Das Offene Bein ist eine komplexe chronische Krankheit, die die Lebensqualität stark beeinflusst.
Grob vereinfachend unterscheiden wir drei Formen des Ulcus cruris: das venöse Ulcus cruris, das arterielle Ulcus cruris und das gemischt-arteriell-venöse Ulcus cruris.
Es ist mit großem Abstand die häufigste Form. Das venöse Ulcus entsteht bei einem starken venösen Stau im Unterschenkel. Die Venen können das Unterhautgewebe und die Haut nicht mehr mit ausreichend frischem Blut versorgen und sterben ab.
Die Ursachen sind also kranke Venen in der Unterhaut oder im Inneren des Beins „Innere Krampfadern“) oder eine Kombination aus beidem.
Die einzige Chance auf langfristige Heilung besteht darin, die Ursache, also den venösen Stau, zu beseitigen. Wird dieser Stau, z. B. durch eine Operation der kranken Venen, beseitigt, kann ein Ulkus in günstigen Fällen von selbst abheilen. In den meisten Fällen hat die jahrelange Durchblutungsstörung das Gewebe allerdings so stark beschädigt, dass es „nachgefüllt“ werden muss.
Im minderdurchbluteten Gewebe gehen die stark sauerstoff- und nährstoffabhängigen Zellen ein. Nur die straffen Bindegewebsfasern vor Ort können überleben. Sie stellen nur geringe Ansprüche an die Versorgung, sind aber nicht in der Lage, von sich aus wieder eine gesunde Unterhautschicht aufzubauen, selbst wenn sich die Durchblutung wieder normalisiert hat.
Typischerweise zeigt der Unterschenkel eines Ulkus-Patienten eine Sanduhrform: Die Region des untergegangenen Unterhautgewebes ist dünner als der restliche Unterschenkel darüber und als die Knöchelregion darunter. Zusätzlich ist die Region der unnatürlichen Unterschenkel-Taille rostbraun pigmentiert. Die Farbe stammt von roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die vor Ort starben und das mitgeführte Eisen dort hinterließen.
In diesen (häufigen) Fällen muss der Chirurg, zusammen mit der Wiederherstellung der natürlichen Durchblutung, gesunde Unterhautzellen transplantieren. Er verpflanzt unterschiedlichste Zellarten des normalen Unterhautgewebes und sorgt damit dafür, dass sie automatisch Unterhautstammzellen bilden. Aus diesen Zellen können sich nämlich unterschiedliche Gewebeanteile wie Blutgefäße, Fettgewebe, Lymphgefäße und Stützgewebe entwickeln.
Der Chirurg verpflanzt also einen körpereigenen „Reparaturtrupp“ an den Ort des Schadens.
Dazu wird (in der Regel noch während der Operation) eine kleine Menge Unterhautfettgewebes vom Bauch abgesaugt. Das abgesaugte Gewebegemisch wird in seine Bestandteile getrennt. Die Fraktion mit den Fettzellen und Stammzellen wird dann unter die kranke Haut des Unterschenkels gespritzt.
Zusätzlich wird dort auch noch eine spezielle Fraktion des Blutplasmas injiziert. Dazu wird dem Patienten, ebenfalls in derselben Operation, eine kleine Menge venösen Bluts aus der Leistenvene entnommen. Das Blut wird so zentrifugiert, dass ein bernsteinfarbener Überstand im Glas entsteht. Dieser Überstand enthält sehr viele Thrombozyten. Das sind die kleinsten Zellen im fließenden Blut.
Sie sind nicht nur an der Bildung von Blutgerinnseln beteiligt, sondern insbesondere an den Reparaturvorgängen direkt im Anschluss an Verletzungen. Diese „Plasmafraktion“ nennt man PRP, „Platelet Rich Plasma“, wobei das englische Wort Platelet für Blutplättchen steht.
In der plastisch-ästhetischen Chirurgie wird PRP seit Jahren sehr häufig dazu eingesetzt, Falten zu unterfüttern oder Verbrennungsnarben weicher zu machen. Bekannt ist die PRP-Anwendung im Gesicht auch unter dem griffigen Namen „Vampir-Lifting“.
Zu guter Letzt wird der Chirurg auch noch die Oberfläche des Ulcus behandeln: Hier fehlen alle natürlichen Hautschichten. Das Gewebe darunter liegt oft bis auf den Knochen frei.
Erneut in derselben OP-Sitzung werden dazu vom Oberschenkel des Patienten kleine Hautinselchen ausgeschnitten: Die runden Mini-Transplantate sind zwischen vier und sechs Millimetern groß. Sie werden mit ihrer Unterhautseite auf dem Ulkusgrund zu einer Art losem Mosaik gelegt.
Durch ihre geringe Größe haben sie wesentlich höhere Chancen einzuheilen als ein einziges großes Hautstück: Jedes Mini-Transplantat wird anfangs durch reine Nährstoff-Diffusion von der Unterlage her ernährt. Bis sich nach drei bis vier Tagen eigene Nährgefäße zwischen Transplantat und Unterlage entwickelt haben.
Den Abschluss der Operation bildet dann ein Folienverband über dem Ulkus, welcher ein für die Heilung optimales feuchtes Milieu erhält,
Eventuell wird in diesen Folienverband noch ein kleiner Schlauch integriert, der mit einer kleinen Unterdruckpumpe verbunden ist. Das nennt man einen Vakuum-Verband.
Der so im Wundgebiet erzeugte Unterdruck regt die Neubildung von Kapillaren sehr stark an. Sie werden das neu entstandene Gewebe künftig ernähren.
Das sehr spezielle Wissen um die zeitgemäße Ulkustherapie ist auch unter den Hausärzten naturgemäß noch nicht flächenhaft verbreitet. Deshalb werden die allermeisten Patienten vom Hausarzt an einen „Wundpfleger“ abgegeben. Das sind durchaus engagierte Pflegerinnen und Pfleger, die das Ulkus oft täglich während eines Hausbesuchs verbinden.
Natürlich ist das eine immense Entlastung für die Patienten und ihr Umfeld. Etliche Ulzera heilen unter der Verwendung modernster (und teuerster) Verbandsmaterialen auch ab.
Letztlich kann eben auch eine dauerhafte Kompressionstherapie und lokale Wundbehandlung das offene Bein verschließen.
Das Ulkus bleibt eine von zerbrechlicher Überhäutung bedeckte Stelle, die immer wieder aufbrechen wird. Einerseits durch die fehlende Ursachenbehebung, da der venöse Stau fortbesteht. Andererseits auch durch die fehlende Heilung des Unterhautgewebes durch Zelltransplantation.
Diese Formen des Offenen Beins erfordern das gleiche Behandlungsprinzip: Die Ursache, also die Durchblutungsstörung, muss behoben werden.
Das bedeutet allerdings auch, dass verschlossene Arterien wieder geöffnet werden müssen. Gegebenenfalls sind im Bein medikamentöse oder operative Verfahren in Kombination, wie beispielsweise die Anlage eines Arterienbypass, notwendig.
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