Artikel 31/07/2020

Epigenetik: So können Naturheilkunde und Psychologie das Wissen um das Zellgedächtnis nutzen

Silvia Astfalk Heilpraktiker, Heilpraktiker für Psychotherapie
Silvia Astfalk
Heilpraktiker, Heilpraktiker für Psychotherapie
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Es ist unglaublich spannend, welche neuen Erkenntnisse uns die Epigenetik in der letzten Zeit geliefert hat und liefern wird. Was ist Epigenetik und was hat sie mit Heilkunde und Psychotherapie zu tun?

Epigenetik ist einfach gesagt das Gedächtnis unserer Zellen. Mit diesem Gedächtnis arbeitet auch die neuere Naturheilkunde und positive Psychologie.

Unser Zellgedächtnis: So intelligent kommunizieren unsere Zellen mit der Umwelt

Unsere Zellen haben ein Gedächtnis für Umwelteinflüsse. Sie können sich merken, wie viel Stress wir haben, wie wir uns ernähren, wie viel wir uns bewegen. Die gleichen Zellen verändern sich permanent, passen sich u. a. an veränderte Stresshormonspiegel an. Und es gibt epigenetische, wie Dr. rer nat. Peter Spork es nennt: zusatzgenetische, Strukturen, die der Zelle sagen, welche genetischen Strukturen sie benutzen kann und welche nicht.

Damit spricht die Zelle permanent mit ihrer Umwelt, d. h. mit der Außenwelt, aber auch mit der Situation im Körper, die ihre eigene Umwelt darstellt. Das heißt, unsere Zellen reagieren permanent auf das, was sich um sie her verändert und passiert. Und sie passen sich epigenetisch an und folgen damit dem Wandel in unserem Leben.

Unser Körper: ein System, das sich in Wechselwirkungen befindet

Diese Wechselwirkungen haben Auswirkungen in alle Richtungen, körperlich, psychisch, energetisch. Deshalb macht es in vielen Fällen wenig Sinn, sich in der Diagnose nur Einzelteile des Körpers als Problemträger anzuschauen und anschließend zu behandeln. Vielmehr sollten wir unser Körper-Geist-Seele-Wesen als ein systemisches betrachten und es formen.

Unsere Gene bestimmen nicht mehr allein unsere Gesundheit

Dieses Weltbild wird gerade durch die epigenetische Forschung und ihre wissenschaftliche Erkenntnisse verändert. Stoffwechsel bedeutet u. a., dass die Zelle auf ihre Umwelt reagiert und aufgrund ihrer Gene und epigenetischen Strukturen, also Genaktivitätsprofilen, Proteine erzeugt. In der Folge können Gene, die für diese Zelle wichtig sind, viel leichter abgelesen werden.

Wir haben 30 Billionen Körperzellen, die alle miteinander in Kommunikation und Austausch stehen und sich permanent anpassen und neu ausrichten. Somit können wir sagen, unser Organismus versucht sich zu jeder Zeit an unsere Umwelt und unseren Lebensstil anzupassen. Unser Körper passt sich im System an, egal ob ich Hochleistungssportlerin bin, Schweinebraten esse, rauche oder faste. Hierbei spricht man von neuro-biologischen Prozessen, die dem Ganzen eine Ausrichtung geben.

Selbstwirksamkeit: Wir können das Phänomen Krankheit beeinflussen

Unser System ist damit auch ein sich selbst regulierendes und reparierendes. Entscheidend dafür, ob diese Mechanismen unterstützt oder eher blockiert werden, ist unser Lebensstil. Auf diesen haben wir einen entscheidenden Einfluss. Ein gesunder Lebensstil ist für mich dann am wichtigsten, wenn ich beginne krank zu werden oder durch ein plötzliches Ereignis erkrankt bin (Beispiel: Unfall). Wie effektiv und schnell meine Heilung, neben der medizinischen Behandlung, verläuft, hängt zum entscheidenden Teil von mir ab. Wie gehe ich mit dieser Herausforderung um? Die Antwort auf diese Frage entscheidet Vieles mit.

Ungünstige Genvarianten positiv beeinflussen mit Resilienz-Faktoren

Genbedingte Erkrankungen werden von der Gesellschaft und Medizin als krank betrachtet, als nicht gesund. Damit werden sie abgestempelt in eine Ecke, in der Entwicklung und Besserung nicht möglich erscheint. Wer eine Erbkrankheit hat, ist krank und nicht gesund, wie auch ältere Menschen irgendwann Erkrankungen bekommen. Wir betrachten es als ein unausweichliches Schicksal. Dem aber ist nicht so.

Wie kann ich mit gesundheitlichen Herausforderungen konstruktiv umgehen?

Die höchste Lebenserwartung haben jene Menschen, die auch in herausfordernden Lebensphasen in der Lage sind, sich anzupassen und das Beste aus der Situation zu machen. Das ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der Heilkunde. Beispielsweise wäre die Schizophrenie eines Familienangehörigen dann nicht mehr nur ein genetisch bedingtes Phänomen, das sich ausschließlich mit Medikamenten behandeln ließe. Sondern die Heilung wäre dann auch durch Zutun der Familie und des Betroffenen positiv beeinflussbar.

Damit rückt der Fokus auf alle Resilienz-Faktoren, Ressourcen, Selbstwirksamkeitsmöglichkeiten und Kräfte des Systems. Ist das nicht unsere ethische Pflicht? Natürlich gibt es stark genetisch beeinflusste Krankheiten, die nur einen gewissen Spielraum für Selbstwirksamkeit und ihre positiven Auswirkungen lassen. Bei diesen Krankheiten wird eine begleitende medikamentöse Behandlung nicht wegzudenken sein. Aber auch die Länge der Einnahme und Dosierung kann variieren durch gesundheitsfördernde Faktoren, die ich in mein Leben integriere.

Die meisten von uns erkranken eher an den komplexen Volkskrankheiten und an einer Fülle von psychischen Belastungen und Symptomen, die nicht nur medikamentös beeinflussbar sind. Hier wirken Erbfaktoren, Umwelt und Vergangenheit auf uns ein, die noch Gestaltungsräume für Genesung bieten.

Natürlich komme ich auch mit einer genetischen Bedingtheit zur Welt. Aber umso wichtiger erscheint es, die Schalter zu betätigen, die für Veränderung zur Verfügung stehen. Mittlerweile können wir molekular-biologische Veränderungen in den Zellen messen. Auch Begleitung und Therapie kann sich in den Zellen zeigen und gemessen werden. Damit haben wir nun einen biologischen Marker zur Verfügung, der Effekte sichtbar macht.

Welche Therapien haben Einfluss auf unsere Zellen?

In Kürze werden wir die Wirkungsweisen verschiedenster Therapien und ihre Auswirkung auf unsere Zellen nachweisen können. Die Epigenetik beschäftigt sich genau damit. Sie zeigt bereits, wie sich Sport positiv auf die Zelle auswirkt. Erst richtig spannend wird es in Zukunft, wenn wir die positiven Einflüsse all dieser Faktoren unseres Lebensstils mit denen von Medikamenten vergleichen können. Spätestens dann ist der Paradigmenwechsel da.

Gegenwart und Zukunft gesund gestalten

Indem wir unsere Gegenwart selbst gestalten können, verändern sich auch unsere individuellen Zukunftsperspektiven und Visionen. Es wird sich zeigen, dass man ganz unterschiedlich mit Erbfaktoren, Umwelt und Vergangenheit umgehen kann und welche Wechselwirkungen sich biologisch in unseren Zellen zeigen. Damit befreien wir uns aus einem rein statischen Opferdasein.

Balance zwischen Nichtverantwortlichkeit und Verantwortlichkeit

Für unsere Genfaktoren können wir nichts. Aber wir haben eine Verantwortung dafür, wie wir mit dem Gegebenen umgehen. Das Beste in der Gegenwart daraus zu machen, wird mehr in den Mittelpunkt einer individualisierten Therapie und Lebensführung treten. Und damit kann ich neue Pläne und Entscheidungen für meine Zukunft treffen. Nicht mehr die Eltern allein sind schuld, nein, rückblickend bin ich mitverantwortlich dafür, welcher Lebensweg mein Lebensweg gewesen sein wird.

Epigenetische Prägung: Programmierung unserer Zellen

Wenn ich z. B. abnehmen will, eine Kur mache und kurzfristig dabei abnehme, mache ich nicht selten die Erfahrung, dass ich nach dieser irgendwann mehr zunehme als zuvor. Das hat mit unserer epigenetischen Prägung zu tun. Besonders dann, wenn diese Kur nicht mein Ernährungs- und Bewegungsverhalten u. v. m. und damit meine Gegenwart und Zukunftsperspektive verändert hat.

Leistbare und einbaubare Veränderungen im Alltag, langsam aufbauend und ggf. vertiefend, wirken hier viel nachhaltiger und besser. Vielleicht habe ich dann erst in der Zeitspanne eines halben Jahres abgenommen, dafür aber meinen Alltag nachhaltig verändert und bin nicht mehr die Person, die ich zuvor war. Kleine Schritte von erlebbarer Selbstwirksamkeit sind also effektiver als Hau-Ruck-Maßnahmen, die keine Lebensstilveränderung mit sich bringen. Die epigenetische Forschung zeigt, dass ein steter kleiner Impuls der immer weiteren Veränderung mehr bringt als eine kurze starke Intervention.

Prävention im sozialen Kontext ist der beste Schutz

Eine stabile Eltern-Kind-Bindung und Vorbilder für einen gesund erhaltenden Lebensstil sind für jeden Einzelnen von uns und auch gesellschaftlich wichtig. Es zeigt sich, dass Depressionen, Erschöpfungssyndrome und auch posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) vor diesem Hintergrund viel seltener auftreten.

Auch Diabetes (Zuckerkrankheit) und Adipositas (Fettleibigkeit) sind alles Stresskrankheiten und gut präventiv beeinflussbar.

Daraus folgt: Keine Trennung mehr zwischen Medizin und Psychologie. Denn die Lebensstiländerung kann in der Zelle in manchen Fällen das gleiche bewirken wie das Medikament – oder sogar mehr. Psychologie und Medizin gehören systemisch zusammen und bedingen sich gegenseitig. Unsere Berufsfelder werden sich in absehbarer Zukunft stark verändern. Psychologie und Medizin sind keine zwei Welten, die nichts miteinander zu tun haben.

Das bringt uns Fachleute auf diesen Gebieten in eine besondere Verantwortung, die systemischen Wechselwirkungen weiter zu erforschen und uns von einem alten Menschenbild zu verabschieden. Unsere Biologie endet nicht an unserer Hautgrenze, sondern sie verfügt über andere Umwelt-Wechselwirkungen, die in das biologische System hineinwirken.

Mögen viele Kolleginnen und Kollegen diese Verpflichtung auch als Ermutigung verstehen, sich für eine Sicht über den eigenen Tellerrand hinaus zu öffnen und sich von gegenseitigen Abwertungen verabschieden. Mit der Sichtbarmachung der Auswirkungen von psychotherapeutischen Interventionen und medizinischen Behandlungen wächst auch die Verantwortung, bestimmte Therapierichtungen neu zu bewerten sowie alternativen und positiv-psychologischen Methoden einen anderen Stellenwert beizumessen.

Wir brauchen eine personalisiertere und individualisiertere Psychotherapie und Medizin, die jeden auf die eigene Art und Weise gesunden lässt.

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