutmangels (Anämie) möglich.7

Als weitere Ergänzung kann ein Stuhltest gemacht werden. Hierbei wird u. a. auf Infektionen, Entzündung der Darmschleimhaut (z. B. durch Nachweis von Calprotectin) und die Enzyme der Bauchspeicheldrüse geachtet. Calprotectin ist ein von unseren Abwehrzellen gebildetes Protein, das auch bei Menschen mit SIBO nachgewiesen werden kann.8

Fazit

Für unsere Gesundheit sorgen wir nicht allein. An die 100 Billionen Darmbakterien bestimmen mit, wie es uns geht. Während der Zusammenhang zwischen Krankheiten und Dickdarmflora immer mehr Berücksichtigung findet, wird die Flora des Dünndarms weiterhin meist vernachlässigt. Dafür besteht kein Grund, denn eine Fehlbesiedlung des Dünndarms kann zu ernsthaften Beschwerden und Beeinträchtigungen führen. Der Nachweis von SIBO ist mit keinem großen Aufwand oder hohen Kosten verbunden.

Wichtig für die Diagnose von SIBO ist ein ausführliches Anamnesegespräch mit erfahrenen Ärzt:innen oder spezialisierten Heilpraktiker:innen und die Durchführung eines Atemtests. Ergänzend können eine Stuhldiagnose und ein Bluttest von Bedeutung sein.

Quellenangabe

1 Takakura W, Pimentel M. Small Intestinal Bacterial Overgrowth and Irritable Bowel Syndrome - An Update. Front Psychiatry. 2020 Jul 10;11:664
2 Dukowicz AC, Lacy BE, Levine GM. Small Intestinal Bacterial Overgrowth: A Comprehensive Review. Gastroenterology & Hepatology. 2007;3(2):112–22.
3 Grace E, Shaw C, Whelan K, Andreyev HJ. Review article: small intestinal bacterial overgrowth – prevalence, clinical features, current and developing diagnostic tests and treatment. Aliment Phramacol Ther. 2013;38:674–88.
4 Jones RM, Neish AS. Recognition of bacterial pathogens and mucosal immunity. Cell Microbiol. 2011;13:670.
5 Rao SSC, Bhagatwala J. Small Intestinal Bacterial Overgrowth: Clinical Features and Therapeutic Management. Clin Transl Gastroenterol. 2019 Oct;10(10)
6 Perman JA, et al. Fasting breath hydrogen concentration: normal values and clinical application. Gastroenterology. 1984;87(6):1358–63.
7 Fried M, Siegrist H, Frei R, et al. Duodenal bacterial overgrowth during treatment in outpatients with omeprazole. Gut. 1994;35:23.
8 Ansuini V, Giorgio V, Filoni S, Barbaro F, Gasbarrini A, Rossi C. Fecal calprotectin concentration in children affected by SIBO. Eur Rev Med Pharmacol Sci. 2011 Nov;15(11):1328–35.

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