Artikel 17/12/2008

Ärzte und Patienten sind Partner. Plädoyer für eine neue Verantwortungsgemeinschaft

Team jameda
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Wir könnten zufrieden sein - Ärzte und Patienten. Der medizinische Fortschritt hat ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Krankheiten, die früher und sogar noch vor wenigen Jahren zu schwerem Leiden geführt hätten, wenn sie nicht gleich tödlich verlaufen wären, haben wir heute im Griff. Leber, Niere, selbst das Herz können wir transplantieren. Fehlsichtigkeiten werden mit Laser korrigiert, Brillen müssen nicht mehr unbedingt getragen werden. Ein Bandscheibenvorfall lässt sich minimalinvasiv, ohne großflächigen chirurgischen Eingriff beheben. Selbst Kinderlähmung, Tuberkulose und Lepra wurden heilbar. Die Liste der Beispiele für diese segensreiche Entwicklung der Medizin könnte man seitenlang fortsetzen.

Und dennoch, trotz dieser großartigen Aussichten, herrscht eine eigentümlich getrübte Stimmung. Niemand von uns hat den Eindruck, in der besten aller möglichen Welten zu leben: weder der Arzt, der helfen kann wie nie zuvor, noch der Patient, dem mit modernster Technik oder neuesten Medikamenten geholfen wird. Unzufriedenheit herrscht überall. Wo dank der Ergebnisse wissenschaftlichen Bemühens alles zum Besten bestellt sein könnte, will es vielen vorkommen, als sei die Medizin selbst ein kranker Mensch. Krisenstimmung macht sich breit . Patienten fühlen sich nicht richtig verstanden und mehr und mehr zum „ökonomischen Faktor“ reduziert, Ärzte fühlen sich überfordert und als „Funktionsmediziner am Fließband“ mißverstanden. Das Gesundheitswesen ist zum Problem geworden – und mit Recht geben wir der Politik daran ein gerüttelt Maß an Schuld.

Doch das kann es nicht allein sein, das ist nicht die ganze Wahrheit. Die Betroffenen müssen sich auch selbst an die Nase fassen. Zu konstatieren ist, dass Ärzte und Patienten einander aus den Augen verloren haben, dass sie nicht so zusammen wirken, wie es erfolgreich praktizierte Heilkunst verlangt. Verführt von den ungeahnten Möglichkeiten expandierender Apparatemedizin, sind wir der Illusion erlegen, dass sich alles schon irgendwie technisch beheben ließe. Manchmal will es fast scheinen, dass wir uns geradezu an diesen Glauben klammern, weil wir uns das andere, das ganzheitliche Verständnis des Menschen und seiner Leiden, nicht mehr zutrauen – nicht auf Seiten der Ärzte und nicht auf Seiten der Patienten. Der Mensch ist aber keine seelenlose Maschine, kein Motor, den man, wenn er „stottert“, durch den bloßen Austausch der „Komponenten“ wieder instandsetzen könnte. Wer sich mit dieser Erwartung in die Behandlung begibt, überfordert die Medizin von vornherein, zumal die globalisierte Industriegesellschaft auch eine Quelle immer neuer Krankheiten ist: unverhoffter Allergien, neuer Infektionskrankheiten wie BSE oder Vogelgrippe, MP3-Player-Hörschäden bzw. Burn-Out-Syndrome, die den Arzt häufig vor neue Rätsel stellen.

Um sie zu lösen, braucht er die Mithilfe des Patienten. Beide müssen bereit und im Stande sein, sich wirklich auf Augenhöhe zu begegnen. Der „Doktor“ ist kein Halbgott in weiß. Weder darf er sich so gerieren, noch sollte er so betrachtet werden. Natürlich stimmt es, dass die Zeit der Ärzte knapp bemessen ist, zu knapp. Hier sind politische Versäumnisse und falsche Gewichtungen anzuklagen, aber auch abnehmende Empathie für die Mitmenschen – ein gesamtgesellschaftliches Problem. Sieben Minuten, die durchschnittlich zugemessene Behandlungszeit, reichen ganz einfach nicht aus, um jemandem die Gefahren und Ursachen des Bluthochdrucks – immerhin eine der am meisten verbreiteten Volkskrankheiten – zu erklären.

Man darf die Eigenverantwortung und ein selbstaufklärerisches Mitwirken des Patienten durchaus einfordern. Die Möglichkeiten dazu sind heute größer denn je. Das Internet zum Beispiel macht hier die vielfältigsten Angebote, in Zukunft auch an dieser Stelle. Man muss sie nur richtig und kritisch zu nutzen wissen. Deshalb plädiere ich seit langem u.a. dafür, das Unterrichtsfach „Gesundheit“ an deutschen Schulen einzuführen. Hier sollten wir Ärzte uns intensiv beteiligen. Wer nicht als Objekt behandelt werden möchte – und wer will das schon –, darf sich selbst nicht als ein Objekt behandeln, das er anderen zur Reparatur überlässt. Wer die vorhandenen Möglichkeiten zur Aufklärung nicht nutzt, handelt unvernünftig. Wer als Arzt gegenüber seinem Patienten sprachlos bleibt, sei es aus Zeitgründen oder, weil er annimmt, dass der ihn ohnehin nicht verstehen kann, hat die Bedeutung des hippokratischen Eides vielleicht doch noch nicht begriffen.

Nein. Die Medizin ist keine Geheimlehre, über die nur Eingeweihte verfügen dürften, sondern ein Kulturgut, das uns allen gehört, eines der ältesten überhaupt. Schon Paracelsus, der große Arzt der Renaissance, sagte dem Kranken: „Du bist der Arzt. Wir Ärzte sind nur deine Gehilfen.“ Daran sollten wir uns beiderseits erinnern, mit Respekt vor einander.

Die Kunst der Lebensführung muß hierbei primär vom Patienten selbst geleistet werden, die Motivation hierzu und die Kunst des Behandelns obliegt dem Arzt. Diese Einsicht würde am Ende sehr viel mehr helfen als die modisch gewordene Mediziner-Schelte, würde freilich auch wieder einiges mehr von den Ärzten verlangen. Nur es führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei. Die Heilkunst braucht das gegenseitige Vertrauen, eine belastbare Verantwortungsgemeinschaft. Anders wird es uns nicht gelingen, die faszinierenden Fortschritte der medizinischen Wissenschaft – auch hinsichtlich der Integration von traditionellen Heilweisen – für alle nutzbar zu machen. Die Technik und die Apparate allein werden es nicht richten, schon gar nicht in einem bezahlbaren Rahmen. Die sprechende und zuhörende Medizin gilt es zu rekultivieren. Verständliche Informationen gehören zur Vorsorge und Therapie. Das sind wir uns gegenseitig schuldig, demnächst wieder auch an dieser Stelle.

Lesen Sie am 19.01.09 den nächsten Artikel von Hr. Prof. Grönemeyer zum Thema Was macht einen guten Hausarzt aus?

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