Team jameda
Gesundheitspolitiker kommen und gehen; Hausärzte bleiben. Nicht selten begleiten sie ihre Patienten lebenslang, von der Geburt an oder bis in den Tod. Als Familienärzte sind sie eine feste Institution unserer Gesellschaft. Sogar in der Literatur haben sie über die Jahrhunderte ihren Platz gefunden, unter anderem bei Thomas Mann. Mit der Figur des Dr. Sammet setzte er seinem Münchner Hausarzt Albert Loeb in dem Roman „Königliche Hoheit“ ein bleibendes Denkmal. Und wie bei dem Schriftsteller so sind es bei den meisten Menschen vor allem die Hausärzte, die das Bild des Arztes zuerst und am nachhaltigsten prägen. Ihnen gehört unser Vertrauen, weil wir sie kennen, und mehr noch deshalb, weil wir wissen, dass sie uns kennen, nicht nur mit der Krankengeschichte, sondern auch mit unserer persönlichen Lebensführung sowie mit den familiären und sozialen Verhältnissen „vertraut“ sind. Sie sprechen die gleiche Sprache, sie machen noch Hausbesuche, obwohl sie sich die Zeit dafür immer öfter stehlen müssen.
Das – diese traditionelle Verbundenheit mit dem Hausarzt – zeigt aber auch, dass sich die Patienten seit jeher dafür entschieden haben, Hilfe bei der ganzheitlichen Medizin zu suchen. Spontan, gleichsam aus dem Bauch heraus votieren sie für eine Behandlung, die neben dem Körper noch Seele, Geist und das soziale Umfeld im Blick hat. Keine Gesundheitsreform konnte daran etwas ändern, selbst wenn sie das insgeheim, bisweilen programmatisch geplant haben mag. Die Zahlen sprechen da wieder einmal für sich. Noch immer sind 44 Prozent aller in Deutschland niedergelassenen Vertragsmediziner Hausärzte. Und das ist gut so. Noch besser wäre es freilich, wenn die Zahl in Zukunft vor allem auf dem Land wieder steigen würde. Momentan jedoch ist eher das Gegenteil zu befürchten. Mit den großartigen Behandlungsmöglichkeiten, die die medizinische Forschung in den letzten Jahrzehnten eröffnet hat, ist der „gute alte Hausarzt“ zunehmend an den Rand des öffentlichen Interesses gerückt, in den Medien wie in der Politik. Im Focus stehen die „Spezialisten“ und die Hightech-Medizin, während vom „Praktiker“ stillschweigend erwartet wird, dass es ihm gelingt, bei sinkenden Einnahmen immer mehr Patienten „durchzuschleusen“. Nicht nur, dass die Zeit zur Behandlung ständig knapper wird, auch für die Weiterbildung bleibt dem niedergelassenen Hausarzt kaum mehr Raum. Nicht zu reden von dem politisch verursachten Kostendruck. Hausbesuche für 15 € sind eine unmoralische Zumutung, wenn man bedenkt, dass ein Unternehmen, das seinen Gesellen zur Waschmaschinenreperatur nach Hause schickt, ein Mehrfaches abrechnet.
Zu beobachten ist eine auffällige Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis der Patienten mit ihrer hergebrachten Orientierung auf den Hausarzt einerseits und der schwindenden Beachtung, die der medizinische Stand andererseits erfährt. Dabei sind wir auf ihn gerade heute - bei der rasanten Erweiterung medizinischer Angebote - mehr denn je angewiesen. Wer sonst als der Hausarzt könnte in Zukunft die Rolle des Gesundheitsmanagers oder Copiloten für den Patienten übernehmen? Wer sonst verfügt, anders als die Politik, über das nötige, umgreifende Fachwissen? Wer sonst steht der Mehrheit der Patienten so nahe? Wer sonst könnte ihn über die modernen Möglichkeiten zur Vorsorge und Therapie informieren? Wer sonst aber könnte auch den Facharzt so umfassend über den Patienten unterrichten, dass der Spezialist seinerseits die Chance hat, sich in das Konzept ganzheitlicher Behandlung einzufügen? Und welche Therapie könnte schließlich darauf verzichten? Hängt der Erfolg jeglicher Behandlung doch nach wie vor am Zusammenwirken von Arzt und Patient, egal, ob es um eine Grippe oder einen Bandscheibenvorfall geht. Um dies zu erreichen, muss der Arzt gleichsam hermeneutisch, aus dem Verständnis der Persönlichkeit heraus handeln, mit dem Wissen um die Geschichte des Patienten. Hierzu benötigt er Zeit, viel Zeit. Nur so entsteht Vertrauen.
Dass dem Facharzt die Zeit fehlt, sich dies in jedem überwiesenen Fall selbst zu erarbeiten, liegt auf der Hand. Ebenso sollte aber auch auf der Hand liegen, dass er sich darüber mit dem Hausarzt austauscht und dessen Vertrautheit mit dem Patienten zu nutzen sucht. Bislang jedoch geschieht das eher selten, viel zu selten. Hier besteht Nachholbedarf bei der partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Ärzte und auch bei den Entscheidungsträgern des Systems, die entsprechende Anreize initiieren müssten. Doch die Optimierung der Kommunikation allein würde wenig helfen, wenn es nicht gelingt, zugleich die Stellung des Hausarztes wieder deutlich zu stärken. Er ist der Vorposten einer sprechenden und zuhörenden Medizin. Dafür, für das Gespräch mit dem Patienten, für das „dialogische Handeln“, muss man ihm Zeit geben und diese Leistung auch entsprechend honorieren – auch bei seinem Gegenüber. Auch ein niedergelassener Radiologe beispielsweise muss mehr als 4,83 € im Quartal für ein notwendiges persönliches Patientengespräch abrechnen dürfen, soll er nicht nur als reiner „Fließbandfotograf“ für andere Fachdisziplinen „funktionieren“. Die Transparenz der Abrechnungen gegenüber den Patienten würde diesem traurigen Zustand schnell ein Ende bereiten. Ein staatlich angeordnetes Hausarztmodell als bloße Verwaltungsregelung löst das Problem nicht. Verhältnisse, denen die Statistik bescheinigt, dass der Patient im Vortragen seiner Krankengeschichte schon nach 18 Sekunden unterbrochen wird, sind untragbar. Wer sie ändern will, muss sich um die Basis und die Ausbildung kümmern, das hausärztliche Fundament unseres Gesundheitswesens stärken. Das würde dann auch bei den Fachärzten wiederum zu Verbesserung der medizinischen Qualität und gleichzeitig zu Zeitersparnissen führen. Anders als durch ein solches Zusammenwirken werden sich die Chancen der modernen Medizin nicht optimal nutzen lassen. Professionelles Patienten- und Gesundheitsmanagement von der Wurzel an ist das Gebot der Stunde. Die Politiker wären gut beraten, wenn sie sich gerade hierbei der Hausärzte versicherten. Sie bleiben so und so, das haben die Patienten entschieden. 70 Prozent von ihnen nennen den Hausarzt als ersten Ansprechpartner, wenn es um ihre Gesundheit geht. Das sollte endlich ernsthafter bedacht werden.
Lesen Sie ab 16.02.09 den nächsten Artikel von Hr. Prof. Grönemeyer zum Thema „Das Kreuz mit dem Kreuz“.
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