Artikel 20/05/2018

Häufig unerkannt: Was ist das Beckenvenenstauungssyndrom (PCS)?

Dr. med. Florian Netzer Facharzt für Allgemeinchirurgie, Notfallmediziner
Dr. med. Florian Netzer
Facharzt für Allgemeinchirurgie, Notfallmediziner
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Frauen mit dem Beckenvenenstauungssyndrom berichten über Druckgefühl und Schmerzen, meist im linken Unterbauch. Oft leiden sie auch unter schmerzhaftem Sex oder Schmerzen danach. Ebenso finden sich häufig Krampfadern der Schamlippen und am linken Oberschenkel und Hämorrhoiden.
Dabei müssen nicht alle Symptome auftreten: In manchen Fällen ist es nur der Schmerz, in anderen sind es nur die Krampfadern des linken Beins.

Wen betrifft es?

Die Erkrankung haben ausschließlich Frauen. Meist treten die Symptome vom jüngeren Erwachsenenalter bis zur Menopause auf. Und zwar sehr stark gehäuft bei schlanken Frauen, die jung bereits zwei oder mehr Schwangerschaften hatten.

Die Erkrankung und ihre Ursachen

„Pelvines Beckenvenenstauungssyndrom“ bedeutet, dass sich ein krankhafter Blutstau in kranken Venen des Beckens bildet. Man spricht auch von Beckenvenen-Krampfadern.

Die Ursache ist eine starke Erweiterung der linken Eierstocksvene. Sie verläuft vom linken Eierstock gerade zur linken Nierenvene. Von dort läuft das venöse Blut in die Große Hohlvene und weiter zum Herzen. Die rechte Ovarialvene verläuft schräg auf kurzem Wege direkt in die Hohlvene.

Weil die linke Eierstocksvene im Vergleich zur rechten länger und gerader, d.h. in stehender Position des Menschen senkrecht nach oben verläuft, ist ausschließlich die linke Vene betroffen. In einem langen Gefäß, zumal mit einem geraden Verlauf nach oben wie in stehender Position, baut sich eine entsprechend lange und schwere Blutsäule auf. Analog zu einer langen, senkrechten Wasserleitung herrscht am unteren Ende ein hoher Druck. Gefäße dieser Art neigen zur krankhaften Erweiterung.

Aber auch während der Schwangerschaft erweitern sich die Ovarialvenen sehr stark, weil die Durchblutung der weiblichen Beckenorgane in dieser Zeit massiv erhöht ist.

Während sich aber die rechte Ovarialvene nach der Entbindung wieder komplett auf Normalmaß zurückbildet, fällt das der linken Seite schwer. In beiden Venen führt die Erweiterung dazu, dass die Venenklappen in diesem Zustand nicht schließen. Das ist nicht möglich, weil das Gefäß zu groß ist. In der linken Eierstocksvene kann sich die natürliche Schrumpfung der Venenwand nach der Entbindung manchmal nicht gegen den höheren Druck der Blutsäule in ihr durchsetzen. Die Vene bleibt weit und in ihr staut sich - in stehender oder sitzender Position - das Blut nach unten zurück, anstatt nach oben in Richtung Herz abzufließen.

Weil sich dieser Erweiterungsvorgang mit jeder Schwangerschaft wiederholt, sind Mehrfachgebärende weitaus häufiger von der Venenerweiterung betroffen.

Die Eierstocksvene selbst verursacht aber keine Schmerzen und ruft auch keine weiteren Symptome hervor. Weil aber die Venen im Unterleib wie ein dicht gewebtes Fischernetz alle Organe bedecken und untereinander in vielfacher Verbindung stehen, erweitern sich nach und nach viele dieser Geflechtvenen.

Die Blutstauung in diesen Venen verursacht dann die beschriebenen Symptome. Sind zum Beispiel die Venen der Gebärmutter stark gestaut, kann das zu zyklusabhängigen Schmerzen führen. Ist das Venengeflecht betroffen, das die Vagina bedeckt, treten oft Schmerzen beim oder nach dem Verkehr auf.

Zu Krampfadern am linken Oberschenkel kommt es, wenn die gestauten Beckenvenen auch zu einer unnatürlichen Blutfülle in den benachbarten Beinvenen führen.

Der lange Weg zur richtigen Diagnose

Viele PCS-Fälle werden erst sehr spät und nach einer wahren „Ärzte-Odyssee“ diagnostiziert. Das liegt vor allem an den „diffusen“ Beschwerden, unter denen betroffene Frauen leiden. Zum Beispiel unter immer wiederkehrenden Unterbauchschmerzen, einem Schwere- und Völlegefühl oder unter Krämpfen wechselnder Lokalisation im ganzen Beckenbodenbereich.

Oft wird ursächlich eine Endometriose vermutet und muss auch ausgeschlossen werden. Es handelt sich dabei um kleine Inselchen von Gebärmutterschleimhautzellen, die außerhalb der Gebärmutter auf den Unterbauchorganen liegen. Auch außerhalb der Gebärmutter reagieren sie auf die zyklischen Hormonveränderungen mit Zunahme der Schichtdicke bis zur Blutung, wenn in der Gebärmutter die Menstruation einsetzt.

Oft wird auch eine Darm- oder Blasenerkrankung angenommen, ebenso Erkrankungen des linken Eierstocks und Eileiters.

Gar nicht so selten werden die Beschwerden als psychosomatisch eingestuft, wenn die bis dahin durchgeführten Untersuchungen ohne Ergebnis blieben. Die Patientinnen werden dann mit Psychopharmaka behandelt.

Zu dieser diagnostischen Irrfahrt tragen zwei weitere Umstände bei:

  1. Die Krankheit ist noch in der Erforschungsphase und daher nicht allen Ärzten sofort als mögliche Ursache der Beschwerden „päsent“.
  2. Die erweiterte linke Ovarialvene ist die Ursache des Syndroms und kann mit einer normalen Sonographie nicht dargestellt werden. Sie liegt sehr tief im Becken und staut sich erst unter „Belastung“, d.h. entweder im Stehen oder z.B. bei der Bauchpresse. Die Standard-Sonographie wird aber an der ruhig liegenden Patientin vorgenommen. Die Vene „kollabiert“ dann und ist praktisch nicht darstellbar.

Wie sehen geeignete diagnostische Verfahren aus?

Zur sicheren Darstellung einer krankhaft erweiterten Ovarialvene und den überfüllten Geflechtvenen steht uns die „venöse Angio-MRI“ zur Verfügung. Dabei handelt es sich um eine Kernspintomographie, bei der ein Kontrastmittel gespritzt wird. Unter wiederholter Aufforderung, in den Unterbauch zu pressen, werden die Beckenvenen dargestellt.

Weniger verlässlich ist der transvaginale Ultraschall. Aber der Vorteil dieses Verfahrens ist seine einfache und schnelle Durchführbarkeit in der Praxis. Als erster Screening-Test ist er sogar ideal geeignet.

Welche Verfahren können eingesetzt werden?

Eine Behandlung muss nur stattfinden, wenn die gestauten Beckenvenen tatsächlich Beschwerden verursachen. Erstaunlicherweise gibt es nämlich auch stark erweiterte Ovarial- und Beckenvenen ohne Beschwerden und relativ gering erweiterte Venen mit Symptomen. Das heißt, die Indikation zur Behandlung wird nicht ausschließlich aufgrund gemessener Venendurchmesser, sondern anhand des Beschwerdebilds gestellt.

Je nach Schweregrad und Lokalisation der erweiterten Venen kommen folgende Therapien in Frage:

1. Verödung oder Laserabtragung, z.B. der Schamlippenkrampfadern

Möglich ist eine Behandlung der Auswirkungen, also der Venen, die die Patientin stören. Dabei wird das zugrundeliegende Problem, die Ovarialvene, nicht behandelt. 
In vielen Fällen reicht diese „symptomatische Behandlung“ aus. Sollten sich nach einiger Zeit wieder störende Venen bilden, können sie erneut verödet werden.

2. Verschluss der linken Ovarialvene mittels Kathetertechnik

Über einen Einstich in der Leiste wird ein Katheter in die Ovarialvene geschoben. Dort werden dann kleine Drahtspiralen deponiert. Um die Spulen bilden sich feste Gerinnsel. Sie werden später von Fresszellen abgebaut und durch Bindegewebszellen ersetzt. So entsteht ein fester Verschluss.

3. Durchtrennung der Ovarialvene

Dieses Verfahren wird bei besonders großen und weiten Venen angewandt, bei denen ein „Coiling“ nicht ausreichend sicher und erfolgreich erscheint. In minimalinvasiver OP-Technik wird die Ovarialvene mit Clips von außen abgeschnürt und zwischen den Schnürstellen durchtrennt. Es handelt sich um eine verhältnismäßig kleine Operation, die entweder einen sehr kurzen Klinikaufenthalt mit sich bringt oder sogar ambulant vorgenommen wird.

Auf einen Blick

Schmerzen

Je nach Umfang der Behandlung keine bis normale, leichte Wundschmerzen

Arbeitsunfähigkeit

Abhängig von der Art der erforderlichen Behandlung (die Skala reicht von Verödung mittels Spritze bis zur OP in der Klinik) ein bis zehn Tage

Verhaltenstipps nach der Behandlung

  • Nach der operativen Versorgung der kranken Ovarialvene ist körperliche Schonung (Sportpause, nicht schwer heben) für zwei bis drei Wochen angezeigt.
  • Nach einer Verödungsbehandlung ist keine Schonung nötig.

Kostendeckung der Krankenkasse

Die Kosten der Behandlung werden von den Versicherungen (GKV und PKV/Beihilfen) getragen.

Selbsthilfe / Hausmittel

Dazu ist leider nichts bekannt. Lediglich eine „symptomatische“ Schmerzbekämpfung mit entkrampfenden und schmerzstillenden Medikamenten kann während einer Schmerzattacke empfohlen werden. Die Medikation muss der Arzt verordnen.

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