Team jameda
Beim Bandscheibenvorfall ist nicht die radiologische Diagnose das Entscheidende, sondern die Ermittlung der Auswirkungen und der Folgen für den jeweiligen Patienten.
In der Regel führen Schmerzen, ausstrahlend in ein Bein, verbunden mit Taubheitsgefühl den Patienten zum Arzt. Wenn dem Patienten dann die Diagnose “Bandscheibenvorfall“ eröffnet wird, löst dies beim Patienten meist eine Kette an Sorgen und Befürchtungen aus. Der Patient entwickelt oft eine erhebliche Angst vor dauerhaften Schmerzen und Einschränkungen im beruflichen, privaten und sportlichen Alltag.
Die Bandscheibe verschleißt im Laufe des Lebens, sodass ab dem 50. Lebensjahr fast jeder Zweite einen Bandscheibenvorfall hat, aber nicht jeder zweiter über Rückenschmerzen klagt. Was ist also der Unterschied?
Die Diagnose „Bandscheibenvorfall“ sagt zunächst erstmal sehr wenig darüber aus, ob der Patient Beschwerden hat, ob die Beschwerden von dem Bandscheibenvorfall herrühren, bzw. darüber, ob er behandlungsbedürftig ist und wie er zu therapieren ist.
Wieso ist dies so, wo doch die Erfahrung mit anderen Diagnosen (Bluthochdruck, Gicht, Frakturen, Appendizitis etc.) zeigt, dass schnell eine Therapie gefunden werden kann und auch notwendig ist? Oftmals erfolgen klare, fast immer gleiche Therapieziele (Blutdrucksenkung, Ruhigstellung, operative Entfernung etc.). Worin liegt also der Unterschied? Wieso bestehen Unterschiede bei der gleichen Diagnose „Bandscheibenvorfall“ bei ihnen und z.B. bei Ihrem Arbeitskollegen oder Ehepartner?
Die Frage, die der Facharzt für Orthopädie und Sie - der Patient - nur gemeinsam beantworten können, ist die Frage nach den Auswirkungen, die dieser Bandscheibenvorfall für jeden einzelnen Patienten in der individuellen Lebenssituation und unter Berücksichtigung aller Mitfaktoren hat.
Hierzu erfolgt eine genaue Anamnese mit Erfragung der Beschwerden und Einordnung derselben in Symptomkategorien.
Dann erfolgt eine genaue körperliche Untersuchung. Wenn notwendig, werden CT-Befunde und Röntgenbefunde erhoben. Dann erst kann entschieden werden, ob der bestehende Bandscheibenvorfall überhaupt Ursache für die beklagten Beschwerden ist. Anschließend schlägt der Facharzt für Orthopädie, Ihnen verschiedene geeignete Therapien vor und Sie entscheiden, für welche der vorgeschlagenen Therapieformen Sie sich entscheiden möchten. Es gibt als nicht die eine Lösung für alle „Bandscheibenvorfälle“.
Eine Operation ist in den seltensten Fällen notwendig. Schmerzmedikamente, die gleichzeitig abschwellend wirken, sind häufig die erste Wahl. Verschiedene Injektionsverfahren sowie Akupunktur, Krankengymnastik und Manuelle Therapie reichen in der Regel aus. Dies heißt aber nicht, dass die Auswahl beliebig ist - sie muss zielgerichtet erfolgen!
Noch einmal: eine Operation ist in der Regel nicht notwendig und nur wenigen Notfallsituationen vorbehalten. Wieso können dann jedoch mehrere Therapien geeignet sein, wo doch die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls auf einen Verschleiß, also einen nicht reparablen Defekt der Bandscheibe hinweist? Wieso sind viele Patienten mit Bandscheibenvorfall völlig beschwerdefrei und körperlich topfit und andere können sich vor Schmerzen kaum bewegen? Da sind wir wieder bei den Auswirkungen.
Der Druck der gerissenen Bandscheibe auf die Nerven verursacht eine Schwellung dieser Nerven und dies verursacht die Beschwerden - im Wesentlichen geschieht dies durch die dadurch zusätzlich verursachte Bedrängung der Nerven.
Diese Schwellung gilt es, zurückzudrängen, da wir hier sonst schnell in einen Teufelskreis aus Anschwellungen, Druck, Schmerzen und weiteren Anschwellungen geraten. Dieses Ausmaß der Schwellung der Nerven und die dadurch bedingten Folgen sind sehr individuell und bedürfen daher auch jeweils eine der aktuellen Situation angemessenen, individuell angepassten Therapie.
Wieso dann nicht doch direkt eine Operation? Dann drückt doch nichts mehr? Das stimmt zwar theoretisch, nun passiert es aber häufig, dass nach einer Operation die einsetzende Narbenbildung in der Tiefe einen Zug auf die Umgebung und damit auch auf die Nerven ausübt. Die Narben, die die Nerven ummauern, beginnen dann erneut zu drücken.
Dem Nerv ist es egal, ob er gedrückt oder gezogen wird, er reagiert „genervt“ und schwillt an. Narben haben leider immer die Tendenz, sich zusammenzuziehen und damit wird auch immer Zug auf die Umgebung ausgeübt.
Es bildet sich das sogenannte Postnukleotomiesyndrom (auf deutsch: Syndrom der Beschwerden nach einer Bandscheiben-OP) mit den gleichen Beschwerden wie vor der Operation, nur ist dieses jetzt schwieriger zu behandeln. Auch hier gibt es natürlich verschiedene operative Vorgehensweisen, die wiederum individuelle Vor- und Nachteile haben.
Dies ist nur ein kleiner Bruchteil der Überlegungen, die der Facharzt für Orthopädie mit Ihnen vor der Entscheidung für eine Therapie abwägt. Alle Verfahren, die wir Orthopäden - jetzt und in Zukunft - anbieten und erforschen, müssen sich daran messen lassen, ob Sie es schaffen, diesen Schwellungszustand der Nerven zu beseitigen.
Bestehende Ängste, die Vorstellung der Krankheit sowie die Heilung, aber auch beruflicher oder privater „Stress“ bzw. der individuelle Umgang mit der Krankheit und die persönliche Verfassung haben ebenso einen großen Einfluss am Verlauf der Beschwerden.
Der erfolgreiche Umgang mit ungünstigen Anspannungszuständen der Muskulatur kann gelernt werden - so wie eine Sportart erlernt werden kann. Das was den Stress auslöst (Beruf etc.) kann häufig nicht geändert werden, wohl aber die Reaktion darauf („wie nahe lasse ich etwas an mich heran?“).
Wenn man dies als Teil der Lösung für sich akzeptiert hat, muss man nun als Patient bereit sein, diese Entspannungsverfahren auch regelmäßig zu üben (lernen), erst dann können sie ihre Wirksamkeit entfalten (praktizieren). Auch hier gibt es verschiedene Verfahren. Nicht jede Methode ist geeignet für jeden. Auch hier gilt es das jeweils geeignete Übe-Prinzip auszuwählen.
Noch etwas zur Begrifflichkeit „Bandscheibenvorfall“. Dies ist eigentlich ein von uns Ärzten verwendeter irreführender Ausdruck. Die Bandscheibe, oder Teile der Bandscheibe, fallen nicht „vor“. Solch ein „vorfallen“, ist eher ein „nach-hinten-zur-Seite-fallen“.
Zum Verständnis, warum die Bandscheiben „Ärger“ machen können, ist dieser Unterschied nicht ganz unwichtig.
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