Als regelmäßiger Turnierarzt bei Reitveranstaltungen und Vater reitbegeisterter Töchter konnte ich hier seit vielen Jahren nicht nur als niedergelassener Orthopäde, sondern auch als direkt Beteiligter zahlreiche Erfahrungen sammeln.
Generell ist eine sportliche Betätigung, die sowohl die Ausdauer als auch das Kraftniveau unseres Muskelapparates steigert bzw. erhält sinnvoll. Doch je nach Sportart gibt es verschiedene ‘Regeln’ und Besonderheiten zu beachten.
Ein guter Reiter beherrscht nicht nur die Technik, sondern kennt auch den Charakter und die Verhaltensweisen seines Pferdes. Denn emotionale Reaktionen des Pferdes, aber auch seine Kraft und Schnelligkeit können den Reiter gefährden.
In Deutschland gibt es mehr als eine halbe Million Reitpferde. Nach Statistiken der Versicherungen treten pro Jahr zwischen 20.000 und 35.000 Reitunfälle auf. Interessant ist dabei, dass zwischen 35 und 60 % der Unfälle beim Umgang mit dem Pferd im Reitstall entstehen. Die allermeisten Stürze mit und ohne Pferd sind glücklicherweise ohne ernsthafte Folgen. Allerdings weist eine andere Statistik aus, dass von 1.000 Querschnittslähmungen 12 (1,2 %) durch einen Reitunfall bedingt sind, wobei die direkte Unfallursache dort nicht explizit aufgeführt ist.
Andererseits hat das Reiten durch die Sitzposition und durch die verschiedenen Bewegungen des Pferdes bei Schritt, Trab und Galopp, einen günstigen Einfluss auf die Reflex- und Spannungsregulation der Rückenmuskeln. Durch das reitspezifische Bewegungsmuster der Wirbelsäule wird zudem der Stoffwechsel der Bandscheiben gefördert.
Typische Reiterkrankheiten sind eine Bursitis (Schleimbeutelentzündung) ober- oder unterhalb der Kniescheibe oder der ‘Reiterknochen’ - eine entzündliche Knochenneubildung im Adduktorenbereich. Sehnenansatztendinosen (Reizustände der Sehnen) oder myofasziale Beschwerden sind meist durch Überlastung bedingt.
Bei knöchernen Sturzverletzungen ist am häufigsten der Radius (Speiche) betroffen. Die meisten Stürze mit ligamentärer oder ossärer Verletzungsfolge (Knochen- oder Bandapparat) treten im Freien unter anderem durch die hohen Beschleunigungskräfte beim Angaloppieren oder unerwartetem ‘Durchgehen’ des Pferdes auf. Langjährige intensive Reiter zeigen oft eine O-Bein-Stellung im Kniebereich sog. Genu varum mit erhöhtem Risiko einer verstärkten Knorpelabnutzung an der Knieinnenseite (Mediale Gonarthrose oder Chondropathie).
Beim Reitsport, speziell beim Aussitzen im Trab, wird die Wirbelsäule und damit auch die Bandscheiben mit dem Mehrfachen des Körpergewichtes belastet. Bei akuten Bandscheibenerkrankungen besonders bei einer Ischiassymptomatik und/oder neurologischen Ausfällen sollte ein je nach Befund und Diagnose ein vorübergehendes bis dauerhaftes Reitverbot erteilt werden. Auch bei schwerer Skoliose, fortgeschrittner Arthrose in den kleinen Wirbelgelenken (Spondylarthrose), deutlicher Arthrose in den Gelenke der unteren Extremitäten v.a. Hüft- und Kniegelenk oder fortgeschrittenem Wirbelgleiten (Spondylolisthese) , M. Scheuermann oder M. Bechterew und fortgeschrittener Osteoporose - der Reitsport wird in der überwiegenden Mehrheit von Frauen ausgeübt - sollte ein Reitverbot ausgesprochen werden.
Besonders wichtig sind meiner Meinung nach unfallvorbeugende Maßnahmen. So sollten alle Reitanfänger über die Eigenschaften des Pferdes und die möglicherweise auftretenden Reaktionen und Kräfte ausführlich informiert sein.
Besonders jugendliche Reiter sollten sich nicht überschätzen, zumal sie an der Hälfte aller Reitunfälle beteiligt sind. Je unerfahrener der Reiter, umso erfahrener und ausgeglichener, ruhiger sollte das Pferd sein.
Korrekte Sportkleidung mit gut sitzendem Reithelm und Rückenprotektor beim Springsport oder ‘Ausreiten’ ist unbedingt empfehlenswert. Das Ausreiten sollte möglichst nur in der Gruppe, denn das Pferd ist ein Flucht- und Herdentier, unternommen werden. Auch das möglichst regelmäßig gepflegte aus Ledermaterial bestehende Halfter und die Zügel sowie der Sattelgurt sollten auf Intaktheit vor Reitbeginn sorgfältig untersucht werden.
Bei Wiederaufnahme des Reitsports im mittleren Lebensalter z.B. nach „Elternzeit“ oder einer berufsbedingten Reitpause empfehle ich einen orthopädischen Checkup zum Ausschluss von Kontraindikationen gegenüber dem Reitsport.
Gute körperliche Fitness des Reiters und eine gute Ausbildung von Pferd und Reiter sollten selbstverständlich sein.
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