ROCD (Relationship obsessive compulsive disorder) ist im englischen Sprachraum eine weit bekannte und in der Wissenschaft vielfach untersuchte Form der Zwangsstörung.
Im deutschen Sprachraum ist das Störungsbild eher wenig bekannt und viele Betroffene erkennen nicht, dass es sich hier nicht um tatsächliche Probleme in der Partnerschaft handelt, sondern um rational nicht begründete Ängste und Vorstellungen, die sie daran hindern, Liebe und Zuneigung zum eigenen Partner zu empfinden bzw. auszudrücken.
Oft führen solche Gedanken zum Abbruch einer Beziehung- und das, obwohl beide Partner eigentlich sehr gut zueinander passen und alle äußeren Umstände für eine schöne und gemeinsame Zukunft sprechen.
Deswegen empfiehlt sich für Betroffene unbedingt eine sexualtherapeutische / psychotherapeutische Beratung oder Therapie.
Von ROCD betroffene Personen geraten häufig in ein Grübelkarussell über Fragen, wie bspw.:
Typisch für Zwangsgedanken ist, dass sie sich oft auf Fragen der Zukunft beziehen, die im Hier und Jetzt niemals endgültig entschieden werden können. Nach dem Motto: Die Gegenwart ist eigentlich ganz ok - es könnte aber sein, dass das in Zukunft ganz anders kommt?
Wenn sich die Zwangsgedanken auf solche Zukunftsprobleme konzentrieren, gibt es keine Möglichkeit zu einer eindeutigen Widerlegung: es kann ja in der Zukunft immer anders kommen, als es jetzt der Fall ist. Mir gefällt mein/e Partner/in hier und heute: aber wer garantiert mir, dass ich ihn oder sie morgen noch lieben werde?
Das heißt, es lässt sich über derartige Fragen letztlich unbegrenzt nachdenken, ohne dass ich eine abschließende Lösung finden kann. Wenn ich mich auf solche im Hier und Jetzt unlösbaren Fragen konzentriere, habe ich schon einmal die erste wesentliche Zutat für Zwangsgedanken.
Dazu muss aber noch eine zweite Voraussetzung kommen, nämlich die Überzeugung, dass sich das Grübeln lohnt. Denn auch psychisch gesunde Menschen werden immer wieder mit solchen Fragen konfrontiert, können sich dann aber davon abgrenzen.
Wenn ich an einer Zwangsstörung leide, dann bin ich tief davon überzeugt, dass mir mein Grübeln nützt. Ich glaube dann: Wenn ich nur lange genug über meine Probleme nachdenke, dann muss es doch irgendwo auf diese Fragen eine eindeutige Antwort geben. Und weil es diese eindeutige Antwort im Hier und Jetzt nicht geben kann, lande ich in der Endlos-Grübelschleife.
Inhaltlich bleibe ich bei Zwangsgedanken genau da hängen, wo mir meine Gedanken am meisten Angst machen. Das ist der Grund, warum viele Menschen mit einer Zwangsstörung phasenweise immer neue „Fässer“ mit negativen Gedanken aufmachen, so z.B., ich könnte plötzlich homosexuell geworden sein und deswegen meinen Partner oder meine Partnerin nicht mehr lieben.
Entsprechend gibt es auch homosexuell bzw. lesbisch veranlagte Menschen, die plötzlich vom Zwangsgedanken erfasst werden, sie könnten eigentlich heterosexuell sein und müssten deswegen ihre PartnerInnen verlassen.
Noch schlimmer ist für Betroffene der Zwangsgedanke, man könnte pädophil geworden sein und pädophile Straftaten begehen. Hier spricht man diagnostisch von einem sog. Versündigungswahn.
Zwangsgedanken in Bezug auf die Beziehung können auch zu einem zwanghaften Verhalten führen, das sich entweder im Drang äußert, bestimmte Dinge zu tun - oder auch in einem Vermeidungsverhalten, das mich aus Angst dazu bringt, bestimmte Dinge nicht mehr zu tun.
Zu den aktiven ROCD-Zwangshandlungen gehören beispielsweise:
Typisches Vermeidungsverhalten bei ROCD ist unter anderem:
Für Zwangsstörungen in Bezug auf die Beziehung gelten die gleichen Diagnosekriterien wie für alle anderen Zwangsstörungen auch:
Biologisch gesehen gibt es bei manchen Menschen eine stärkere Anfälligkeit für Zwangsstörungen als bei anderen. Hier spielt sicherlich eine genetische Komponente eine wichtige Rolle. Diese genetische Anfälligkeit muss aber keineswegs bedeuten, dass ich in meinem Leben tatsächlich an einer Zwangsstörung erkranke.
Eine wichtige Rolle spielt hier der Neurotransmitter Serotonin. Eine Unterversorgung führt offensichtlich zu verminderter Neuroflexibilität, also zu einer verminderten Fähigkeit, negative kognitive Netzwerke im eigenen Denken wieder zu verlassen.
Ursache kann eine (möglicherweise noch nicht entdeckte) depressive Episode sein oder auch eine Schädigung infolge des Gebrauchs psychotroper Substanzen (Alkohol, Drogen, Aufputschmittel etc.). In vielen Fällen ist bei Zwangsgedanken zunächst eine ärztliche Untersuchung notwendig, um die diversen körperlichen Ursachen auszuschließen.
Auch ein charakterlicher bzw. in der Kindheit erlernter Hang zum Perfektionismus begünstigt Zwangsgedanken, z.B., wenn ich unbedingt sicher sein will, in meiner Partnerschaft das 100prozentige - Lebensglück gefunden zu haben und jede kleinste Trübung im gemeinsamen Verhältnis als Katastrophe empfinde.
Diese Sehnsucht nach der 100 Prozent-Harmonie kann ihre Wurzeln darin haben, dass ein Mensch in seiner Kindheit nie das Gefühl wirklichen Angenommenseins und wirklicher Wärme erlebt hat. In solchen Fällen können traumatherapeutische Ansätze hilfreich sein.
Aus paartherapeutischer Sicht zeichnet sich übrigens eine gute Partnerschaft nicht durch 100 prozentige Harmonie aus, sondern dadurch, dass beide Partner immer wieder ihre Gemeinsamkeiten finden und erneuern- und das trotz und in aller Unterschiedlichkeit. In einer guten Paarbeziehung können die Partner auch gut und produktiv miteinander streiten!
Zunächst einmal ist es wichtig, die Zwangsstörung als solche zu erkennen. Dazu gehört eine gründliche Diagnostik, wie sie zu Beginn einer Psychotherapie (Sexualtherapie) steht. Wenn körperliche Ursachen vorliegen (und dazu gehört auch eine Störung des Neurotransmitterhaushalts), kann ggf. die Medikation mit einem SSRI (Antidepressivum) sehr hilfreich sein. Ebenso können so einfache Mittel wie Alkoholverzicht oder mehr Bewegung den Drang zu Zwangsgedanken deutlich vermindern.
In einer Psychotherapie sollte es darum gehen, die Entstehungsmechanismen der Zwangsgedanken aufzudecken und Techniken zu lernen, diesen Gedanken zu widerstehen.
Dazu gehört die Arbeit an dysfunktionalen Glaubenssätzen wie z.B.;
Eine klassische Technik, den (unnützen) Gedanken nicht mehr so viel Raum zu geben, ist z.B. Achtsamkeitstraining: Statt ständig zu beobachten: Was denke ich? lerne ich, mich stärker mit meinen Sinnesorganen zu beschäftigen, also z.B. darauf zu achten, was genau ich gerade sehe, höre oder über meine Haut spüre.
Auch traumatherapeutische Techniken können dazu beitragen, die Entstehung der eigenen Zwangsgedanken als eine dysfunktionale Bewältigungsstrategie für innere Spannungszustände zu begreifen: Zwangsgedanken und Kontrollimpulse können sich kurzfristig durchaus gut und sinnvoll anfühlen, langfristig aber jede Form von Lebensqualität unmöglich machen.
Da erfahrungsgemäß Zwangsgedanken ebenso wie Depressionen die Tendenz haben, ohne psychotherapeutische Behandlung mit der Zeit immer schwerwiegender zu werden, ist es unbedingt sinnvoll, den eigenen Leidensdruck nicht einfach stoisch auszuhalten, sondern sich möglichst bald ärztliche bzw. psychotherapeutische Hilfe zu holen.
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