Artikel 04/02/2018

Nachweis frei zirkulierender Tumorzellen im Blut: Neue Möglichkeit der Krebsbekämpfung?

Dr. med. Michael Würfel Internist, Onkologe, Hämatologe & Internistischer Onkologe
Dr. med. Michael Würfel
Internist, Onkologe, Hämatologe & Internistischer Onkologe
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Frei zirkulierende Tumorzellen im Blut könnten helfen, Krebs frühzeitig zu erkennen und die Therapie bei Bedarf anzupassen. Wie funktioniert der Nachweis? Und bei welchen Krebsarten stützen Studien die Erfolge des Verfahrens?

Die Diagnose von Krebserkrankungen wird üblicherweise durch eine Probenentnahme aus dem Tumor oder einer Metastase und einer anschließenden feingeweblichen Untersuchung gestellt. Seit langem sucht man nach Alternativen.

Man weiß, dass eine Vielzahl von Tumoren ständig Tumorzellen oder zumindest Tumorfragmente (z.B. DNA) in das Blut abgibt. Diese Bestandteile lassen sich heute mit geeigneten Techniken nachweisen. Somit lassen sich wichtige Informationen über den Tumor, seine Merkmale und sein Verhalten nicht nur zu Beginn, sondern auch im Verlauf beurteilen. Das ist insbesondere deshalb von großer Bedeutung, da der Tumor seine Eigenschaften im Verlauf der Erkrankung ändern kann. Eine genaue Kenntnis über diese Eigenschaften ist aber für eine optimale Therapie von enormer Bedeutung.

Zirkulierende Tumorzellen und Tumor-DNA zur Therapiekontrolle

CTCs (zirkulierende Tumorzellen) im Blut können ein früher Indikator für eine Metastasierung sein. Statt ganze Tumorzellen im Blut zu suchen, lässt sich auch nach genetischen Informationen des Tumors über die Tumor-DNA fahnden. Es werden dabei veränderte Gene gesucht, die bereits aus der klassischen Tumorgewebe-Untersuchung bekannt sind. Wenn sie vorliegen, kann ein zunehmender Nachweis dieser Tumor-DNA Hinweis für einen sich anbahnenden Rückfall der Krebserkrankung sein.

Der Nachteil besteht darin, dass nur die Veränderungen gefunden werden, die bereits bekannt sind. Außerdem gibt es eine Reihe von Tumoren, die keine dieser Mutationen in sich tragen. In diesen Fällen wird die Untersuchung nicht zur Diagnostik beitragen. Zudem findet sich im Blut auch freies genetisches Material, das durch andere Prozesse freigesetzt wird und keinen Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung zeigt.

Dazu bemerkte Prof. Dr. Klaus Pantel, Direktor des Instituts für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: „Wir lernen gerade, dass wir bei alternden Menschen, also nicht bei Patienten, sondern bei jedem über Mitte 50, vermehrt tumorähnliche DNA-Fragmente im Blut finden. Das heißt, es ist nicht so einfach, wie man sich das ursprünglich vorgestellt hat.“ Im Moment wird untersucht, ob es eine Kombination aus verschiedenen genetischen Veränderungen gibt, die als krankheitsspezifisch gelten können.

Wie funktioniert die flüssige Biopsie?

Die Entnahme von Blut zur Untersuchung auf zirkulierende Tumorzellen und DNA wird „Flüssigbiopsie“ (liquid biopsy) genannt. Sie gilt als empfindlicher als bildgebende Verfahren wie die Mammographie, die Magnetresonanz-Tomographie (MRT) und die Computertomographie (CT).

Mit zirkulierenden Tumorzellen könnten Rezidive früher entdeckt werden. Wenn sie nach einer Tumortherapie nachweisbar sind, können sie auch Hinweis für eine „Resterkrankung“ sein. Sie lassen Informationen zur Prognose, aber auch zur Notwendigkeit einer weiteren Therapie zu.

Bei fortgeschrittener Erkrankung kann eine flüssige Biopsie einen wichtigen Beitrag zur Resistenzbestimmung leisten. Viele fortgeschrittene Tumoren verändern sich im Verlauf der Therapie, sodass sie auf bestimmte Medikamente nicht mehr ansprechen und damit resistent werden.

Bisher werden Tumortherapien über einen bestimmten Zeitraum gegeben. Danach werden Verlaufskontrollen durchgeführt und bei Versagen der Therapie werden sie angepasst. Nachteil ist, dass bis zu den Kontrollen Zeit vergeht, in der die Therapie nicht fruchtet, aber trotzdem mit Nebenwirkungen verbunden ist.

Ziel ist es, möglichst frühzeitig zu erkennen, ob die Therapie Wirkung zeigt. Man hofft, dass man mit Markern aus dem Blut sehr früh feststellen kann, ob ein Tumor auf die laufende Therapie reagiert. Die Therapie könnte andernfalls umgestellt oder vorzeitig beendet werden. Wertvolle Zeit würde nicht verloren gehen.

Flüssigbiopsien werden mittels einer einfachen Blutabnahme gewonnen. Sie stellen für den Patienten eine geringe Belastung dar und könnten ohne großen Aufwand regelmäßig durchgeführt werden.

Für einige häufige Malignome wie etwa Mamma-, Kolon-, Lungen- oder Prostatakarzinome liegen erste Studien vor, die die klinische Relevanz des Nachweises und der Charakterisierung von CTCs belegen.

CTC beim Darm- und Brustkrebs: Rezidive früher erkennen

Beim kolorektalen Karzinom fand sich bei Patienten mit CTCs ein schlechterer Verlauf als bei Patienten ohne Nachweis von Tumorzellen. So ließ sich anhand des Anstiegs der Krebs-DNA im Blut ein erneutes Auftreten von Darmkrebs zehn Monate eher nachweisen als mit der Bildgebung (CT, MRT usw.).

Eine Studie bei Brustkrebspatientinnen zeigte eindeutig, dass ein Anstieg der CTCs nach Beendigung der antihormonellen Therapie mit einer bedeutend höheren Rückfallrate verbunden ist. Die CTC-Bestimmung liefert eine Basis, um eine individuelle Entscheidung treffen zu können, ob eine Weiterführung der Hormontherapie nach fünf Jahren sinnvoll ist.

Schon 2010 wurde auf einem Brustkrebs-Symposium gezeigt, dass es ein vierfach höheres Risiko für ein Brustkrebs-Rezidiv gibt, wenn die Anzahl der CTCs im Blut größer als 5 ist. Die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie empfiehlt bereits bestimmte Systeme als Prognosefaktor bei metastasiertem Brustkrebs.

Prostatakarzinom: Zirkulierende Tumorzellen erleichtern die Prognosestellung

Studien zeigten beim metastasierten Prostatakarzinom die Bedeutung der zirkulierenden Tumorzellen für das Überleben. Wenn bei der Erstdiagnose mehr als 5 zirkulierende Tumorzellen in 7,5 ml Blut waren, war die Prognose schlechter.

Vielleicht kann man den CTC-Wert auch zur frühzeitigen Kontrolle der Therapiewirksamkeit verwenden: Bei Patienten, bei denen unter der Therapie die Zahl der zirkulierenden Tumorzellen unter den Grenzwert von 5 absank, wurde ein Überlebenszeitgewinn von 6,8 auf 21,3 Monate verzeichnet.

Lungenkarzinom: CTC-Untersuchung statt Punktion bei Mutationen

Wissenschaftler hatten COPD-Patienten ohne Lungenkarzinom auf zirkulierende Tumorzellen untersucht. Bei fünf von 168 Studienteilnehmern fiel der CTC-Befund positiv aus. Alle Patienten bekamen anschließend jährlich ein CT der Lunge. Bei allen fünf CTC positiven Probanden stellten die Autoren ein bis vier Jahre später im CT ein Lungenkarzinom fest – alle im frühen Stadium.

Beim Lungenkarzinom wurde eine prognostisch ungünstige Mutation beschrieben, die im Laufe einer Therapie auftreten kann und zum Therapieversagen führt. Bisher war eine erneute Punktion des Tumors oder der Metastase notwendig, um diese genetische Veränderung zu diagnostizieren. Durch eine einfache Blutabnahme und Untersuchung der CTCs konnte in vielen Fällen das gleiche Ergebnis erzielt werden.

CTC zur Früherkennung von Krebserkrankungen: Tests laufen bereits

Man weiß, dass viele Tumorerkrankungen einfacher zu behandeln und häufiger zu heilen sind, wenn man sie in einem frühen Stadium entdeckt. Es liegt also nahe, eine Untersuchung auf zirkulierende Tumorzellen zur Frühdiagnostik auch in der Bevölkerung einzusetzen. Dazu gibt es jedoch bisher keine Daten.

Da in sehr frühen Stadien nur sehr wenig zirkulierende Tumorzellen zu erwarten sind, müssen die eingesetzten Untersuchungssysteme sehr ausgereift sein. Sie müssen nicht nur die sich anbahnende Krankheit sicher erfassen, sondern dürfen auch keinen „falschen Alarm“ auslösen, um nicht zur unnötigen Beunruhigung beizutragen.

Der Test muss eine Vielzahl von Tumorerkrankungen gut erfassen. Er muss sicher, aber auch kostengünstig und einfach durchzuführen sein. Außerdem müsste eine solche Früherkennungsuntersuchung zeigen, dass sie den Menschen tatsächlich nützt, also effektiv Tumorerkrankungen im frühen Stadium aufspürt und damit die Überlebenszeit verlängert oder die Lebensqualität verbessert.

Derzeit ist noch kein Test im klinischen Alltag etabliert (Stand Januar 2018), der auf einer Flüssigbiopsie beruht. Laut einem Bericht der Zeitung Yomiuri hat das National Cancer Center Japan bereits einen zuverlässigen Bluttest entwickelt, mit dem sich 13 verschiedene Krebszellen nachweisen lassen, darunter Magen-, Darm-, Bauchspeicheldrüsen-, Eierstock-, Prostata- und Lungenkrebs. Bei der Untersuchung von Blutproben von 40.000 Patienten konnte die Krebserkrankung mit einer Genauigkeit von mehr als 95 Prozent nachgewiesen werden. Brustkrebs wurde zu 97 Prozent richtig diagnostiziert. Weitere Tests laufen noch.

Bei einem erfolgreichen Abschluss wäre die Analysemethode theoretisch schon ab 2020 einsatzbereit. Einen Bluttest zur Früherkennung aller nur denkbaren Krebsarten bei Gesunden kündigte auch ein kalifornisches Unternehmen an. Mit der Markteinführung sei voraussichtlich 2019 zu rechnen.

Grenzen des Verfahrens

Leider findet man nicht bei allen Tumorarten zirkulierende Tumorzellen oder freie Tumor-Zell-DNA. Nur in ca. 70 Prozent aller fortgeschrittenen Krebserkrankungen sind sie aufzuspüren. Außerdem ist der Nachweis abhängig vom Tumorstadium: Bei fortgeschrittenen Tumoren findet man eher etwas als bei Tumoren, die sich in einem Anfangsstadium befinden.

Aufgrund der Blut-Hirn-Schranke eignet sich der Test außerdem nicht für Hirntumore.

Zukunft der Untersuchung auf zirkulierende Tumorzellen

In medizinischen Fachkreisen herrscht Einigkeit, dass die Histopathologie, d.h. die Untersuchung von Tumorgewebe, in den kommenden Jahren für die Wahl der passenden Krebsbehandlung und letztlich für die Diagnose an Bedeutung verlieren wird.

In dieser Zeit werden Verfahren der Flüssigbiopsie zum Nachweis von im Blut zirkulierenden Tumorzellen (CTC) oder Tumor-DNA (ctDNA) deutliche Fortschritte erreicht haben.

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