Zu den besonders unangenehmen Zwangsgedanken, an denen Menschen leiden können, gehören pädophile Zwangsgedanken. Das kann sich zum Beispiel darin äußern, dass ich die Angst habe, die Kinder meiner eigenen Schwester oder meines eigenen Bruders auf den Arm zu nehmen.
Es könnte ja sein, dass ich dabei eine sexuelle Erregung verspüre? Und das, obwohl ich bisher nie im Leben irgendwelches sexuelle Interesse an Kindern hatte.
Pädophile Zwangsgedanken kommen gleichermaßen bei Männern und bei Frauen vor. Für Betroffene ist diese Form der Zwangsgedanken extrem unangenehm, da die Schamgrenze sehr hoch liegt, darüber zu sprechen – auch mit engen Freunden oder dem eigenen Partner/der eigenen Partnerin. Es könnte ja sein, dass ich mit meinen Gedanken von meinem Gesprächspartner für vollkommen pervers gehalten werde?
In Deutschland kommt das Thema „Pädophile Zwangsgedanken“ in den meisten psychotherapeutischen Ausbildungen kaum oder nur sehr am Rande vor.
Manchmal lehnen TherapeutInnen Klienten mit pädophilen Zwangsgedanken auch grundsätzlich als Klienten ab, weil sie pädophile Zwangsgedanken mit Pädophilie gleichsetzen. (Wobei sich zudem die Frage stellt, warum ein Therapeut Menschen mit tatsächlicher pädophiler Veranlagung die Unterstützung grundsätzlich versagen möchte.)
Im englischsprachigen Bereich ist Pedophilia OCD bzw POCD (pedophile-themed obsessive-compulsive disorder) dagegen schon länger ein feststehender Begriff.
Der Leidensdruck für Betroffene ist besonders hoch, da sich pädophile Zwangsgedanken oft mit intensiven Gefühlen von Scham und Schuld verbinden.
Für Betroffene – ebenso wie für Therapeuten und Therapeutinnen – ist es wichtig, sich immer wieder den Unterschied zwischen pädophilen Zwangsgedanken und „echter“ Pädophilie klarzumachen.
Pädophilie bedeutet die sexuelle Präferenz für das präpubertäre Körperschema, d. h. Kinder bis ca. 12 Jahre. Hebephilie die sexuelle Präferenz für das pubertäre Körperschema, d. h. für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren. Bei Männern geht man davon aus, dass etwa jeder Fünfzigste eine solche sexuelle Präferenz hat. Diese sexuelle Präferenz ist mit etwa 16 Jahren entwickelt und gilt danach als nicht mehr veränderbar.
Eine pädophile sexuelle Präferenz ist so lange kein Problem, wie sie sich nur im Bereich der sexuellen Fantasie bewegt und außer zur Masturbation zu keinen weiteren Handlungen führt: also zu keinen Übergriffen gegenüber Kindern in der äußeren Realität, aber auch nicht zu sexualisierten Chat-Kontakten oder zum Downloaden kinderpornografischer Inhalte.
Diese Grenze einzuhalten fällt Betroffenen oft schwer und bedarf unbedingt therapeutischer Unterstützung, wie sie etwa im Rahmen der Initiative „Kein-Täter-Werden“ angeboten wird.
Jede Konfrontation von Kindern oder Jugendlichen mit der Sexualität eines Erwachsenen kann erheblichen psychischen Schaden hervorrufen. Angefangen von traumaassoziierten sexuellen Störungen bis hin zur Unfähigkeit, später als Erwachsener die eigene Sexualität in einer Beziehung leben zu können. Zu Recht wird daher jeder sexuelle Übergriff auf ein Kind oder einen Jugendlichen vom Gesetz streng bestraft.
Pädophil veranlagte Menschen haben zunächst einmal keine Angst davor, Kindern und Jugendlichen nahezukommen. Vielmehr wählen sie sogar oft Berufe, die sie in die Nähe von Kindern und Jugendlichen führen, z. B. als Sporttrainer, Lehrer oder auch als Priester. Sie verstehen sich selbst oft als die „besten Freunde“ ihrer Schützlinge und empfinden es als völlig normal, miteinander zu kuscheln, sich nahezukommen, miteinander anzüglich zu scherzen oder gemeinsam einen Porno anzusehen.
All das ist bereits sexueller Missbrauch – die explizite sexuelle Vergewaltigung muss gar nicht geschehen, um ein Kind oder einen Jugendlichen lebenslänglich in seiner eigenen sexuellen Identität zu beeinträchtigen.
Oft erleben sich Betroffene als enge Freude der Kinder, die sich sehr viel mehr als alle anderen für ihre „Schützlinge“ einsetzen und dann, sozusagen „von gleich zu gleich“ ihre „Schützlinge“ auch in das Gebiet der Sexualität einführen.
Wichtig für solche Menschen ist es, zu lernen, dass bereits das Anbahnen einer Beziehung zu Kindern und Jugendlichen ein sexueller Übergriff ist und dass sie schon viel früher lernen müssen, eine innere Schranke aufzubauen. Menschen mit pädophiler und/oder hebephiler Veranlagung müssen sich grundsätzlich von Kindern bzw. Jugendlichen fernhalten.
Typisch für pädophile Täter ist, dass sie selber oft als Letzte die Schädlichkeit ihrer Handlungen einsehen. Das ist natürlich furchtbar, da ein Kind, das sich in einem psychischen Abhängigkeitsverhältnis zum Erwachsenen empfindet, oft im Moment des Missbrauchs gar nichts anderes sagen kann (und vielleicht sogar, als eine Art Selbstschutz, in diesem Moment auch gar nichts anderes empfindet). Die traumatischen Folgen nach sexuellem Missbrauch treten oft erst Jahre später zutage.
Was vielen Tätern ebenfalls nicht klar ist: Auch der Konsum von Kinderpornografie ist eine direkte Schädigung von Kindern bzw. Jugendlichen. Schließlich haben Erwachsene solche Filme und Bilder inszeniert und produziert ohne sich um die psychischen Folgeschäden zu kümmern.
Auch der Konsum stellt also einen massiven Missbrauch dar, an dem sich der Konsument des kinderpornografischen Materials direkt mitschuldig macht.
Pädophilie und Hebephilie kommen übrigens nicht nur bei Männern vor. Es gibt nicht selten auch Fälle von Frauen und Müttern, die sich selbst daran erregen, die Geschlechtsteile ihrer Kinder zu stimulieren bzw. die Kinder und Jugendlichen mit sexuellen Inhalten konfrontieren und dabei eigene Lust empfinden.
Je mehr die Gesellschaft die sexuelle Präferenz für Kinder und Jugendliche dämonisiert, desto mehr steigt die Gefahr der Verleugnung. Und durch die Verleugnung ist es den Betroffenen dann nicht möglich, sich rechtzeitig um Umgangsformen mit dieser Form der sexuellen Präferenz zu kümmern, mit denen sie weder sich selbst noch anderen Menschen schaden.
Pädophile Zwangsgedanken sind etwas ganz anderes und haben nichts mit einer tatsächlichen sexuellen pädophilen Präferenz eines Menschen zu tun. Pädophile Zwangsgedanken kann jeder Mensch bekommen, Frauen wie Männer, heterosexuell veranlagte Menschen genauso wie homosexuelle.
Bei pädophilen Zwangsgedanken geht es um die Angst, vielleicht pädophil zu sein oder pädophil zu werden. Und das ohne den Wunsch, mit oder in Gegenwart von Kindern oder Jugendlichen sexuell lustvolle Momente zu erleben. Anders als bei „echter“ Pädophilie kreisen die Gedanken nicht um tatsächliche Kinder, für die der betroffene Mensch sexuelle Gefühle entwickeln würde.
Zentrum der Zwangsgedanken ist die eigene Person und die negativen Veränderungen, die an der eigenen Person vermeintlich beobachtet werden.
Pädophile Zwangsgedanken sind eine Unterkategorie der Zwangsstörung, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO im Diagnoseschema ICD-10 an folgenden Diagnosekriterien festmacht:
Die Inhalte von Zwangsgedanken können bei längerem Auftreten auch wechseln. Typisch sind am Anfang Sorgen um die eigene Gesundheit (z. B. ständige Angst, ich könnte Krebs haben); die pädophilen Zwangsgedanken sind oft die Steigerung einer bereits vorher existierenden Zwangsstörung mit anderem Inhalt.
Die Besonderheit von pädophilen Zwangsgedanken ist, dass sich der Inhalt der Zwangsgedanken auf die Frage konzentriert: Bin ich pädophil oder nicht? Hinzu kommen möglicherweise weitere zwanghafte Verhaltensweisen, z. B. der Wunsch, als gefährlich empfundene Situationen zu vermeiden, z. B. indem ich Kindergärten oder Spielplätze auf Fußwegen und Spaziergängen weiträumig umgehe.
Grundsätzlich sind Zwangsgedanken eher ungefährlich. Ein Mensch mit pädophilen Zwangsgedanken hat nicht den Wunsch, Kindern sexuell nahe zu kommen, sondern er hat genau davor Angst, er könnte so etwas tun.
In sehr seltenen Fällen kann es aber bei einzelnen betroffenen Personen passieren, dass der Wunsch, sich endlich Klarheit zu verschaffen und die pädophilen Zwangsgedanken loszuwerden zu tatsächlichen pädophilen und damit auch strafrechtlich relevanten Handlungen führt. Dazu gehört bereits, sich zu „Testzwecken“ kinderpornografisches Material im Internet anzusehen – auch wenn das in der Hoffnung passiert, der Ekel davor möge so groß sein, dass dadurch die Zwangsgedanken geheilt würden.
Wer sich Zugang zu Kinderpornografie im Internet verschafft, macht sich am psychischen Leid der missbrauchten Kinder mitschuldig und jede Sexualisierung von Kindern, auch auf scheinbar harmlosen Bildern ohne erkennbaren Zwang oder Gewalt, kann diese Kinder lebenslang erheblich in ihrer eigenen Sexualität schädigen.
Die „Selbstexposition“ mit kinderpornografischem Material ist eine Straftat und kann die Betroffenen nicht heilen, sondern das Problem nur noch schlimmer machen. Wer sich auf diese Weise einmal getestet hat und den Test sogar mit Ekelgefühlen „bestanden“ hat, kann sich ja niemals sicher sein, ob er diesen Test am nächsten Tag „wieder so gut“ bestehen wird.
Es kann sich also eine Art Sucht nach solchen Selbsttests und entwickeln, und das, obwohl gar kein sexuelles Interesse an solchem Material besteht. Im Extremfall könnte ein Mensch mit pädophilen Zwangsgedanken sogar versucht sein, sich an tatsächlichen Kindern zu „testen“, was für die betroffenen Kinder auf nichts anderes herausläuft als auf echten Missbrauch. Das ist aber ein extrem unwahrscheinlicher Fall, der ohne begleitende weitere psychiatrische Störungen kaum auftritt.
Die sehr viel wahrscheinlichere Gefahr von pädophilen Zwangsgedanken richtet sich gegen die Menschen, die an diesen Gedanken leiden. Eigene Scham- und Schuldgefühle können die Betroffenen so sehr in die Verzweiflung führen, dass sie nur noch im Suizid einen Ausweg in ihrem Leiden sehen.
Deswegen ist es sehr wichtig, Betroffenen mit großer Empathie und ohne unangebrachte Vorverurteilungen zu begegnen und beim Verdacht auf Suizidalität aktiv darauf anzusprechen.
Wenn ein Betroffener die Frage nach der Suizidgefahr nicht klar und eindeutig ausschließen kann (z. B. wenn er nicht mehr sagen kann, warum er überhaupt noch am Leben bleiben will), dann ist es dringend erforderlich, sofort fachlich kompetente Hilfe durch einen Arzt oder Therapeuten anzufordern, ggf. über die 110-Telefonnummer. Die größte Gefahr pädophiler Zwangsgedanken ist der Selbstmord des betroffenen Menschen.
Nach meiner eigenen Erfahrung mit Klientinnen und Klienten treten pädophile Zwangsgedanken meist nicht isoliert auf, sondern im Rahmen anderer psychischer Störungsbilder, insbesondere depressiver Episoden.
Offensichtlich sucht sich das Hirn während einer depressiven Episode oft Bilder, um die scheinbar nicht erklärlichen Symptome der Depression irgendwie begreifen zu können. Unser Hirn greift lieber zu irgendeiner Erklärung, als keine Erklärung zu haben. Die Beschäftigung mit pädophilen Zwangsgedanken liefert genügend Gründe, sich wirklich schlecht zu fühlen.
Was im Rahmen einer Depression häufig passiert: andere KlientInnen entwickeln zum Beispiel Zwangsgedanken, an einer nicht erkannten, unheilbaren Krankheit zu leiden oder nicht mehr Auto fahren zu dürfen, da sie mit Sicherheit einen Unfall bauen würden etc.
Ebenfalls häufig ist das Auftreten von Zwangsgedanken und insbesondere auch pädophilen Zwangsgedanken bei Menschen mit Alkoholabusus oder Drogenkonsum (insbesondere auch Cannabis). Der Grund dürfte in einer Schädigung des Neurotransmitterhaushalts (z. B. Serotonin) liegen, mit ähnlichen Folgen wie bei einer depressiven Episode.
Manchmal stehen bei pädophilen Zwangsgedanken auch traumaassoziierte Störungen im Hintergrund, etwa Missbrauchserlebnisse aus der eigenen Kindheit.
Wegen dieser Spannbreite der Ursachen ist eine genaue psychologische Diagnostik unumgänglich, um den Betroffenen die bestmögliche therapeutische Vorgehensweise anbieten zu können.
Je nach Diagnosestellung bieten sich folgende Therapieverfahren an, die auch teilweise in Kombination angewendet werden können:
In jedem Fall lohnt es sich, bei hartnäckigen Zwangsgedanken therapeutische Hilfe zu holen. Zwangsgedanken gelten mittlerweile als ausgesprochen gut therapierbar und müssen absolut nicht sein.
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