Team jameda
Die Diagnose „Krebs“ trifft viele Patienten wie ein Schlag ins Gesicht. Krebs? Warum gerade ich? Was jetzt? Wie kann man mit dieser Diagnose leben? Die Therapie kann sich lange hinziehen, manche Patienten müssen ihr Leben lang mit einem Rückfall rechnen. jameda wollte wissen, welche Hilfe ganzheitliche Ansätze bieten und was Patienten selbst tun können, um die Angst zu besiegen.
jameda: Frau Dr. Kreft, Sie sind Naturheilkundlerin und behandeln Krebspatienten in Ihrer Praxis. Gibt es etwas, das die Patienten häufig falsch machen?
Dr. Kreft: Wir alle machen Fehler und es gibt Situationen, die uns auffordern, diese Fehler zu berichtigen – das nennt man „Lernen“. Es gibt sowohl in unserer Lebens-, Ernährungs- und Denkweise als auch in der Heilkunst noch viel zu lernen. Patienten und Ärzte sitzen hier im selben Boot und müssen einander vertrauen und bestmöglich helfen. Alle Faktoren aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen, zusammenfassend könnte man aber sagen, dass es darum geht, menschengerecht zu leben. Häufig sprechen wir von artgerechter Tierhaltung. Um gesund zu leben, sollten wir allerdings bei uns selbst anfangen. Dazu gehören mehr Bewegung an der frischen Luft, vitalstoffreiche Ernährung, ein entspannter Lebensstil, Respekt vor dem Leben und Dankbarkeit. Stressreduktion, Stressbewältigung und eine ausgeglichene Work-Life-Balance sind ganz überlebens- und lebenswichtig für den Patienten und für alle Menschen eine wirksame Prophylaxe.
jameda: All diese Faktoren zu berücksichtigen, ist nicht nur Aufgabe des Patienten, sondern
erfordert auch eine ganzheitliche, auf die persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittene Medizin. Tatsächlich ist die personalisierte Medizin in der modernen Krebstherapie auf dem Vormarsch. Prof. Dr. Heusser, Sie entwickeln neue Modelle der integrative Medizin: Können Patienten bald auf eine individuellere Behandlung hoffen, die den Menschen als Ganzes in den Blick nimmt und auch emotionale Bedürfnisse ernst nimmt?
Prof. Dr. Heusser: Leider ist die „personalisierten Medizin“ noch keineswegs so ganzheitlich, wie Sie es formulieren. Im Gegenteil: die sogenannte „personalisierte Medizin“ verstärkt das Bild des Menschen als komplexes Gerüst aus Atomen und Molekülen. Denn sie sucht in ihrer „Personalisierung“ eigentlich nur die individuellen molekularen Strukturen und genetischen Faktoren, die sie für Diagnose, Therapie und Prophylaxe nutzen kann. Das ist natürlich ein medizinischer Fortschritt, aber nur auf der Ebene der Atome, Moleküle und des physischen Körpers. Nur auf dieser Ebene interessiert sich die personalisierte Medizin für die „Person“. Dabei fehlen noch die psychologische, geistige, soziale, kulturelle und spirituelle Dimension, und damit ein großer Teil der Patientenbedürfnisse, besonders bei Krebskranken.
jameda: Wie kann die personalisierte Medizin diesen Bedürfnissen Rechnung tragen, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern?
Prof. Dr. Heusser: Man muss die personalisierte Medizin zu einer „integrativen und personalisierten (bzw. personenbezogenen) Gesundheitsversorgung“ (IPGV) erweitern. Wir haben dieses Konzept an der Universität Witten/Herdecke entwickelt. Das bedeutet kurz zusammengefasst, dass man die menschliche Person in Diagnose, Therapie und Prophylaxe als Ganzheit berücksichtigt, das heißt nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der psychischen, geistigen, sozialen, kulturellen und spirituellen Ebene. Dementsprechend sind die molekularen und pharmakologische Maßnahmen je nach individuellem Patientenbedarf durch weitere, unter Umständen auch komplementäre Maßnahmen zu ergänzen.
jameda: Gibt es diesen Ansatz nicht schon?
Prof. Dr. Heusser: Die sogenannte „integrative“ Gesundheitsversorgung, die Integration aller Maßnahmen zu einer individuums- oder personenbezogenen rationalen Gesamttherapie, ist in der Schulmedizin möglich und muss dort zunehmend entwickelt werden. Dieser Ansatz existiert bereits in komplementärmedizinischen Richtungen.
jameda: Rund 40 Prozent aller Krebspatienten können geheilt werden – alle anderen sind mit der Diagnose „unheilbar“ konfrontiert. Für sie geht es darum, die Zeit, die ihnen noch bleibt, zu verlängern und angenehm zu gestalten. Tatsächlich kann die moderne Medizin den meisten Patienten die Schmerzen und andere Beschwerden nehmen, die mit der Erkrankung oder der Therapie einhergehen. Frau Maschke, Sie hatten selbst Krebs und haben schließlich den Sonnenweg e.V. gegründet, der Lichtblicke für ein Leben mit Krebs geben möchte. Was können Patienten selbst tun, um ihre Lebensqualität zu verbessern?
Frau Maschke: Die Komplementärmedizin bietet viele Möglichkeiten, die Lebensqualität zu verbessern und die rezidivfreie Zeit zu verlängern. Allerdings gibt es auch viele fragwürdige Methoden und Produkte, die unkontrolliert im Internet beworben werden und teilweise rechtliche Grauzonen ausnutzen.
jameda: Um welche Methoden handelt es sich dabei?
Dr. Kreft: Auch wenn wir es gerne einfach hätten, ist das schwierig zu beantworten, da auch Produkte und Therapien dem einen oder anderen Patienten die Lebensqualität verbessert haben, deren Wirksamkeit noch nicht wissenschaftlich erwiesen ist. Häufig wird hier ein wenig unscharf und fast abfällig vom Placebo-Effekt gesprochen. Wir können jedoch davon ausgehen, dass diesen unspezifischen, jedoch wirksamen Effekt sowohl schulmedizinische als auch komplementäre Therapien aufweisen.
jameda: Die Anthroposophie ist bekannt dafür, den Menschen als Ganzen zu betrachten und seine Psyche in die Therapie einzubeziehen. So soll den Patienten etwa Bewegungs- oder Kunsttherapie helfen, das mentale Gleichgewicht wiederherzustellen. Hilft anthroposophische Medizin tatsächlich, die Lebensqualität von Krebskranken zu verbessern?
Prof. Dr. Heusser: Ja, das tut sie tatsächlich. Wir konnten z.B. in einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds für Wissenschaftliche Forschung nachweisen, dass die individualisierte und ganzheitliche Krebstherapie einer anthroposophischen Tumorklinik in Arlesheim bei Basel die Lebensqualität bei Patienten mit unheilbarer Krebskrankheit in allen Dimensionen signifikant und nachhaltig verbessert: körperlich, seelisch, geistig, spirituell, sozial, und umfassend in der globalen Lebensqualität. Die Resultate gehörten bei Veröffentlichung (2006) und bis heute international zu den besten. Auch für die anthroposophische Misteltherapie gehört die Steigerung der Lebensqualität zu den wissenschaftlich am besten nachgewiesenen Wirkungen dieser Pflanze.
jameda: Nicht nur die Medizin, sondern auch der Patient selbst kann dazu beitragen, mit
Krebs besser leben zu lernen. Es gibt Patienten, die erst in der Auseinandersetzung mit dem Krebs erkennen, was ihnen wirklich gut tut und was in ihrem Leben wirklich wichtig ist. Frau Maschke, können Sie bestätigen, dass der Krebs eine Chance für Veränderung sein kann?
Frau Maschke: Das kann man absolut unterstreichen - nichts bleibt, wie es war. Entscheidend war für mich, zu lernen, das Leben als Geschenk zu sehen, und ich habe akzeptiert, dass es für mich nur ein Leben mit Krebs gibt. Der Krebs könnte wieder ausbrechen, aber ich habe meine eigene Endlichkeit angenommen. Über den Tod machen sich die meisten Menschen erst Gedanken, wenn eine ernste Krankheit auftritt.
jameda: Manche Krebspatienten glauben, selbst an der Erkrankung schuld zu sein, zum Beispiel weil sie lange einen ungesunden Lebensstil verfolgten. Die so entstehenden Schuldgefühle können sehr belasten sein …
Prof. Dr. Heusser: Nun, bei Rauchen etwa ist der Zusammenhang mit der Krebsentstehung nachgewiesen, und das wissen auch die Patienten. Insofern ist der eigene Beitrag zur Krebsentstehung grundsätzlich kein bloßer Glaube. Trotzdem muss und kann man den Patienten bei der Verarbeitung einer solchen Belastung helfen und menschlich beistehen.
jameda: Was können Patienten selbst tun, um mit Schuldgefühlen fertig zu werden?
Prof. Dr. Heusser: Was helfen kann ist die Tatsache, dass man im konkreten Einzelfall, und das heißt bei jedem individuellen Patienten (!), nie wissen kann, ob es wirklich das Rauchen war, das den Krebs verursacht hat. Manche Menschen rauchen ihr ganzes Leben lang intensiv, wie etwa Alt-Bundekanzler Helmut Schmidt, und bekommen keinen Krebs. Andere rauchen nie, und erkranken trotzdem an Lungenkrebs. Woher weiß ich, was alles zur Krebsentstehung beiträgt? Und woher weiß ich im Voraus, wie die Krebskrankheit tatsächlich verlaufen wird? Ich habe in meiner 34-jährigen ärztlichen Tätigkeit diesbezüglich manche Überraschung erlebt. Hier berühren wir schon etwas die Schicksalsebene, die da auch hereinspielt. Und dazu gehört auch der Gedanke, dass wir das, was wir im Leben schuldhaft verursachen, sei es an uns selber oder an anderen, möglicherweise auch wieder gut machen können, sogar wenn es in diesem Leben nicht mehr möglich sein sollte (und es gibt ja im Leben viel schlimmeres als Rauchen…!). Auch dieser Gedanke kann Patienten helfen.
jameda: Wenn der Krebs überstanden ist, packt viele die Angst vor dem Rückfall. Was kann Patienten helfen, wieder in ihren Alltag zu finden und die Krebserkrankung auch psychisch zu überwinden?
Frau Maschke: Wichtig ist der offene Umgang mit der Krankheit im persönlichen Umfeld. Die Lebensbedrohlichkeit sollte man relativieren: Ein Herzinfarkt kann von jetzt auf gleich tödlich sein, ist aber viel weniger stigmatisiert in unserer Gesellschaft als Krebserkrankungen. Am Krebs stirbt keiner so schnell, sondern an den Folgebeeinträchtigungen lebenswichtiger Organfunktionen. Und das kann viele Jahre dauern.
jameda: Wie können Ärzte ihren Patienten helfen, mit der Angst fertig zu werden?Dr. Kreft: Angst und Panik sind die größten krankmachenden und heilungsverhindernden Faktoren, die mit einer Krebsdiagnose verbunden sind. Salutogenese bedeutet, Ressourcen der Selbstheilung wirksam zu stärken. Das persönliche Gespräch schafft Vertrauen und eröffnet mehr Möglichkeiten, auf den Patienten einzugehen, Zusammenhänge zu erkennen und die Therapie individuell und effektiv einzusetzen. Jeder bedachte oder unbedachte Eingriff hat Wirkungen und eben auch Nebenwirkungen. Darüber hinaus ist die Biologische Medizin sehr geeignet, Nebenwirkungen zu lindern und bei gutem Gebrauch keine neuen ungewollten Wirkungen zu erschaffen.
jameda: Wie funktioniert die Biologische Krebstherapie?Dr. Kreft: Die Biologische Krebstherapie ist darauf ausgerichtet, die Lebenskraft im Menschen zu unterstützen. Dazu gehört auch die schon fast vergessene und doch zwingend notwendige Ordnungstherapie. Das heißt: Das Leben muss geordnet werden. Grundsätzlich beinhaltet eine ganzheitliche und biologische Therapie neben den spezifischen Behandlungsmethoden die Säulen ‘Ernährung’ (basisch, vitalstoffreich, Omega-3-Fettsäuren, wenig tierische Fette), ‘Entspannung’ (u.a. Meditation, Autogenes Training) und ‘Bewegung’ (u.a. täglich eine Stunde Spazieren gehen).
jameda: Frau Maschkke, welche Erfahrung haben Sie mit ganzheitlicher Krebstherapie gemacht?
Frau Maschke: Nach einem körperlichen und seelischen Zusammenbruch habe ich auf der Suche nach Wegen aus dieser lebensbedrohlichen Situation heraus Möglichkeiten der ganzheitlichen Onkologie gefunden. Mit dem Beginn der komplementären Krebstherapie habe ich eine ganz andere Welt betreten: Zum ersten Mal wurde ich als Mensch gesehen, habe eine individuell auf mich abgestimmte Therapie erhalten und habe im Rahmen der Psychoonkologie Hilfe zur Selbsthilfe an die Hand bekommen.
jameda: Nicht nur Psychoonkologen, sondern auch Mediziner müssen sich mit den Ängsten und Problemen ihrer Patienten beschäften - zum Beispiel mit der Furcht vor dem Tod. Welche Antworten kann die Medizin hier bieten?
Prof. Dr. Heusser: Es gehört zu den materialistischen Vorurteilen, dass das Leben auf die physische Existenz des Körpers beschränkt sein soll. Wenn wir tatsächlich auch seelische und geistige Wesen sind: Warum soll dann z.B. nach dem Tod des physischen Körpers das Leben des Menschen überhaupt beendet sein? Das Leben des Menschen ist eine kontinuierliche Entwicklung. Warum soll sie „nachher“ nicht weitergehen? Das sind natürlich zu komplexe und ernsthafte Fragen, als dass sie in Kürze beantwortet werden könnten. Aber die Medizin muss auch diese spirituelle Seite der menschlichen Entwicklung wieder einbeziehen lernen. Das entspricht auch den Bedürfnissen der Patienten.
jameda: Viele Krebspatienten erleben ihre Erkrankung und die Zeit danach als extreme Stressphase, die ihnen alles abverlangt. Kann die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion den Betroffenen helfen?
Prof. Dr. Heusser: Es gibt schon seit mehreren Jahren eine ganze Anzahl von Studien, die zeigen, dass achtsamkeitsbasierte Stressreduktion bei Krebspatienten Zustände von Angst, Depression, Stress-Erleben und andere psychische Beeinträchtigungen verbessern kann, wie übrigens auch bei anderen Patienten. Das ist also nicht spezifisch für Krebs. Mittlerweile gibt es auch Studien, die für andere komplementäre Therapieverfahren einen Nutzen bei Stress-Reduktion demonstrieren, wie etwa bei Tai-Chi aus der Chinesischen Medizin, Yoga aus der indischen Tradition und Eurythmie-Therapie aus der anthroposophischen Medizin.
jameda: Auch die innere Einstellung spielt eine große Rolle, um mit einer Krebserkrankung besser fertig zu werden. Worauf sollten Patienten achten?
Dr. Kreft: Ein erfülltes, zufriedenes und lebensbejahendes Dasein ist ein kraftvolles Heilmittel und unterstützt Patienten in jeder Krebstherapie. Wenn wir uns dem Leben wieder zuwenden – unabhängig davon, wieviel Zeit uns bleibt, wenn wir verstehen, wie kostbar und großartig es ist zu leben, werden wir mit Kraft und einer gewissen Leichtigkeit alle nötigen Lebensstilveränderungen durchführen. Bewegung, Entspannung, Ernährung und medizinische Unterstützung sind die wichtigen Pfeiler einer erfolgreichen Krebstherapie. Der Mediziner sollte hier ein achtsamer Begleiter in diesem Prozess sein. Denn es geht um das Leben, das etwas sehr Kostbares und Großartiges ist.
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