Artikel 12/07/2009

Das Verschreibungskarussell. Eine Aufforderung zum Ausstieg

Team jameda
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Was die meisten Menschen zum Arzt führt, sind Schmerzen bzw. Veränderungen von Körperfunktionen. Den Menschen die Schmerzen zu nehmen ist eine ärztliche Verpflichtung. Ebenso sollte es aber als ärztliche Verpflichtung empfunden werden, bei jeder Therapie so wenige Risiken wie möglich einzugehen. Das heißt, all unser Bestreben sollte dahin gehen, Mittel und Methoden einzusetzen, die ganz gezielt auf den jeweiligen Schmerz gerichtet sind und nicht nur großflächig angreifen, um ihn sozusagen zufällig mit zu treffen. Das geht leider nicht immer, aber es ginge doch sehr viel öfter als landläufig angenommen wird. Auf Seiten der Ärzte wie auf Seiten der Patienten wird da noch immer viel zu viel in Kauf genommen, werden Nebenwirkungen als notwendiges Übel kleingeredet. Tatsächlich und entgegen mancher Beteuerung haben wir uns nämlich daran gewöhnt, auf die schnelle und vermeintlich sichere Wirkung aller möglichen Medikamente zu setzen, ohne viel über die Alternativen einer komplexeren, individuell kombinierten Behandlung mit verschiedenen Methoden nachzudenken.

Diese Entwicklung sollte uns alarmieren, zumal es sich vor allem um eine politisch gewollte zu handeln scheint. Jedenfalls hat ihr die Politik Vorschub geleistet, indem sie vor wenigen Jahren zum Beispiel entschied, Massagen und andere physiotherapeutische Anwendungen nur noch eingeschränkt zu übernehmen, und noch immer zu häufig die Kostenübernahme für andere naturheilkundliche Behandlungsverfahren abgelehnt wird. Ein ganzheitlicher therapeutischer Ansatz erfordert aber geradezu das integrative Zusammenwirken der ärztlichen und nichtärztlichen Fachdisziplinen. Statt vorausweisende Zeichen zu setzen, wurden Blockaden errichtet, als hätte es gegolten, einer allmählichen Rückbesinnung  auf die klassischen und durchaus wirkungsvollen Heilmethoden traditioneller Verfahren rechtzeitig vorzubeugen. Warum das sein musste, bleibt unerfindlich. Wem hätte damit geholfen werden können? Den Patienten gewiss nicht. Sie wurden mehr denn je zum Verbrauch von Medikamenten veranlasst. Und die Kassen? Sie haben die Kosten zu tragen. Was sie bei den Massagen einsparen, müssen sie, salopp gesagt, bei den Pillen wieder zusetzen. Und was die Kassen nicht tragen, wird eben privat verschrieben. Das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Tranquilizern zur Behandlung von Schlafstörungen boomt, unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Aber das allein ist es nicht. Schwerer noch als das kurzsichtige Wirtschaften wiegt die langfristige Überbewertung medikamentöser Behandlung in ihrer herkömmlichen Form. Es ist ja nicht nur so, dass den traditionellen, auch naturheilkundlichen Verfahren  in unserem Gesundheitswesen nach wie vor zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Auch neuere und neueste Behandlungsmethoden werden oft nur zögerlich aufgegriffen, nicht selten boykottiert, sei es aus fachlichem Konkurrenzdenken oder aus bürokratischem Starrsinn. So könnten wir in großen Bereichen der Schmerzbehandlung, beispielsweise bei den Rückenleiden oder der Tumorbehandlung, heute schon mit sehr viel geringeren Schmerzmitteldosierungen sehr viel mehr erreichen, wenn die Möglichkeiten körperorientierter Behandlungsmethoden oder gar der Mikrotherapie konsequent genutzt würden. Können wir doch dabei mit minimal-invasiven Eingriffen schmerzstillende oder –lindernde Medikamente genau dahin bringen, wo sie wirken sollen, etwa an den Bandscheiben. Das, dieses Setzen lokaler Depots, reduziert die Dosierung, schont andere Bereiche und erhöht zugleich die Wirkung; es macht vieles überflüssig, an dem unser Gesundheitswesen festhält, als müsse das Verschreibungskarussell ständig in Schwung gehalten werden, ungeachtet der Gefahr eines potenzierten Medikamentenkonsums.

Dabei weiß man doch längst, dass wir komplexere Behandlungsstrategien brauchen, natürlich unter Einschluss all dessen, was die Pharmakologie ermöglicht, aber eben auch im Zusammenspiel mit traditionellen Methoden der Heilkunst sowie mit den neuesten Errungenschaften medizinischer Forschung. Alle Einwände, die dagegen kommen, halten keiner ernsthaften Prüfung stand. Weder ist der Einsatz jahrhundertlang bewährter Heilmethoden heute zu langwierig, noch sind Verfahren wie die Mikrotherapie zu teuer, zumal bisher stationär durchgeführte Leistungen dadurch in den ambulanten Bereich verlagert werden und durch minimale Verletzungen von Geweben schnelle Rekonvaleszenz und Gesundung möglich wird. Schmerz mit möglichst wenigen Medikamenten zu bekämpfen verlangt nicht die medizinische Quadratur des Kreises, nur ein abgestimmtes Zusammenwirken, die Bereitschaft zu einer Individualtherapie, die auf alle Bereiche der Heilkunst zugreift, die eher die intelligente als die grobe Lösung sucht. Selbst die Pharmaindustrie sieht das unterdessen so. Auch ihre Glaubwürdigkeit hängt heute am schonenden Einsatz der Medikamente. Auch ihr kann am Ende nicht daran gelegen sein, dass die Arztpraxen zu eindimensional agierenden Umschlagplätzen ihrer Produkte werden. Niemand will, dass der Arzt unversehens in die Rolle des Dealers gerät. Um das zu verhindern, müssen wir aber alle über den Tellerrand schauen: die Ärzte, indem sie vielschichtiger behandeln, die Politiker, indem sie die Freiheit dazu bieten, und die Patienten, indem sie sich mehr Zeit für ihre Gesundheit nehmen. Das Recht auf eine Behandlung, die uns vor Schmerzen schützt oder von ihnen befreit, muss persönlich wahrgenommen werden. Kein Arzt kann es einem verschreiben, kein Apotheker kann es verkaufen, wie gut sein Lager auch mit Schmerzmitteln oder Psychopharmaka gefüllt sein mag.

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