Es handelt sich beim Lipödem um eine chronische Erkrankung, die fast ausschließlich Frauen nach der Pubertät betrifft. Charakteristisch hierfür ist eine schmerzhafte, symmetrische Hyperplasie des subkutanen Fettgewebes an den Extremitäten.
Es sind häufig Veränderungen des Hormonhaushalts wie z. B. nach Schwangerschaften, Hormontherapien oder der Menopause, welche eine weitere Verschlechterung der Symptomatik bewirken.
Dass diese Erkrankung bereits in der Vergangenheit existierte, zeigen phänotypische Merkmale in der Darstellung der Königin Ati aus Punt aus dem Jahre 1516 v. Chr. Somit ist das Lipödem keine Neuerkrankung unserer modernen, fortschrittlichen Gegenwart. Erst im Jahre 1940 wurde die Lipödemerkrankung von Hines/Allen et al. beschrieben und veröffentlicht. Die ersten Diagnosekriterien folgten von Allen et al. ein gutes Jahrzehnt später im Jahre 1951.
Die Pathogenese des Lipödems ist bis heute nicht vollständig geklärt. Jedoch gibt es neuere Erkenntnisse der vergangenen Jahre: Vielversprechende Hypothesen zur Pathophysiologie wurden 2014 von Szolnoky sowie 2019 von Herbst et al. publiziert. Herbst et al. konnten z. B. einen inhärenten strukturellen Defekt der Kapillaren mit nachfolgendem Blutplasmaeinstrom in das Fettgewebe nachweisen.
Sie postulieren dadurch eine inflammatorische Reaktion, die letztlich ein übermäßiges Fettzellenwachstum mit stimulierter Fibrosierung verursacht. Sie könnte wiederum die Resistenz auf Diäten erklären. Erste Ansätze einer zukünftigen Gentestung mit Leitlinien bzgl. der molekularen Diagnostik wurden 2019 von Bertelli et al. formuliert. Bis heute gibt es jedoch keinen Nachweis durch Gentests.
Obwohl die Ultraschalluntersuchung in der Differentialdiagnose zum Lymphödem helfen kann, verbleibt eine primär klinische Diagnosestellung. Dabei spielen die Anamnese und die körperliche Untersuchung eine zentrale Rolle.
Die Therapie des Lipödems sollte eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität bewirken, indem die krankheitsspezifischen Symptome gemildert werden. Zu diesen zählen der Spontan- und Druckschmerz, Einschränkung der Beweglichkeit und der Kosmetik.
Das Fundament der Lipödembehandlung enthält folgende Bestandteile, die mit den S1-Leitlinien konform sind:
Es gibt aber Fälle, in denen diese Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen und der Behandler eine operative Behandlung erwägen muss. Zum Beispiel wenn es unter einer über mindestens sechs Monaten konsequent durchgeführten KPE zu
Da es keine nachgewiesene Korrelation zwischen der Quantität an Fettvolumen und der Schmerzintensität gibt, halten die Autoren eine rein stadienadaptierte Indikation zur Liposuktion nicht für zielführend.
Übergewicht bzw. Adipositas stehen häufig im Zusammenhang mit dem Lipödem. Eine professionelle, langfristige Betreuung der Patientinnen via Ernährungsberatung / Ernährungspsychologen sollte vorausgegangen sein. Laboranalysen auf Hormonstörungen sowie Ganzkörperanalysen gehören dazu. Aus Sicht der Autoren ist bei morbider Adipositas eine Anbindung an ein Adipositaszentrum obligat und sollte einer Liposuktion vorausgehen.
Die präoperativen Vorbereitungen sollten neben den üblichen Standards eine ausführliche Medikamentenanamnese umfassen. Um das Risiko für Blutungen zu minimieren, sollten alle nicht essenziellen Präparate abgesetzt werden, wie z.B. Vitamine, Mineralien etc., Antidepressiva, wie z. B. Serotonin Re-uptake-Hemmer werden über die Leber verstoffwechselt und konkurrieren mit z. B. Lidocain, welches für die lokale Tumeszenzanästhesie verwendet wird. Favismus/ Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel / Methämoglobinämien sollten ausgeschlossen sein.
Des Weiteren sind insbesondere venöse Thromboembolien bei Hochvolumen-Lipoaspirationen riskant und sollten z. B. anhand des Davison-Caprini-Risiko Assessment stratifiziert und durch Phlebologen kontrolliert werden.,
Eine ambulante oder stationäre Behandlung bzw. die Tumeszenz- und Allgemeinanästhesie sind mit den Patientinnen zu besprechen. Eine nüchterne, auf Daten basierende Diskussion erlaubt jeweils beide Vorgehensweisen an den dafür spezialisierten Zentren., Die korrekte Verwendung von Lokalanästhetika in der Tumeszenz-Lösungsowie das postoperative Flüssigkeitsmanagement sind für die Sicherheit der Patienten wesentlich.
Die größten Risikofaktoren für Komplikationen mit Todesfolge entstehen durch missachtete Hygienestandards, inadäquate Lipoaspiratmengen und eine zu freizügige Entlassungspolitik. Aber auch durch eine falsche Indikationsstellung bei morbiden Patienten.
Die Autoren führen daher Hochvolumina-Liposuktionen in stationärer Behandlung sowie in Allgemeinanästhesie durch. Das „Practice Advisory on Liposuction“ der ASPS (American Society of Plastic Surgeons) unterstützt diese Ansicht und sieht weitere Vorteile der Allgemeinanästhesie u. a. aufgrund der präzisen Medikamentendosierbarkeit und des Airway Managements.
Die zu infiltrierende Tumeszenzflüssigkeit enthält NaCl sowie Epinephrine. Letzteres wird in einer Dosierung von 0,07 mg/kg BW bis 10 mg/kg BW hinzugefügt. Bei der Tumeszenzanästhesie wird Lidocaine bis zu einer Maximaldosis von 35mg/kg als sicher erachtet., Der niedrige pH-Wert der Lidocaine-Lösungen kann Schmerzen hervorrufen. Bikarbonat kann über die Alkalisierung zu einer Schmerzreduktion führen.,
Bupivacaine sollte aufgrund der Kardiotoxizität nicht verwendet werden. Eine entsprechende Aktualisierung der Leitlinien erfolgte 2013 von Pace et al.
Die verwendeten Geräte/Technologien für Liposuktionen bei Lipödemen sollten ein schonendes und zeiteffizientes Handling bieten. Eine rein manuelle Liposuktion erachten die Autoren als nicht zielführend (SAL: Suction assisted Liposuction).
Obwohl alle aktuellen Techniken eine sichere Liposuktion gewährleisten, sehen wir den „Gold Standard“ für Lipödem-Patienten in der Power Assistierten Liposuktion (PAL) mit Vibrationskanäle (z. B. Microaire). Mit dieser Technik ist eine schonende, jedoch pro Zeiteinheit effektive Liposuktion möglich.
Die Laser assistierten Techniken (LAL) konnten in Artikeln der evidenz-basierten Medizin bisher keinen Vorteil zeigen.,
Die Ultraschall gestützte Liposuktion (UAL; VASER) zeigte zwar eine um 6 % höhere „Skin Retracation“ und einen minimal geringeren Blutverlust. Es war jedoch klinisch kein Unterschied erkennbar.
Die Wasserstrahl assistierte Liposuktion (WAL; BodyJet) hat aufgrund des geringeren Kanülen-Querschnitts eine geringere Lipoaspiratmenge bzw. Zeiteinheit. Diese Variante der Liposuktion zeigte jedoch beim Lipoaspirat einen geringere Zelltod und ein höheres Wachstum von Blutgefäßen. Das ist insbesondere für die Eigenfettunterspritzung von Bedeutung.,
Abhängig von dem Verhältnis der infiltrierten Flüssigkeitsmenge und der abzusaugenden Menge an Fettgewebe unterscheidet man zwischen Dry-, Wet- und Super-Wet-Technik.
Bei der Wet-Technik wird etwa die gleiche Flüssigkeitsmenge infiltriert wie Fettgewebe abgesaugt wird. Ist die Infiltrationsmenge höher als das abgesaugte Fettvolumen, spricht man von der Super-Wet-Technik. Bei Lipödempatienten wird die Wet-Technik verwendet. Die Tumeszenz-Lösung sollte 40 bis 60 Minuten einwirken können.
Die operative Technik unterscheidet sich von einer rein ästhetischen Fettabsaugung in Hinblick auf die unterschiedlich abzusaugenden Fettgewebsschichten:
Die Lipödem-spezifische Fettabsaugung erfolgt mit vertretbaren Komplikationsraten in
um das komplette Fettgewebe unter der Haut zu entfernen.Durch die Saugung der oberflächlichen Schichten wird das Fettgewebe von der Haut losgelöst, was einen „Redraping Effect“ möglich macht.
Die durchschnittliche Lipoaspirationsmenge sollte 5.000-7.000 cc nicht überschreiten, um eine BMI-Wert abhängige Risikoerhöhung zu vermeiden. Als Faustformel beginnt das Risiko ab einer Lipoaspirationsmenge von 100ml/BMI (Beispiel BMI 35: 3.500cc) exponentiell anzusteigen. Die operativen Zugänge der Liposuktionskanülen werden bewusst offengelassen, um eine rasche Ausleitung der restlichen Tumeszenzlösung zu gewährleisten.
Direkt postoperativ wird die Kompressionsbestrumpfung angezogen und angepasst. Sie sollte konsequent 24 Stunden am Tag für insgesamt acht Wochen nach der OP getragen werden. Die Patientinnen sind direkt postoperativ auf der Stationsebene mobil und verbleiben zwischen zwei bis drei Tage zur kardiopulmonalen Überwachung und Schmerztherapie in der Klinik.
Alle bisher publizierten Daten zur operativen Therapie des Lipödems verbessern die Lebensqualität der Patientinnen erheblich.
Baumgartner et al. untersuchten 2010 und 2014 die Langzeitergebnisse nach vier und acht Jahren postoperativ. Alle untersuchten Zielparameter konnten nach vier Jahren verbessert und nach acht Jahren gehalten werden.
Dazu zählen u. a. die Reduktion der Schmerzen, Verbesserung der Beweglichkeit und die deutliche Anhebung der Lebensqualität.
Nach acht Jahren wurde bei 30 % des Patientenkollektivs keine KPE benötigt. 60 % benötigten ein deutlich geringeres Maß an KPE. Nur 10 % zeigten keine bzw. nur geringe Verbesserungen. In einer Studie von Ghods et al. 2017 wurden ebenso eine deutliche Steigerung der Lebensqualität und ein verminderter Umfang der KPE gezeigt. Daten von Brorson et al. 2012 bestätigen die beiden vorausgegangenen Studien.
Eine adäquate, operative Therapie des Lipödems via Liposuktion umfasst die komplette Entfernung des krankhaft vermehrten Fettgewebes. Die Behandlung kann in spezialisierten Zentren ambulant oder stationär erfolgen. Die Tumeszenz- oder Allgemeinanästhesie sind beides etablierte Verfahren mit niedrigen Komplikationsraten.
Die Autoren bevorzugen eine stationäre Behandlung in Allgemeinanästhesie. Die Liposuktion via PAL umfasst tiefe- wie auch oberflächliche Fettgewebsschichten. Eine risikoadaptierte, maximale Lipoaspirationsmenge ist einzuhalten, führt jedoch zu einem mehrzeitigen Vorgehen.
Alle bisherigen Langzeituntersuchungen bestätigen die dauerhaften, positiven Effekte einer operativen Vorgehensweise.
Die Veröffentlichung dieser Inhalte durch jameda GmbH erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung der jeweiligen Autoren.
Die Inhalte der Experten Ratgeber ersetzen nicht die Konsultation von medizinischen Spezialisten. Wir empfehlen Ihnen dringend, bei Fragen zu Ihrer Gesundheit oder medizinischen Behandlung stets eine qualifizierte medizinische Fachperson zu konsultieren. Der Inhalt dieser Seite sowie die Texte, Grafiken, Bilder und sonstigen Materialien dienen ausschließlich Informationszwecken und ersetzen keine gesundheitlichen Diagnosen oder Behandlungen. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Meinungen, Schlussfolgerungen oder sonstige Informationen in den von Dritten verfassten Inhalten ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors darstellen und nicht notwendigerweise von jameda GmbH gebilligt werden. Wenn die jameda GmbH feststellt oder von anderen darauf hingewiesen wird, dass ein konkreter Inhalt eine zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, wird sie die Inhalte prüfen und behält sich das Recht vor, diese zu entfernen. Eigene Inhalte auf unserer Website werden regelmäßig sorgfältig geprüft. Wir bemühen uns stets, unser Informationsangebot vollständig, inhaltlich richtig und aktuell anzubieten. Das Auftreten von Fehlern ist dennoch möglich, daher kann eine Garantie für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität nicht übernommen werden. Korrekturen oder Hinweise senden Sie bitte an experten-ratgeber@jameda.de.